Die #MeToo-Bewegung entlarvte viele Branchengrößen als Täter.

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Vor fünf Jahren formte sich mit #MeToo eine Welle, die vom Netz aus vor allem auf die Kunst- und Kulturszene überschwappte und viele als unantastbar geltende Größen mitriss. Die Bewegung beendete das Stillschweigen, das teils jahrzehntelang über die sexuellen Übergriffe mächtiger Männer gewahrt wurde. Ein Blick auf die Folgen zeigt: In besonders schweren Fällen führte #MeToo zu später Gerechtigkeit, in anderen eher zu einer professionellen und sozialen Isolation. Mitunter verursachten die Vorwürfe nicht mehr als einen kurzen Karriereknick. Überall dort, wo es keine Verurteilung gibt, gilt juristisch die Unschuldsvermutung und die öffentliche Meinung ist entscheidend – und in manchen Fällen bleibt sie auf der Seite der Beschuldigten. Eine Auswahl an Prominenten und den Konsequenzen für sie.

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Harvey Weinstein: Vom Unantastbaren zum Unberührbaren

Jahrelang war die "Besetzungscouch" von Harvey Weinstein in Hollywood ein offenes Geheimnis. Immer wieder fielen von Comedians oder in TV-Shows entsprechende Andeutungen. Im Oktober 2017 sprachen die Schauspielerin Ashley Judd und weitere Frauen mit der "New York Times" erstmals öffentlich über sexuelle Übergriffe durch den mächtigen US-Produzenten, die sich über drei Jahrzehnte zogen. Anschließend warfen mehr als ein Dutzend Frauen Weinstein im "New Yorker" sexuelle Übergriffe vor. Berichtet wurde auch von Stillschweigevereinbarungen, die Frauen unterschreiben sollten.

Insgesamt beschuldigten den einst gefeierten Produzenten von Erfolgsfilmen wie "Pulp Fiction" und "Shakespeare in Love" rund 100 Frauen, darunter die Schauspielerinnen Salma Hayek, Rose McGowan und Gwyneth Paltrow. Die Vorwürfe reichten von unangemessenen Berührungen über sexuelle Nötigung und Drohungen bis zu Vergewaltigungen. Nach Bekanntwerden des Skandals rief die US-Schauspielerin Alyssa Milano am 15. Oktober Betroffene von sexueller Gewalt auf, unter dem Hashtag #MeToo ihre Erfahrungen zu teilen.

Am 8. Oktober 2017 setzte der Verwaltungsrat der Weinstein Company Weinstein als Vorstandschef ab, neun Tage später trat er von seiner Funktion im Aufsichtsrat zurück. Mehrere Unternehmen beendeten ihre Zusammenarbeit mit der Weinstein Company. Weinstein wurde von den Academys, die den Oscar und den Emmy verleihen, ausgeschlossen. Auch die British Academy of Film and Television Arts (Bafta) suspendierte die Mitgliedschaft Weinsteins.

Rechtliche Konsequenzen folgten schließlich 2020, als Weinstein in New York wegen Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Derzeit läuft ein weiterer Prozess in Los Angeles gegen den heute 70-Jährigen, bei dem ihm fünf Frauen sexuelle Übergriffe zwischen 2004 und 2013 vorwerfen.

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Bill Cosby: Der Entertainer mit zwei Gesichtern

Die Karriere Bill Cosbys ging dort zu Ende, wo sie anfing: auf einer Comedy-Bühne. Cosby, Jahrgang 1937, hatte seinen Durchbruch als Komiker. Bald danach wechselte er ins Schauspielfach und wurde als erster Afroamerikaner mehrfach mit Emmys ausgezeichnet. Seine "Bill Cosby Show" zeigte erstmals den Alltag einer wohlhabenden schwarzen Familie in den USA. Die Serie machte ihn zu einem Giganten der familienfreundlichen Unterhaltung.

Doch während seiner jahrzehntelangen Karriere gab es immer wieder Vorwürfe gegen Cosby. 2004 sagte Andrea Constand aus, Cosby habe sie unter Drogen gesetzt und missbraucht. Da solche Drogen nur kurze Zeit nachweisbar sind, wurde der Fall aus Mangel an Beweisen nicht weiter verfolgt. Im Jahr darauf reichte Constand Zivilklage gegen Cosby ein. 13 weitere Frauen erklärten sich bereit, gegen ihn auszusagen. Der Fall wurde außergerichtlich beigelegt und erhielt wie weitere Vorwürfe in den folgenden Jahren wenig Beachtung.

