Ob der Libanon von den Gasvorkommen profitieren können wird, wird sich erst zeigen.

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Tel Aviv – Die israelische Regierung hat nach langem Streit um die Seegrenze zum Libanon den Kompromissvorschlag der USA abgesegnet. Die Mitglieder des Kabinetts stimmten mit großer Mehrheit für das Abkommen, wie es nach einer Sitzung am Mittwochnachmittag hieß. Am Abend sollte die Vereinbarung dem Parlament vorgelegt werden. Medienberichten zufolge haben die Mitglieder der Knesset dann zwei Wochen lang Zeit, Vorbehalte anzumelden.

In dem jahrzehntelangen Streit ging es um ein Gebiet im Mittelmeer, das sowohl Israel als auch der Libanon als deren ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen. Der Konflikt um den Grenzverlauf hatte sich nach der Entdeckung von großen Mengen Erdgas verschärft. Am Dienstag hatte Israels Regierungschef Yair Lapid eine Einigung verkündet. Eine offizielle Bestätigung aus Beirut stand noch aus, das Büro von Präsident Michael Aoun teilte jedoch mit, dass die endgültige Fassung des Abkommens den Libanon zufriedenstelle. Die Verhandlungen liefen unter Vermittlung der USA. Offiziell befinden sich beide Länder im Kriegszustand. Beobachter hatten gewarnt, dass ein Scheitern der Verhandlungen zu neuer Gewalt führen könnte.

Israel will Gas an Europa liefern

Wie israelische Medien am Mittwoch berichteten, wird dem wirtschaftlich angeschlagenen Libanon durch das Abkommen die Erschließung des Offshore-Gasfeldes Kana ermöglicht. Wie viel Gas dort tatsächlich gefördert werden kann, ist noch unklar. Das Gebiet rund um die Karisch-Gasplattform nordöstlich der israelischen Hafenstadt Haifa bleibt im israelischen Hoheitsgebiet. Das Land wollte dort in Kürze mit der Produktion beginnen. Das Gas aus Israel könnte auch zur Linderung der Energiekrise in Europa beitragen.

Das Abkommen werde Ländern auf der ganzen Welt saubere und erschwingliche Energie liefern, schrieb Israels Regierungschef Lapid auf Twitter. Kürzlich kündigte er bereits an, Gasexporte nach Europa erhöhen zu wollen.

"Hoffentlich wird das nächstes Jahr möglich sein", sagte Lapid nach Gesprächen mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz im September in Berlin. Israel könne etwa zehn Prozent des russischen Gases ersetzen. Das Land hat durch die Gasfelder Leviathan und Tamar vor der Küste seinen Energiebedarf bereits gesichert. Das größte Problem ist der Transport des Gases nach Europa.

Für Ägypten wie auch für Nachbar Jordanien ist Israel schon einer der wichtigsten Gaslieferanten. Mit einer neuen Vereinbarung soll nun über Ägypten verflüssigtes Gas nach Europa kommen. Dazu unterzeichneten beide Länder im Beisein von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juni eine Absichtserklärung.

Libanon hofft

Auch der Libanon schöpft aus dem Abkommen Hoffnung. Das kleine Land am Mittelmeer leidet seit drei Jahren unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte und könnte einen Geldsegen gut gebrauchen. Die Förderung von Öl und Gas werde das Land aus dem "Abgrund" ziehen, sagte Präsident Aoun am Mittwoch. Der Staat ist praktisch pleite. Die libanesische Lira hat mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren und sinkt weiter. Drei Viertel der Bevölkerung lebt mittlerweile unter der Armutsgrenze.

Experten zeigen sich jedoch zurückhaltend. Bisher ist nicht einmal klar, ob die libanesischen Vorräte im Mittelmeer so groß sind, dass sich eine kommerzielle Förderung lohnt. Es gibt auch keine Infrastruktur, um Gas zu exportieren, weder Pipelines noch Flüssiggasterminals. Für eine Nutzung im Inland müsste die Regierung erst in Gaskraftwerke investieren. Es dürfte Jahre dauern, bis das Land von den Bodenschätzen profitiert.

Die Bedeutung des Abkommens geht jedoch über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus: Die verfeindeten Staaten Libanon und Israel haben sich erstmals auf eine Seegrenze geeinigt. Offiziell befinden sich die beiden Länder seit Jahrzehnten im Kriegszustand.

Jedenfalls will der Libanon jeglichen Anschein vermeiden, dass dem Abkommen mit Israel auch eine politische Annäherung folgen könnte. Unterzeichnet werden soll das Abkommen im Uno-Hauptquartier Naqura im Süden des Libanon – allerdings in getrennten Räumen. (APA, red, 12.10.2022)