Woody Harrelson als marxistischer Kapitän einer Luxusjagd – und dementsprechend mitleidsloser Betrachter seiner Passagiere.

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Mit Triangle of Sadness hat es der schwedische Regisseur Ruben Östlund, schlitzohriger Experte in der Abhandlung moralischer Doppelbödigkeiten, auf die Dekadenz der Superreichen abgesehen. Sein Film teilt sich in drei Abschnitte, die man auch als drei Eskalationsstufen einer Groteske über Klassismus verstehen kann. Im ersten geht es um ein Influencer-Pärchen, das seine Beziehung als Ware vermarktet; Teil zwei wird zum souverän exekutierten Angriff auf milliardenschwere Steuerverweigerer auf einer Luxusyacht. Im letzten Teil kommt es auf einer Insel zur Umkehrung vertrauter Hierarchien.

Triangle of Sadness ist weniger strenge Fallstudie als bewusst populär angelegtes Unterhaltungskino, das nicht auf unbequeme Fragen vergisst. In Cannes wurde Östlund dafür zum zweiten Mal nach The Square (2017) mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, ab Freitag läuft der Film in heimischen Kinos.

NEON

STANDARD: Was halten Sie von dem Vorschlag, Triangle of Sadness als antikapitalistische Satire zu bezeichnen?

Östlund: Ich würde ihn nicht auf den Begriff antikapitalistisch reduzieren wollen. Obwohl ich mich als links bezeichne, finde ich auch, dass der Kapitalismus viel Großartiges für unser Leben bewirkt hat. Mit geht es vor allem um den absurden Fokus, den wir auf das Individuum legen. Er steht für diese wirtschaftsliberale Art, auf die Welt zu blicken: Jeder kann angeblich US-Präsident werden, aber der Blick auf Kontexte, auf die Situationen, in denen wir handeln, wird unterschlagen.

STANDARD: Ein soziologischer Zugang also?

Östlund: Ja, mir gefällt dieser von Marx ausgehende Ansatz. Ich bin aber fast nur am Scheitern interessiert. Moralisch und ästhetisch weiß das Publikum, was es denken soll; ich möchte Konstellationen zeigen, in denen es auf den Gedanken kommt, dass es in der gleichen Situation auch versagen könnte.

STANDARD: Nach dem Kunstmilieu aus The Square wechseln Sie nun zu Influencern und in die Luxuswelt. Was haben sie gemeinsam?

Östlund: Ein zentraler Gedanke war, Schönheit als Währung zu verstehen. Schönheit schafft Hierarchien. Beim Luxus ist es offensichtlich, weil sie als Eintrittskarte in diese Welt fungieren kann. Dann wollte ich die beiden Hierarchien der ersten beiden Teile auslöschen, sodass es auf einer Insel plötzlich um nacktes Überleben geht. Dort habe ich eine Frau in die Machtposition versetzt und zeige, wie Carl, das Model, sein Aussehen nutzen würde, um die Situation zu steuern.

STANDARD: Ist diese Umkehrung auch von der MeToo-Bewegung beeinflusst?

Östlund: Ich habe den Film geschrieben, als die Bewegung richtig groß wurde. Mir fehlte in der Diskussion der Aspekt, dass Schönheit auch als Währung dient; auch Macht als Währung wurde vernachlässigt – der Geldaspekt daran. Bei jedem Treffen einer Frau und einem Mann findet eine Transaktion statt, und die ist viel weniger leicht zu verstehen, wenn man den ökonomischen Anteil weglässt. Natürlich ist MeToo eine großartige Bewegung, aber sie ist auch aus einer kapitalistischen Sichtweise heraus entstanden.

STANDARD: Meinen Sie damit, dass der strukturelle Aspekt zu sehr an den Rand gedrängt wurde?

