Wien – Sigrid Pilz ist eine vehemente Verfechterin einer Haushaltsabgabe für den ORF statt der GIS. Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass es bis Ende 2023 eine neue Regelung für das Programmentgelt braucht, das künftig auch für Streaming einzuheben ist. Die frühere Wiener Patientenanwältin und Sprecherin der grünen Stiftungsräte im ORF sagt im STANDARD-Interview: "Alle Menschen sollen Zugang haben, daher sollen auch alle Menschen zum ORF beitragen."

Eine um Streaming erweiterte Geräteabgabe würde weiterhin GIS-Kontrollen erfordern. Diese Kontrollen wie bisher zu organisieren "entwertet den ORF", sagt Pilz: "Ein Haustürgeschäft wie die Zeugen Jehovas, das ist eines ORF nicht würdig. Und die Jungen lachen nur darüber."

ORF-General Roland Weißmann erklärt der APA, eine Lösung für die Rundfunkgebühr "ohne den GIS-Apparat" in der heutigen Form sei "theoretisch möglich – mehr dazu hier.

Im STANDARD-Interview ...

... warnt Pilz vor einer "Aushungerungsstrategie" für Ö1, der Kultursender müsse wie FM4 jüngeres Publikum erschließen.

... fordert die Stiftungsrätin eine Digitalnovelle mit möglichst großen Möglichkeiten für den "gefesselten Riesen" ORF ein: "Der ORF wird auf allen Ebenen behindert, junge Leute zu erreichen."

... wendet sich Pilz entschieden gegen Kürzungen des Textumfangs auf ORF.at: "Es ist ein unbelegtes Gerücht, dass die privaten Medienhäuser doppelt so erfolgreich sind, wenn die blaue Seite halb so groß ist."

... befürwortet sie Reformen der ORF-Gremien: "Wenn jemandem etwas Gutes einfällt im Sinne der Gremienreform und der Entpolitisierung des ORF, umso besser."

... kommentiert sie Regierungsabsprachen über ORF-Besetzungen mit: "Ich habe keinen Sideletter unterschrieben, mir hat keiner einen Sideletter vorgeschrieben."

... unterstreicht Pilz die Notwendigkeit von öffentlich-rechtlichem Rundfunk: "Öffentlich-rechtliche Medien müssen sichergestellt sein, weil sie zur immateriellen Daseinsvorsorge gehören. Wir müssen die Welteinordnung möglich machen, objektiv, vielfältig, und wenn Ideologie, dann aber als Meinung deklariert."

"Wenn wir wissen, dass die Jungen da nicht vorbeischauen, müssen wir alles tun, um sie zu erreichen", sagt Sigrid Pilz im STANDARD-Interview über Ö1 und den ORF.
Foto: Robert Newald

"Eine Aushungerungsstrategie für Ö1 würde auch auf meinen extremsten Widerstand als Stiftungsrätin stoßen"

STANDARD: Sie sind ein großer Ö1-Fan – nun muss dort, wie überall im ORF, gespart werden. Radiodirektorin Ingrid Thurnher will zugleich mehr Content und weniger Köchelverzeichnis im Morgenprogramm. Kulturschaffende im ganzen Land protestieren.

Pilz: Als wirtschaftlich verantwortliche Stiftungsrätin kann ich leider nicht sagen: alles Geld der Welt für meinen Lieblingssender! Das Radio ist eine ganz zentrale Instanz für Welterklärung, auch für Unterhaltung, auch Diskussion, für Partizipation. Das sollten wir in jeder Hinsicht stärken. Ich sehe das Problem von Radiodirektorin Ingrid Thurnher. Wir haben im Stiftungsrat sehr eindringlich vor Augen geführt bekommen, wie es finanziell ausschaut. Aber ich bin unglücklich, dass die Diskussion so läuft – sollen wir "Zeit-Ton" abdrehen oder den "Radiohund"? Also mit Schüssen auf einzelne Sendungen, die der Sache nicht gerecht werden. Und als Stiftungsrätin mutmaße ich nicht über einzelne Sendungen.