Das ändert sich erst nach einem Auftritt des Comedians Hannibal Buress im Herbst 2014. "Ich verwende vor der Kamera keine Schimpfworte!", imitiert er Cosby. Um dann nachzuschieben: "Mag sein, aber du bist ein Vergewaltiger." Auf das ungläubige Lachen des Publikums hin empfiehlt er, einfach einmal zu googeln. Ein Mitschnitt des Auftritts geht viral und löst eine Kettenreaktion aus.

Immer mehr mutmaßliche Opfer melden sich nun zu Wort. Schlussendlich sind es knapp 60 Frauen. Viele ihrer Erzählungen ähneln sich: Cosby habe ihnen ein Getränk angeboten, sie hätten das Bewusstsein verloren und seien später nackt und orientierungslos aufgewacht. Durch die erhöhte Aufmerksamkeit wegen der #MeToo-Bewegung wird auch ein weiterer bereits beigelegter Fall öffentlich. Cosby hatte damals unter Eid zugegeben, einer Frau Betäubungsmittel verabreicht und sie anschließend missbraucht zu haben.

Die meisten der Vorfälle sind verjährt, doch Constands Fall wird erneut aufgenommen. 2015 wird Cosby wegen drei Fällen sexueller Übergriffe zweiten Grades angeklagt. Ein erster Prozess endet aufgrund von Uneinigkeit der Geschworenen ohne Urteil. 2018 wird Cosby im zweiten Anlauf zu drei bis zehn Jahren Haft verurteilt. Im Sommer 2021 hebt der Oberste Gerichtshof von Pennsylvania das Urteil auf, weil er durch das Verhalten eines Staatsanwalts unter anderem Cosbys Recht auf einen gerechten Prozess verletzt sieht. Der damals 83-Jährige wird noch am selben Tag aus der Haft entlassen.

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R. Kelly: 30 Jahre Missbrauch, 30 Jahre Haft

Das Debütalbum der legendären R-'n'-B-Sängerin Aaliyah trägt den Titel "Age Ain’t Nothing but a Number" – das Alter ist nichts als eine Zahl. Aaliyah war bei Erscheinen des Albums 15 Jahre alt. Geschrieben und produziert hatte es ihr damaliger "Ehemann", der 27-jährige R. Kelly. Der erfolgreiche Sänger und Songschreiber hatte die Minderjährige im Sommer 1994 in einer nicht rechtsgültigen Zeremonie geheiratet. Die Ehe mit Aaliyah wurde schließlich annulliert, weitere Konsequenzen gab es nicht.

Dieses Muster setzt sich über Jahrzehnte fort. 2002 wird ein Video öffentlich, das Kelly dabei zeigt, wie er auf ein 13-jähriges Mädchen uriniert. Das mutmaßliche Opfer weigert sich auszusagen, eine Klage gegen Kelly wegen Kinderpornografie wird fallengelassen. Er ist und bleibt einer der kommerziell erfolgreichsten Musiker dieser Zeit. Kelly veröffentlicht insgesamt 14 Studioalben und schreibt Lieder für Stars wie Michael Jackson, Britney Spears und Lady Gaga.

Erst im Sommer 2017 kommt es zu einem öffentlichen Aufschrei. In einem Artikel kommen Eltern zu Wort, deren Töchter seit Jahren bei Kelly leben sollen. Der Musiker kontrolliere und missbrauche sie, Kontakt sei schwer oder gar nicht möglich. Die im Rahmen der #MeToo-Bewegung gegründete Künstlerinnenvereinigung "Time’s up!" ruft zu einem Boykott von Kellys Musik auf. Spotify, Apple Music und Pandora entfernen zwischenzeitlich seine Alben. Kelly lässt über seine Sprecher ausrichten, dass es sich dabei um "ein versuchtes Lynching" handle.

Rechtliche Konsequenzen gibt es schließlich 2019, ganze 25 Jahre nach der Nichtehe mit der 15-jährigen Aaliyah. In der Serie "Surviving R. Kelly" berichten mehrere Frauen, unter ihnen auch seine frühere Ehefrau, von sexuellem Missbrauch und Gewalt. Im Monat darauf wird ein Haftbefehl gegen R. Kelly erlassen. In Illinois, New York und Minnesota liegen Klagen gegen ihn vor. Im Herbst 2021 spricht ihn ein Geschworenengericht in New York in allen Punkten schuldig, darunter wegen sexueller Ausbeutung Minderjähriger, Entführung und Zwangsarbeit. Kelly wird zu 30 Jahren Haft verurteilt. Im September dieses Jahres wird er auch in Chicago des Missbrauchs Minderjähriger schuldig gesprochen. Das zusätzliche Strafmaß soll im Frühjahr verkündet werden.

