Was es braucht, um Umweltverfahren schneller durchführen zu können, darüber schreiben die beiden Professoren an der FH Kärnten Michael Jungmeier und Martin Schneider in ihrem Gastkommentar. Notwendig sei etwa ein nationales Inventar der Lebewelt.

Die Biodiversitätskrise macht deutlich, dass es sinnvoll und notwendig ist, Auswirkungen von Projekten auf die Umwelt sorgsam zu prüfen, Alternativen abzuwägen und beteiligte Interessen einzubinden. Und ja, das kostet Zeit und Geld. Immer wieder werden Energiewende und andere Dringlichkeiten als Argument herangezogen, die Verfahren zu vereinfachen, zu beschleunigen oder – Wunschtraum – gar auszusetzen. Derzeit sorgt ein Begutachtungsentwurf für die Novellierung von Umweltverträglichkeitsprüfungen für Diskussion. Es lohnt sich ein genauer Blick auf die Sachverhalte.

Zunächst weisen Umweltorganisationen zu Recht darauf hin, dass Umweltverfahren meist positiv ausgehen und "schneller als ihr Ruf" sind. Tatsächlich werden die Behördenverfahren durchwegs in der Zeit abgewickelt, auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen. Unberechenbar hingegen ist der Zeitaufwand für die Vorbereitung von Verfahren. Gleiches gilt, wenn im Fall von Ein- und Widersprüchen ein Verfahren in die Instanzen der Verwaltungsgerichte geht.

Kann Bauprojekte verhindern oder zumindest verzögern: der kleine Ziesel.
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In den meisten Umweltverfahren sind die technischen Parameter – Emissionen, Schall, Flächenverbrauch – gut mess- und nachweisbar und daher anhand von Schwell- und Grenzwerten nachvollziehbar zu beurteilen. Anders stellt sich die Situation bei Biodiversität, Naturschutz und Landschaftsbild dar. Hier braucht es für eine nachvollziehbare Bewertung eine solide österreichweite Datenbasis. Diese kann vom Projektwerber nur bedingt verlangt werden.

Tausende Pflanzenarten

So gibt es in Österreich neben tausenden Pilz- und Pflanzenarten etwa 44.000 Tierarten. Die genauen Zahlen sind nicht bekannt, geschweige denn die Verbreitung, Populationsgrößen oder Gefährdungsgrade der einzelnen Arten. Es können bei jeder Erhebung des Naturraumes Arten gefunden werden, die als "selten", "gefährdet", "erstmals nachgewiesen" oder "geschützt" eingestuft werden. Möglich, dass die Arten anderswo hundertfach auftreten, diese Information fehlt jedoch als unverzichtbare Bezugsgröße, um die Schwere eines Eingriffs zu ermitteln. Die Verfahren fokussieren auf einzelne, besser bekannte Artengruppen und besonders auf Arten mit europaweitem Schutz. Notwendig wäre aber ein nationales Inventar der Lebewelt, aus dem sich Gefährdung und Schutzbedarf der Arten, zumindest einzelne Indikatorgruppen, in einer Gesamtperspektive konsistent ableiten lassen. Zusätzlich erschwert wird die Beurteilung von Eingriffen durch einen Mangel von Expertinnen und Experten, man spricht allgemein von einer "Erosion des Artenwissens". Neue KI-basierte Methoden können das bisher nicht kompensieren.

Nur Stückwerk

Noch dringlicher ist ein Biotopinventar, ein österreichweiter Kataster wertvoller und schützenswerter Lebensräume. An dieser unverzichtbaren Grundlage für Raumplanung, Flächenwidmung, Naturschutz und Eingriffsbeurteilung müht sich Österreich seit mehr als drei Jahrzehnten ab. Das bislang vorliegende Stückwerk ist von Bundesland zu Bundesland verschieden; bei Fortschreiben der aktuellen Bearbeitungsgeschwindigkeit wird das Inventar nicht vor 2050 vorliegen. Es hat dann bestenfalls historische Bedeutung.

Die verfügbaren technischen Möglichkeiten würden es erlauben, das Inventar in fünf Jahren zu erarbeiten und in Zehnjahresintervallen zu aktualisieren. Selbstredend müssen diese Grundlagen von der öffentlichen Hand bereitgestellt werden. Die Kosten für die unzureichenden Unterlagen werden derzeit von den Unternehmen bezahlt. Außerhalb des konkreten Verfahrens sind die Ergebnisse nicht verfügbar und damit wertlos. Jedenfalls fehlt mit dem Biotopkataster eine wesentliche Beurteilungsgrundlage.

Fehlende Ressourcen

Es ist unverständlich, dass dies nicht thematisiert wird. So ist der Gemeindebund kürzlich lautstark dafür eingetreten, Widmungsagenden weiterhin in der Zuständigkeit der Gemeinden zu belassen; dass es den Gemeinden dafür am grundlegenden Werkzeug mangelt, ist bislang niemandem aufgefallen. Probleme mit der Widmung ziehen sich in viele Bewilligungsverfahren hinein und kosten Zeit und Geld.

Natürlich mangelt es auch an Ressourcen. So kommen Aufklärung, Information und Verfahrensvorbereitung immer noch zu kurz. Gerade kleineren und mittelständischen Unternehmen, die ohne spezialisierte Anwaltskanzleien auskommen müssen, fehlt es an Orientierung im gleichermaßen anspruchsvollen wie dynamischen Umweltrecht. Auch woanders drückt der Schuh. So greifen manche Landesverwaltungsgerichte aus Kostengründen auf Amtssachverständige aus den Behördenverfahren zurück. Das ist problematisch. Jedenfalls bietet die wiederholte Darlegung identer Sachverhalte durch idente Personen keinen Erkenntnisgewinn. In manchen Instanzenzügen spielt auch die unzulängliche Abwägung der öffentlichen Interessen im Bescheid eine Rolle; hier muss mehr Sorgfalt eingefordert werden.

Kosten und Verzögerungen

Zu guter Letzt zeigen sich bei bewilligten Projektvorhaben in der Umsetzung Probleme. Unzulänglich umgesetzte Auflagen können erhebliche Kosten und Verzögerungen nach sich ziehen. Hier fehlt es an niedrigschwelliger Expertise vor Ort, auf Baustellen ebenso wie in Unternehmen und Gemeinden. Die FH Kärnten hat diesbezüglich das Konzept der Naturschutzfachkraft entwickelt.

Es gibt somit eine Reihe von Möglichkeiten, die Umweltverfahren auf der operativen Ebene zu beschleunigen und zu unterstützen. Es ist nur scheinbar paradox: Wer effiziente Umweltverfahren will, muss die Institutionen und die Instrumente des Naturschutzes stärken. (Michael Jungmeier, Martin Schneider, 13.10.2022)