STANDARD: Das müssen Sie offenbar nicht mehr: Nach unseren Infos gibt es inzwischen einen Kompromiss über das Ö1-Budget, die genannten Sendungen sollen erhalten bleiben.

Pilz: Eine Aushungerungsstrategie würde auch auf meinen extremsten Widerstand als Stiftungsrätin stoßen. Nehmen wir Ö1 Geld weg, weil wir allen Geld wegnehmen müssen, und machen wir damit das Programm schwächer: Das halte ich für eine Strategie, die niemandem hilft. Ich wünsche mir in dieser Debatte um Ö1 und FM4, dass wir versuchen, alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den Auftrag, allen Menschen in Österreich Information, Welterklärung, Diskurs und vieles mehr zu bieten. Wenn wir wissen, dass die Jungen da nicht vorbeischauen, müssen wir alles tun, um sie zu erreichen. Das bedeutet für Ö1, dass wir alle Programmteile stärken, mit denen wir junge Menschen adressieren können. Ich gehöre nicht mehr zu den Jungen, für mich kann vieles so bleiben, wie es ist. Aber wenn wir zukunftsfähig sein wollen, brauchen wir junge Formate, junge Teams, junge Journalistinnen und Journalisten, die für auch für ihre Zielgruppe Programm machen.

"Es gibt bei Ö1 viele junge Leute, die müssen quasi befreit werden, um ihre Ideen zu spielen."

STANDARD: Also auch Ö1 verjüngen und nicht nur FM4?

Pilz: Ja. In Ö1 gibt es derartige Schätze, die auch für Junge spannend sind. "Leben mit der Natur", "Diagonal" und vieles mehr – wenn das nur auf Formaten gespielt werden kann, wo es die Jungen erreicht! Die Hörerschaft 60 plus ist fein. Aber alle Programme müssen Nachwuchs generieren. Es gibt bei Ö1 viele junge Leute, die müssen quasi befreit werden, um ihre Ideen zu spielen. Und die einzelnen Sender des ORF sollten aus ihren Silos herauskommen und die Chance für gemeinsame Produktionen wahrnehmen können.

STANDARD: Das ist vermutlich ein Appell für die Digitalnovelle, der ORF soll mehr für das Netz, für Streaming produzieren können?

Pilz: All das. Online first, online only. Keine Sieben-Tage-Beschränkung für Abruf, das ist die Vernichtung von Kultur, Information, Wissen. Und Formate für Social Media. Die Jungen sagen: Das schaue ich mir nicht mehr an, das höre ich nicht mehr an, höchstens ORF.at. Dann muss man etwas tun. Der ORF wird auf allen Ebenen behindert, junge Leute zu erreichen. Das ist doch ein gefesselter Riese.

"Sitzen wir doch nicht wie das Kaninchen vor der Schlange, also vor der Walze globaler Plattformen!"

STANDARD: Ein "Funk" auf Österreichisch, ausgespielt auf Social Media wie beim Jugendangebot von ARD und ZDF?

Pilz: Super! Das ist nicht ganz billig, aber ARD und ZDF erreicht die Jungen damit. Und ich hielte es für extrem wichtig, eine gemeinsame europäische Plattform öffentlich-rechtlicher Anbieter zu bilden. Eine Plattform für Content, mit Wissen, Ambition, Aufklärung im positivsten Sinn, Partizipation, vielleicht auch mit Museen und Universitäten. Sitzen wir doch nicht wie das Kaninchen vor der Schlange, also vor der Walze globaler Plattformen! Da kriegt man auch Macht zusammen, zumindest Relevanz im eigenen kulturellen Kontext. Und gehen wir das gleich zeitgemäß partizipativ an!