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Kevin Spacey: Die Karriere als Kartenhaus

Im Herbst 2017 gibt der Schauspieler Anthony Rapp ein Interview. Darin erzählt er nicht zum ersten Mal, dass ihn ein betrunkener erwachsener Mann auf einer Party sexuell belästigt habe, als er erst 14 Jahre alt war. Zum ersten Mal nennt Rapp aber, bestärkt durch die #MeToo-Bewegung, den Namen des Mannes: Kevin Spacey. Spacey ist Regisseur, zweimal mit dem Oscar prämierter Schauspieler und gerade für die Netflix-Serie "House of Cards" tätig. Noch am selben Tag entschuldigt er sich auf Twitter bei Rapp für den Vorfall, an den er sich nicht erinnern könne, und schließt sein Coming-out als schwuler Mann an. Für diese Botschaft wird Spacey heftig kritisiert: Er vermenge darin Homosexualität mit sexuellen Übergriffen gegenüber Minderjährigen.

Binnen Tagen melden sich 15 weitere junge Männer zu Wort, acht von ihnen Angestellte am Set von "House of Cards". Die Dreharbeiten für die letzte Staffel der Serie werden unterbrochen, die Zahl der Folgen schließlich halbiert und Spacey als Hauptdarsteller entfernt. Auch der Film "Gore" wird wegen Spaceys Beteiligung abgesagt, aus dem Film "All the Money in the World" werden seine Szenen entfernt und mit einem anderen Darsteller neu gefilmt. Auch Agentur und Sprecherin trennen sich von Spacey.

In den USA werden mehrere Verfahren gegen Kevin Spacey angestrengt, die aus verschiedenen Gründen versanden: Zwei Klagen werden zurückgezogen, in einem dritten Fall verstirbt das mutmaßliche Opfer vor Prozessbeginn. In seiner Wahlheimat Großbritannien wird indes in sechs Fällen gegen Spacey ermittelt. Im Frühjahr 2022 wird er dort schließlich der sexuellen Nötigung in vier Fällen angeklagt. Im Sommer bekennt sich Spacey in London nicht schuldig, der Prozess soll im Juni kommenden Jahres beginnen. Auch Anthony Rapp hat zivilrechtlich Klage gegen Spacey eingereicht. Der Prozess wurde im Oktober 2022 wiederaufgenommen und läuft derzeit.

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Foto: AFP / Adrian Sanchez-Gonzalez

Louis C.K.: Ein Täter auf Welttournee

Im November 2017 erschien in der "New York Times" ein Artikel, der seit Monaten zirkulierende Gerüchte über den Komiker Louis C.K. untersuchte. C.K., mit bürgerlichem Namen Louis Székely, zählt zu den bekanntesten Komikern der USA. Für seine Stand-up-Specials und Filmauftritte ist er mit mehreren Grammys, Peabody Awards und Primetime Emmys ausgezeichnet worden. In dem Artikel warfen ihm fünf Frauen, selbst professionelle Komikerinnen, sexuelle Übergriffe vor. C.K. habe sich vor ihnen entblößt und masturbiert, in einem Fall masturbierte er während eines Telefonats mit einer der Frauen.

Wenig später bestätigte der Komiker ihre Schilderungen in einem Statement: "Diese Geschichten sind wahr. Damals sagte ich mir, dass, was ich tat, okay war, weil ich einer Frau nie meinen Schwanz zeigte, ohne sie vorher zu fragen." Mehrere Opfer hatten angegeben, seine unvermittelte Frage für einen Scherz gehalten zu haben. "Die Macht, die ich über diese Frauen hatte, war, dass sie mich bewunderten", schrieb C.K. weiter. "Und ich habe diese Macht unverantwortlich ausgeübt."

Als Folge seines Eingeständnisses wurde C.K.s Film "I Love You, Daddy" nicht veröffentlicht. Die Plattformen FX und Netflix sagten mit ihm geplante Projekte ab. Auch als Synchronsprecher für den Disney Channel und für Kinderfilme wurde C.K. gekündigt. Nach einer kurzen Pause trat er im Sommer 2018 unangekündigt erstmals wieder als Komiker auf. Im Frühjahr 2020 veröffentlichte er auf seiner Website ein neues Stand-up-Special mit dem Titel "Sincerely, Louis C.K." Im Jahr 2021 tourte er damit durch die USA, 2022 durch Europa. Im April 2022 wurde er für "Sincerely, Louis C.K." mit einem Grammy ausgezeichnet.