Östlund: Das Problem ist für mich der identitätspolitische Zugang. Das Problem sei der Mann, hieß es – und dann geht es nicht mehr so sehr um Macht. Wir starren auf Attribute und lösen sie aus dem Kontext der Machtverhältnisse und der Ökonomie heraus. Deswegen war es für mich wichtig, die Struktur umzukehren. Würde eine Frau nicht auch ihre Position ausnützen wollen? Ehrlich? Der Mangel besteht darin, nicht über Sexualität als Währung zu sprechen. Es kann nicht sein, dass Frauen für diese Währung blind sind.

Ruben Östlund (48) dreht seit 2011 Spielfilme, die auch an der Kinokasse sehr erfolgreich sind.
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STANDARD: Die Subversion führt in Triangle of Sadness allerdings auch zu keiner anderen Gesellschaft, die Hierarchien werden bloß umgekehrt. Ist das nicht fatalistisch?

Östlund: Ich wollte verdeutlichen, dass wir für Gleichheit kämpfen müssen. Und zwar immer, denn sie stellt sich nicht ein, um zu bleiben. So wie meine Mutter noch glaubte, man müsse nur eine kommunistische Gesellschaft kreieren, und dann wären alle glücklich. Das Politische meines Films liegt in der soziologischen Sichtweise der Menschen.

STANDARD: Sie nützen dafür die Mittel der Komödie – und zwar durchaus auch mit Freude an der grellen Übertreibung. Woher kam diese neue Lust an Slapstick und Kotzorgien?

Östlund: Das ist eng mit der Thematik verknüpft – ich war es leid, europäisches Arthouse-Kino zu machen. Es ist zu einer Pose geworden, ein Genre wie die romantische Komödie. Ähnlich wie in der elitistischen Kunstwelt. Als ich mal vom Filmfestival Venedig nach Toronto geflogen bin, habe ich beobachtet, was die Filmleute konsumieren – sie haben nicht eigene Filme, sondern die von Adam Sandler angeschaut. Darauf wird geklickt. Ich wollte meine Themen auch in einem Umfeld platzieren, auf das wir gerne klicken.

STANDARD: Das klingt ein wenig wie der von Woody Harrelson gespielte, marxistische Schiffskapitän, der sein Umfeld verachtet.

Östlund: Wissen Sie, es gab eine Zeit, da war ich fasziniert vom Naturalismus, aber ich fühle nie den Drang, besonders geschickt zu sein. Mein Können soll sich dadurch bewähren, dass das Publikum sich anstecken lässt. Das ist besser als eine snobistische Filmkritiker-Runde, wo jeder nur daran denkt, was die Person an seiner Seite denkt.

STANDARD: Aber liegt das Problem nicht mehr darin, dass der europäische Unterhaltungsfilm meist zu langweilig ist?

Östlund: Ich stimme Ihnen zu. Zugleich denke ich, dass der elitistische Zugang auf der anderen Seite das Arthouse-Kino geschaffen hat, und wir haben nichts mehr dazwischen. In den 60er- und 70er-Jahren, bei Lina Wertmüller oder Luis Buñuel, war das anders – das war, bevor das staatlich subventionierte Kino übernommen hatte. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen Unterhaltung und dem Anspruch, intellektuell zu sein. Es gilt in Europa als hässlich, unterhaltsam zu sein.

STANDARD: Wollen Sie das Publikum auch damit erreichen, indem Sie Grenzen durchbrechen?

Östlund: Wir müssen die Filme so machen, dass sie im Kino gesehen werden wollen. Ich habe mit Skifilmen begonnen. Jeden Tag ging es darum, etwas zu realisieren, was noch nie gedreht wurde. Mein Prinzip ist immer noch, über Erwartungen hinauszugehen. Es ist ein Riesenproblem, dass wir eine Leinwandkultur haben, die Angst vor eigenen Reaktionen hat. Man muss mit dem Film nicht übereinstimmen; aber wir müssen uns deshalb nicht in einen Sarkophag begeben. (Dominik Kamalzadeh, 13.10.2022)