STANDARD: Private Medienunternehmen verlangen für mehr Möglichkeiten des ORF im Streaming Einschränkungen des Textangebots auf ORF.at, das sie als unmittelbare, "zeitungsähnliche" Konkurrenz zu ihren Onlineangeboten sehen. ORF-General Weißmann hat bei den Medientagen eine Halbierung des Textangebots im Gegenzug für mehr Audio und Video angekündigt.

Pilz: Ich war völlig verblüfft. Aus heiterem Himmel so einen Deal anzubieten! Machen wir's halb so groß! Das wird nicht der blauen Seite und ihrer Performance gerecht, das wird nicht dem Auftrag gerecht. Manchen jungen Menschen ist der ORF völlig egal, aber die blaue Seite schauen sie sich täglich an. Das ist also eine Erfolgsgeschichte. Es ist ein unbelegtes Gerücht, dass die privaten Medienhäuser doppelt so erfolgreich sind, wenn die blaue Seite halb so groß ist. Es ist doch nicht realistisch, dass jemand ein Abo für kurier.at oder irgendein anderes österreichisches Bezahlangebot nimmt, weil er nur noch halb so viele Meldungen auf ORF.at bekommt. Die Welt funktioniert so nicht. Wir vertreiben nur Leute von der blauen Seite, die sie – Gott sei Dank! – nützen und nicht alleine Social Media und Google. Die Antwort kann doch nur heißen, dem ORF die im digitalen Zeitalter nötigen Instrumente in die Hand zu geben; dass man nicht beschränkt, sondern öffnet und stärkt.

"Um diese Medienvielfalt in Funk wie Print zu sichern, muss es eine ordentliche Medienförderung geben. Eine, die an Qualität ausgerichtet ist und nicht am Boulevard."

STANDARD: Der ORF ist dank Gebühren mit einer Milliarde Euro Umsatz das weitaus größte Medienunternehmen im Land, größer als alle Privatsender zusammen, größer als die größten verlegerischen Medienhäuser. Dieser übermächtige ORF dominiert schon jetzt den Markt. Man kann natürlich auch sagen: Wir brauchen nur diesen ORF und keine privaten Medienhäuser.

Pilz: Das ist nicht mein Zugang. Ich habe unter anderem drei Tageszeitungen im Abo, privat bezahlt. Aber um diese Medienvielfalt in Funk wie Print zu sichern, muss es eine ordentliche Medienförderung geben. Eine, die an Qualität ausgerichtet ist und nicht am Boulevard. Es braucht eine Strategie gegen internationale, globale Konkurrenz. Aber die kann nicht darin bestehen, dass man den von mir so beschworenen öffentlich-rechtlichen Auftrag schwächt. Wir spielen nicht auf demselben Spielfeld.

STANDARD: Wie kommen Sie zum Schluss, dass private Medienhäuser und ORF nicht im selben Markt sind? Sie wenden sich an dasselbe Publikum, auch der ORF bemüht sich um Werbegeld. Und er will bezahlt werden für seine Inhalte. Der Markt ist doch derselbe.

Pilz: Die Antwort hat schon der langjährige ORF-Generaldirektor Gerd Bacher gegeben: Der ORF braucht Geld, um Programm zu machen, die anderen brauchen Programm, um Geld zu machen. Ganz grundsätzlich: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die öffentlich-rechtlichen Medien müssen sichergestellt sein, weil sie zur immateriellen Daseinsvorsorge gehören. Wir müssen die Welteinordnung möglich machen, objektiv, vielfältig, und wenn Ideologie, dann aber als Meinung deklariert. Wer privat schaut, weiß, dass man die private Ausrichtung mitkauft. Und wenn wir neoliberal sagen: Wir spielen alle auf demselben Spielfeld, dann können wir uns gleich vom Acker machen, weil dann gewinnen ohnehin Google, Netflix, Spotify, Disney und so weiter. Ich kann mir Wasser von Vöslauer, Römerquelle oder für fünf Euro Vittel kaufen, wenn es mir das wert ist. Aber aus dem Wasserhahn muss schon das Wiener Hochquellwasser kommen.

