
Die Akquirierung von nichtrussischem Gas hat OMV-Chef Alfred Stern zuletzt Nerven gekostet.
Vom 21. Stockwerk in der OMV-Zentrale in Wien lässt der Chef über 22.500 Mitarbeiter seinen Blick mitunter weit schweifen: Alfred Stern ist im September 2021 angetreten, um den Konzern umzubauen. Die Bereiche Öl und Gas sollten schrittweise an Bedeutung verlieren, Kunststoff und Chemie gewinnen. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat manches verändert und einiges verzögert.
STANDARD: Haben Sie bei Ihrem Einstand als OMV-Chef gedacht, dass die Treibstoffpreise so rasch über die Zwei-Euro-Marke springen würden?
Stern: Die Situation damals war eine andere. Durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise hat sich einiges verschoben.
STANDARD: Und dass Gas sich so stark verteuert, dass manche Lieferanten von ihren Endkunden fünf- bis sechsmal mehr verlangen wie bisher?
Stern: Wir haben in einem kurzen Zeitraum sehr große Schwankungen erlebt. 2020 lagen die Ölpreise großteils unter 25 Dollar je Fass (159 Liter), heuer bei 120 Dollar. Gas kostete weniger als 20 Euro die Megawattstunde (MWh), teilweise weniger als zehn Euro, heuer 200, 300 Euro.
STANDARD: Der Wohlstand bei uns gründete bisher zu einem Gutteil auch auf billiger Energie. Und in Zukunft?
Stern: Der Zugang zu günstiger Energie und günstigen Rohstoffen ist immer und überall ein starker Wirtschaftstreiber. Deshalb ist es wichtig, eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen, die uns das in Europa wieder ermöglicht. Wir haben eine Angebotskrise – bei Treibstoffen, bei Gas, bei Energieträgern insgesamt. Angebot und Nachfrage müssen wieder in Balance kommen.
STANDARD: Geht Wohlstand verloren, weil die Bevölkerung Kaufkraft einbüßt und die Industrie Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten aus Amerika erleidet, die ein Zehntel der hiesigen Energiekosten haben?
Stern: Es ist nicht das erste Mal, dass wir eine Energiekrise durchmachen. In den 1970er-Jahren gab es Ölkrisen.
STANDARD: Die Betroffenheit war aber eine etwas andere, weil global spürbar. Jetzt trifft es aufgrund der starken Abhängigkeit von russischem Gas insbesondere Europa.
Stern: Jede Krise ist anders. In der OMV haben wir seit Anfang März eine Gas-Taskforce im Einsatz, um die Krise zu managen. Man muss aber relativ schnell Wege finden, in diesen Krisen auch Chancen zu erkennen. Krisen können Beschleuniger von Entwicklungen sein. Die augenblickliche Situation mit den hohen Energiepreisen ist sehr riskant, einzelne Unternehmen, aber auch Haushalte stoßen an ihre Grenzen.
STANDARD: Was Fridays for Future und harte wissenschaftliche Fakten zum Klimawandel nicht bewirken konnten, gelingt nun möglicherweise Wladimir Putin, nämlich eine raschere Abkehr von fossilen Brennstoffen?
Stern: Es ist immer schwierig, die Richtung zu ändern ohne Reibung. Friktionen sind nie angenehm. Auch wenn Krisen Transformationsbeschleuniger sind, ist es nicht möglich, von heute auf morgen auf erneuerbare Energien umzusteigen. Deswegen ist es wichtig, dass wir Gas als Brückentechnologie haben. Wir werden neue Lieferketten aufbauen müssen, da kommen wir nicht drum herum.
STANDARD: Eine teure Brückentechnologie?
Stern: Das Teuerste ist, ohne Energie dazustehen. Wir investieren beispielsweise stark in Geothermie, die zum Beheizen von Wohnungen genutzt werden kann. Damit lässt sich Gas einsparen, das in anderen Bereichen, etwa der Industrie, dringender und wohl noch länger benötigt wird. In Österreich verbrauchen wir noch immer 35 bis 40 Prozent vom Gas, um Raumwärme zu erzeugen.
STANDARD: OMV hat im Sommer 40 Terawattstunden (TWh) an Leitungskapazität ersteigert.
