Die Konstruktion, die direkt vor dem Denkmal aufgebaut wurde und dort unter dem Titel "Lueger temporär" bis Herbst 2023 bleiben soll, versammelt im Stadtbild gefundene Artefakte der Lueger-Würdigung.
Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2022

Ein überdimensionales buntbemaltes Klettergerüst – das ist, womit man die seit einigen Tagen schon weithin sichtbare Holzkonstruktion assoziiert, die sich nun am Dr.-Karl-Lueger-Platz über eine Länge von 39 Metern quer durch die von Rosensträuchern gesäumte Grünfläche erstreckt. Der Zweck erschließt sich Passanten nicht spontan. Hinweise dazu liefern zwei Betonsockel, auf die Mittwochvormittag kurz vor dem offiziellen Aufmarsch der lokalen Politprominenz noch eilig eine Erläuterung gesprayt wurde.

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DER STANDARD

"Lueger temporär" nennt sich das nun von Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Bezirksvorsteher Markus Figl (ÖVP) öffentlich eingeweihte Projekt der stadteigenen KÖR (Kunst im öffentlichen Raum). Eine Installation, die sich als künstlerische Intervention und als Beitrag zu der schon seit Jahren geführten Debatte rund um das seit 1926 hier thronende Denkmal Karl Luegers versteht: Verdienste hin oder her – der Antisemit, dessen hetzerische Reden als Wiener Bürgermeister ein Klima der Verrohung und auch Adolf Hitlers Weltsicht prägten, gehöre vom Sockel geholt, wie Kritiker und Teile der Zivilgesellschaft zuletzt immer vehementer forderten.

Ein Akt, der symbolischer Natur bleiben wird. Eine Entfernung des Denkmals hat die Stadtregierung ausgeschlossen. Dass die Diskussion in der Umkehr zur Folge hatte, dass Rechtsextreme den Platz verstärkt als Treff- und Bezugspunkt nutzten, sei erwähnt.

Rund um die Diskussion über das Denkmal am Dr. Karl-Lueger-Platz haben Nicole Six und Paul Petritsch nun ein "diskursives Schaulager" geschaffen, das am Donnerstag eröffnet – und sogleich heftig diskutiert – wurde.
Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2022

Weitere Überhöhung Luegers?

Ein Trend, der sich angesichts des "diskursiven Schaulagers", wie es die Künstler Nicole Six und Paul Petritsch bezeichnen, noch verstärken könnte. Denn es vereint in Umrisslinien die 16 in Wien verstreuten "Artefakte" des Lueger-Gedenkens (siehe Liste). Ein Potpourri, das den Personenkult also womöglich befeuert? "Eine weitere Überhöhung der Figur Lueger", ist Kultursprecherin Ursula Berner von den Wiener Grünen überzeugt. In eine ähnliche Kerbe schlägt die Kritik der Jüdischen Hochschülerinnenschaft; demnach schmücke die Installationen die Ehrungen Luegers mit bunten Farben und verdecke damit den Antisemitismus und dessen Thematisierung.

Demnächst soll die Ausschreibung des Wettbewerbs für die permanente künstlerische Kontextualisierung starten, die ebenfalls mit einem Budget von 500.000 Euro ausgestattet wird.
Foto: PID / VOTAVA

Bis zur endgültigen Umgestaltung des Platzes, den Lueger noch während seiner Amtszeit nach sich benennen ließ, ist jedenfalls für Gesprächsstoff gesorgt. Demnächst startet die Ausschreibung des Wettbewerbs für die permanente künstlerische Kontextualisierung, für die 500.000 Euro budgetiert sind. Die Kür des Siegerprojektes ist für das Frühjahr 2023 geplant. Dass sich dann auch die Gründung der Christlichsozialen Partei durch Karl Lueger zum 130. Mal jährt, ist wohl tatsächlich dem Zufall geschuldet. (Olga Kronsteiner, 12.10.2022)