"Es soll dem ORF ein Auftrag sein, nach Qualität zu streben. Auch in der Unterhaltung."

STANDARD: Hochquellwasser, das alle im Versorgungsgebiet zahlen müssen. Der Anspruch auf Programm und Angebot für alle bedeutet natürlich auch unmittelbare Konkurrenz für Private. Ö3 ist in seiner Programmierung, zugespitzt, der größte Privatsender in Österreich. Ich orientiere mich an Masse – damit stoße ich automatisch auf die Privaten.

Pilz: Ich verstehe den Punkt. Aber ich will und darf dem ORF deshalb nicht Unterhaltung verbieten. Es gibt außerdem gute, aufklärerische, emanzipatorische Unterhaltung, in meiner Jugend war das "Wünsch' dir was". Wenn man private Medienvielfalt sichern will, wird man das mit Medienförderung tun müssen.

STANDARD: Emanzipatorische Unterhaltung muss ich auf ORF 2 abseits der Information schon ein bisschen länger suchen. Der emanzipatorische Aspekt einer "Starnacht am Wörthersee" oder von "Narrisch guat" sticht nicht gleich ins Auge, und ein klares Unterscheidungsmerkmal zu Privaten ist das vermutlich auch nicht.

Pilz: Da gebe ich Ihnen recht: Es soll dem ORF ein Auftrag sein, nach Qualität zu streben. Auch in der Unterhaltung.

STANDARD: Auf die Gefahr einer weiteren neoliberal klingenden Frage: Es ist nicht ganz einfach zu erklären, warum man Rundfunk als öffentliche Aufgabe und öffentlich finanziert braucht, öffentlich – und damit letztlich potenziell politiknah – organisiert und kontrolliert, der zugleich die verfassungsrechtliche Aufgabe hat, unabhängig zu berichten und Programm zu machen.

Pilz: Das ist natürlich eine Quadratur des Kreises, sage ich als Stiftungsrätin, und noch dazu als von der Regierung nominierte. Die Gesellschaft braucht den öffentlich-rechtlichen Diskurs, Information und Aufklärung. Das muss natürlich staatsfern sein und kein Verlautbarungsrundfunk. Aber es muss dem Staat in der Demokratie ein Interesse sein, das zuwege zu bringen. Mit diesen Widersprüchen muss der ORF immer leben. Wir müssen als Gesellschaft auf beides achten: die staatliche Sicherstellung und die inhaltliche Unabhängigkeit.

"Mir hat noch niemand aus der Politik versucht, etwas vorzuschreiben."

STANDARD: Beim Verfassungsgerichtshof liegt ein Prüfantrag des Landes Burgenland mit der Argumentation: Der letztlich von Regierungsparteien dominierte Besetzungsmodus der ORF-Gremien sei verfassungswidrig, weil zu politiknah. Sie sitzen als Grüne auf einem Regierungsmandat im Stiftungsrat, sind dort eine Art Fraktionssprecherin der Grünen, obwohl die Stiftungsräte laut Gesetz unabhängig sind.

Pilz: Ich kann mit der Kritik etwas anfangen, keine Frage. Ich nehme für mich in Anspruch: Ich bin völlig unabhängig, bei den Grünen muss ich nichts mehr werden, ich lebe von meiner Pension. Es geht mir um den ORF, auf eine sehr ernsthafte Weise. Mir hat noch niemand aus der Politik versucht, etwas vorzuschreiben. Dass wir von den Grünen Nominierten gemeinsam über die anstehenden Themen diskutieren, ist ja nichts Böses. Ich rede aber auch sehr offen mit allen anderen klugen, dem ORF verbundenen Leuten im Stiftungsrat. Aber lasst uns diskutieren, wie wir dieses Geschmäckle loswerden können! Ich will mir auch nicht nachsagen lassen: Sie sind ja da die Regierungsbeauftragte. Das bin ich nicht. Wenn es eine Neuorganisation gibt, die uns nicht in diese Verteidigungshaltung bringt – umso besser!