Stern: Und wir haben uns auch das dazugehörige Gas gesichert – nicht russisches Gas, wohlgemerkt, Gas, das wir über Pipelines aus Deutschland und Italien beziehen können.
STANDARD: Wie viel ist das in Relation zum Verbrauch in Österreich?
Stern: Der liegt bei 90 TWh im Jahr, OMV hat einen Marktanteil von rund 45 Prozent. Das heißt, wir können unsere Lieferverpflichtungen von 40 TWh in Österreich auch ohne Gas aus Russland voll erfüllen. Jetzt müssen auch andere Anbieter nachziehen.
STANDARD: Wann bringen Sie dieses Gas nach Österreich?
Stern: Spätestens dann, wenn kein Gas mehr aus Russland kommen sollte. Noch kommt Gas aus Westsibirien in Baumgarten (Übergabestelle an der österreichisch-slowakischen Grenze, Anm.) an, wenn auch nur 30 Prozent der vereinbarten Menge.
STANDARD: Die OMV-Speicher sind mittlerweile zu 100 Prozent gefüllt, alle Speicher in Österreich zusammen sind es zu 85 Prozent. Füllen Sie jetzt auch die anderen Speicher auf?
Stern: Wir verkaufen Gas, das ist unser tägliches Geschäft. Was damit passiert, entzieht sich unserer Kenntnis. Gut möglich, dass dieses Gas zunächst auch in Speicher geht.
STANDARD: Sie haben Lieferverträge mit Gazprom bis 2040 laufen. Widerspricht das nicht dem Wunsch auch der Regierung, möglichst rasch von russischem Gas wegzukommen?
Stern: Die Lieferverträge sind 2018 abgeschlossen worden. Die Situation hat sich seither dramatisch verändert, aber Verträge sind Verträge.
STANDARD: Was sagen die Hausjuristen, kann OMV ohne finanziellen Schaden vorzeitig aussteigen?
Stern: Sie werden verstehen, dass wir nicht über firmeninterne Vorgänge reden und darüber auch nicht öffentlich diskutieren können.
STANDARD: Aber schaut es eher gut oder schlecht aus im Sinne eines vorzeitigen Ausstiegs aus den Verträgen?
Stern: Wir leben nicht von Ankündigungen, sondern davon, dass wir Aktionen setzen, und werden rechtzeitig berichten, sollte es irgendwelche Veränderungen geben. Wir handeln jedenfalls im Interesse des Unternehmens und seiner Kunden.
STANDARD: OMV ist noch immer zu knapp 25 Prozent am Erdgasfeld Juschno-Russkoje in Sibirien beteiligt. Wollen Sie das nicht verkaufen, oder hoffen Sie auf eine Zeit nach Putin?
Stern: Hoffnung ist ein schlechtes Managementtool. Wichtig ist, dass man Ruhe bewahrt und Dinge tut, die der OMV nicht grundlos finanziellen Schaden zufügen. Wir haben gesagt, Russland ist keine Kernregion mehr für uns. Die Beteiligung an diesem Erdgasfeld, das gut und günstig produziert, haben wir dekonsolidiert, wertberichtigt und haben gesagt, wir schauen uns alle Optionen an. Wir haben bisher keine Möglichkeit gefunden, die Beteiligung zu verkaufen, auch weil sich die Gesetzeslage in Russland ständig ändert.
STANDARD: Ab Dezember sollen EU-weit Übergewinne von Unternehmen abgeschöpft werden, die in der Energiekrise besonders viel verdienen. Was heißt das für die OMV?
Stern: Es wird als Solidaritätsabgabe deklariert, bei der Brüssel den Rahmen vorgibt und die Nationalstaaten das umsetzen sollen. Weil noch nichts vorliegt, kann ich keine Aussage dazu machen.
STANDARD: Haben Sie Verständnis für die Maßnahme?
Stern: Verständnis schon, weil der Druck auf Familien und Unternehmungen wegen der Teuerung enorm ist. Ich halte das trotzdem für ein falsches Signal, weil Unternehmen, die in Europa Energie produzieren, besteuert werden. Es ist eine Aufforderung für Investitionen außerhalb Europas. Das verbessert aber nicht die Angebotssituation bei uns, was aber nötig wäre, damit die Preise wieder sinken. (Günther Strobl, 13.10.2022)