Alles angerichtet, nur wo sind die Gäste? Dirk Stermann glänzt als vom Leben gezeichneter Brautvater in seinem ersten Solokabarett.

Foto: Ingo Pertramer

Auf der Bühne des Wiener Rabenhoftheaters ist eine Hochzeitstafel gedeckt. Turmtorte mit Pärchenfigur obenauf, Herzerldeko, Stielgläser in allen Variationen, alles da, nur Gäste gibt es keine, selbst das Brautpaar fehlt.

Ein reiferer Herr mit Leslie-Nielsen-Haar betritt den Festraum, im feinsten Zwirn, souveräne Coolness ausstrahlend. Es ist der Brautvater, der vor dieser angeblich schönsten Sause im Leben seiner Tochter noch schnell die Festrede einstudiert. Das denkt man zumindest, und das sagt der feine Herr auch. Doch die Fassade wird in den nächsten zwei Stunden noch zu bröckeln beginnen.

Der Brautvater, der sich hier traut, zum ersten Mal ein selbstverfasstes Solokabarett zu bestreiten, ist Dirk Stermann. Der gebürtige Duisburger gilt zwar als Lieblingsdeutscher aller Österreicher, sein Vorname liege bei den beliebtesten Bubennamen dennoch nur "auf dem letzten Platz, drei Plätze hinter Adolf", wie Stermann sagt.

Kabarettistenehe seit 30 Jahren

Neben seinen literarischen Erzeugnissen, die übrigens durchwegs Lob ernten, kannte man Stermann bisher nur als mildere Ergänzung zur gut und gerne hart über die Stränge schlagenden Rampensau Christoph Grissemann. Zusammen funktioniert diese Kabarettistenehe seit über 30 (!) Jahren zumindest nach außen hin 1A. Zweifel sind also angebracht: Geht das auch solo?

Ja, es geht. Und wie! Okay, über den unnötig verklausulierten Titel des Stücks, Zusammenbraut, hätte man vielleicht noch ein paar Nächte schlafen sollen, ansonsten aber hat Stermanns Solo alles, was man sich erhoffen durfte: zündende Pointen, hohen wie tiefen Schmäh, selbstironische Entblößung bei Wahrung eines Mindestmaßes an Menschenwürde, und einfach eine gute Story mit Hand, Fuß und Hirn.

Der Brautvater, den Stermann gibt, ist nämlich keine glückliche Gestalt. Er ist zynisch, selbstmitleidig, lange Jahre nach der gescheiterten Ehe mit der Brautmutter ist er aber auch ehrlich einsichtig, dass er einen ausgesprochen tüchtigen Rabenvater abgegeben hat.

Kina und der Volleyball

Heute, bei seinem spätgeborenen Zweiten, schiebt er zwar den Kinderwagen, was praktisch ist, "weil man ihn zugleich als Gehhilfe verwenden kann". Bei seiner erwachsene Tochter aber, die auf den originellen Namen Kina hört und nun einen dem Papa nicht recht schmeckenden amerikanischen Jazz-Klarinettisten namens Wilson ("der Volleyball") ehelicht, hat er, man muss es so sagen: ausgeschissen.

Natürlich denkt man dabei an Maren Ades fantastische Vater-Tochter-Tragikomödie Toni Erdmann, und das Motiv der Hochzeit mag als Verhandlungsort für existenzielle (Melancholia) bis superstupide Fragen (American Pie) gut durchdekliniert sein. Trotzdem schafft es Stermann, dem Genre Hochzeitkomödie viel eigenes hinzuzufügen. Allein schon sein Cover von Leonard Cohen, zu dem er stimmlich erstaunlich tief hinunterkommt, ist einen Besuch wert. Für Stermanns Kabarettistenzukunft gilt: Emanzipation gelungen, offene Ehe erlaubt. (Stefan Weiss, 13.10.2022)