"Man kann als Regierungspartei, als Gesetzgeber nicht nur Dinge tun, die einem ins Kalkül passen."

STANDARD: Die Grünen, Mediensprecherin Eva Blimlinger insbesondere, haben sich ja schon vielfach für eine Gremienreform beim ORF ausgesprochen. Aber ihr Regierungspartner ÖVP hat nun einmal dank der aktuellen Regelung die alleinige Mehrheit im Stiftungsrat und wirkt über den Besetzungsmodus wenig gesprächsbereit.

Pilz: Man kann als Regierungspartei, als Gesetzgeber nicht nur Dinge tun, die einem ins Kalkül passen. Da habe ich wenig Mitleid. Aber die ÖVP ist nun in einer neuen Rolle im Stiftungsrat. Sie freut sich über den neuen ORF-Generaldirektor Roland Weißmann. Habituell alles am ORF zu kritisieren, das geht jetzt nicht mehr. Das ist gut so. Es war ja unfassbar, dass ORF-Stiftungsräte während der ÖVP-FPÖ-Koalition das eigene Unternehmen so in die Kritik gebracht und infrage gestellt haben. Ich und die grünen Stiftungsräte sehen ihre Aufgabe darin, den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu sichern und Unabhängigkeit in den Redaktionen und bei den Führungskräften außer Streit zu stellen. Dass in der österreichischen Realität jeder jeden kennt und über jeden mutmaßt, wie er oder sie politisch tickt, das wird sich auch nach der größten Gremienreform schwer verhindern lassen. Das braucht aber Transparenz, Fokus auf Qualität, Vielfalt und Diversity. Da gibt es viele Zugänge, um zu verhindern, dass man sagt: Da wird jetzt irgendein Parteigänger hingesetzt.

STANDARD: Nun gab es aber zunächst geheim gehaltene Koalitionsabsprachen auch von ÖVP und Grünen, die sogenannten Sideletter, die ORF-Besetzungen vereinbarten vom Vorsitz des Stiftungsrats bis hin zur Jobverteilung in der ORF-Geschäftsführung – die allesamt von den unabhängigen Stiftungsrätinnen und Stiftungsräten umgesetzt wurden. Wie geht es Ihnen damit?

Pilz: Ich habe keinen Sideletter unterschrieben, mir hat keiner einen Sideletter vorgeschrieben. Aber es ist so, dass wir eine tragfähige Lösung mit tragfähigen Mehrheiten erzielen mussten. Die Entscheidungen im Stiftungsrat sind relativ einstimmig gefallen. Da gab es keine Kampfabstimmung der regierungsnahen Stiftungsräte gegen die anderen.

"Wenn jemandem etwas Gutes einfällt im Sinne der Gremienreform und der Entpolitisierung des ORF, umso besser."

STANDARD: ORF-General Roland Weißmann war recht eindeutig erkennbar der Wunschkandidat der ÖVP-Mehrheit im Stiftungsrat, bestellt haben ihn die ÖVP, die Grünen und zwei Betriebsrätinnen. Die anderen Parteien haben für Amtsinhaber Alexander Wrabetz und für die heutige Magazinchefin Lisa Totzauer gestimmt. Erst bei der Bestellung der übrigen Direktoren war die Mehrheit, wie in der ORF-Geschichte häufig, breiter.

Pilz: Wenn jemandem etwas Gutes einfällt im Sinne der Gremienreform und der Entpolitisierung des ORF, umso besser. Da klebe ich nicht an meinem Job. Wobei, Job: Dafür bekommt man 50 Euro Sitzungsgeld vor Steuern.

STANDARD: Sie haben nun schon einige ORF-Gremienerfahrung. Haben Sie aus der Innensicht Ideen für eine Reform?

Pilz: Ich weiß, wie die Gremien im Ergebnis aussehen sollten: jünger, diverser, von den Ideen vielfältiger, kompetent. Je mehr Leute in einem solchen Gremium vertreten sind, die etwas verstehen von der Sache, desto besser. Wie man dazu kommt, dafür müsste man sich internationale Beispiele ansehen und vor allem einen Reformdiskurs führen. Das wäre eine lohnende Aufgabe, weil wir an der Glaubwürdigkeit des ORF arbeiten müssen.

STANDARD: Jünger, diverser, vielfältiger in den Ideen und kompetent – hört man da Kritik an Ihren Kolleginnen und Kollegen in den ORF-Gremien durch?

Pilz: Jedenfalls sind wichtige Zielgruppen nicht genügend repräsentiert.

"Eine Haushaltsabgabe wäre ein klares Bekenntnis: Alle Menschen sollen Zugang haben, daher sollen auch alle Menschen zum ORF beitragen."

STANDARD: Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass künftig auch für Streaming GIS-Programmentgelt für den ORF zu zahlen ist. Sie sind für eine Haushaltsabgabe als künftiges GIS-Modell – warum?

Pilz: Es ist nicht zeitgemäß und wenig praktikabel im Gesetz zu definieren, für welches Gerät nun GIS zu bezahlen ist und für welches nicht – Transistorradio, Computer ... und wenn man das Handy ausnimmt, kann man die Regelung gleich vergessen. Warum Haushaltsabgabe? Regierung, Parlament müssten sich dazu bekennen: Ja, es ist wichtig, dass wir diesen öffentlich-rechtlichen Auftrag wahrnehmen, der ORF steht quasi im Eigentum aller Bürgerinnen und Bürger, er ist für alle da, also sollen ihn alle Bürgerinnen und Bürger finanzieren. Jeder Haushalt würde durch diese breitere Basis vermutlich weniger bezahlen, jedenfalls nicht mehr als bisher. Damit wäre eine breitere Finanzierung sichergestellt, und der ORF könnte sich auf stabile Einnahmen einstellen.

STANDARD: Warum eigentlich keine Finanzierung aus dem Bundesbudget? Es gibt durchaus Medienrechtler, die erklären, man könnte auch sie so regeln, dass der ORF-Generaldirektor nicht jedes Jahr zum Finanzminister betteln gehen und politische Willfährigkeit versprechen muss.

Pilz: Eine Haushaltsabgabe wäre ein klares Bekenntnis: Alle Menschen sollen Zugang haben, daher sollen auch alle Menschen zum ORF beitragen. Das soll mit den Kalkülen eines jährlichen Budgets nichts zu tun haben müssen.

STANDARD: Wenn man die Zahlungspflicht nicht an Geräten festmacht, könnte man sich ersparen, dass die GIS klingelt und nachfragt.

Pilz: Das ist sicher kein einfacher Job, aber da wird doch Geld hinausgeschmissen. Das so zu organisieren entwertet den ORF. Ein Haustürgeschäft wie die Zeugen Jehovas, das ist eines ORF nicht würdig. Und die Jungen lachen nur darüber.

STANDARD: Ich fürchte, ihnen wird das Lachen vergehen, wenn auch Streaming GIS-pflichtig ist.

Pilz: Eine Haushaltsabgabe würde das Problem insgesamt befrieden.

STANDARD: Eine Umfrage des Market-Instituts für den STANDARD hat gerade ergeben: Eine Mehrheit zweifelt daran, dass das ORF-Angebot die GIS-Gebühren wert ist, 36 Prozent sagen, das ist nicht der Fall.

Pilz: Das ist kein Wunder, solange sich manche in der Politik selbst daran beteiligen, den ORF zu diskreditieren, ihn als einen unter vielen Anbietern darzustellen, der die Gebühren nicht wert sei, statt sich hinter diese öffentliche Aufgabe zu stellen. Und solange man den ORF nicht aus den digitalen Fesseln befreit, damit er im 21. Jahrhundert mithalten kann, solange man nicht seine Finanzierung außer Streit stellt, und solange man nicht alles tut, um politische Einflussnahmen zu verhindern. (Harald Fidler, 13.10.2022)