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Foto: APA / AFP / Jim Watson

Johnny Depp: Ein Charakter vor Gericht

Wild, exzentrisch, extravagant: So haben viele den über Jahrzehnte erfolgreichen Hollywood-Schauspieler Johnny Depp und seine Rollen im Kopf. Bekannt wurde er etwa als "Edward mit den Scherenhänden", als teuflischer Friseur in "Sweeney Todd" oder als angeheiterter Pirat in der "Fluch der Karibik"-Reihe. Für seine Arbeit wurde er mehrfach prämiert.

Unter Drogeneinfluss, wütend, gewalttätig: So haben Johnny Depp Menschen in seinem Umfeld immer wieder beschrieben. In den vergangenen Jahren gab es Berichte über exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum, Bedrohungen sowie Gewaltausbrüche am Filmset, etwa 2017, als er ein Crewmitglied angeschrien und angegriffen haben soll. 2016 reichte die Schauspielerin Amber Heard die Scheidung von ihm ein und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen ihn. Wenig später war sie mit Verletzungen im Gesicht auf dem Cover des "People Magazine" zu sehen. 2018 bezeichnete Heard sich in einem Beitrag für die "Washington Post" als "öffentliche Figur, die häusliche Gewalt repräsentiert". Zweimal zog Depp wegen Verleumdung vor Gericht. 2020 verlor er in Großbritannien den Prozess gegen eine Boulevardzeitung, die ihn als "Wifebeater" bezeichnet hatte. Bei jenem gegen Amber Heard in den USA dieses Jahr wurde ihm Recht gegeben.

Nach den Vorwürfen war Depp weiter als Schauspieler tätig, wenn auch nicht so erfolgreich wie zuvor. Als Gitarrist und Sänger ging er mit Alice Cooper und Joe Perry in der Rockveteranen-Gruppe "Hollywood Vampires" 2016 und 2018 auf Welttournee. 2021 war er Testimonial des französischen Modeunternehmens Christian Dior für den Duft "Sauvage" – übersetzt: wild.

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Dieter Wedel: Vorwürfe mit ins Grab genommen

Rechtliche Konsequenzen im Fall Dieter Wedel wird es nicht mehr geben. Der deutsche Regisseur, der etwa mit dem Mehrteiler "Einmal im Leben" rund um die fiktive Familie Semmeling bekannt wurde, starb im Sommer 2022 mit 82 Jahren. Im "Zeit-Magazin" und in der "Zeit" warfen ihm mehrere Schauspielerinnen und Mitarbeiter 2018 gewalttätige und sexuelle Übergriffe vor, die bis in die 1970er, 1980er und 1990er zurückreichten. Sieben Frauen berichteten von schweren Delikten bis hin zur Vergewaltigung. Insgesamt meldeten sich bei der "Zeit" mehr als 20 Frauen mit Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen Wedel. Der Fall wurde zum bekanntesten der deutschen #MeToo-Debatte.

Nach Bekanntwerden der Vorwürfe trat Wedel als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele zurück. Filme und Serien von ihm erschienen nach den Anschuldigungen nicht mehr, seine letzte TV-Serie lag damals allerdings bereits acht Jahre zurück ("Gier", 2010).

Anfang 2018 leitete die Staatsanwaltschaft München I Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts einer nicht verjährten Sexualstraftat ein. Die Schauspielerin Jany Tempel hatte ausgesagt, dass Wedel sie 1996 in einem Münchner Hotel vergewaltigt habe. In der Anklageschrift fanden sich 21 Zeuginnen und Zeugen, die Tempels Aussagen bestätigen konnten oder mit Wedel gearbeitet hatten. Erst im März 2021 wurde Anklage erhoben, das Hauptverfahren wurde aber nie eröffnet: In der Woche von Wedels Tod hätte die Entscheidung fallen sollen, ob ihm der Prozess wegen Vergewaltigung gemacht wird. Aufgrund der langen Verfahrensdauer war Jany Tempel zwischenzeitlich in den Hungerstreik getreten.

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Gustav Kuhn: Fragwürdige Festspiele

Gustav Kuhn rief 1997 die Tiroler Festspiele Erl ins Leben, jahrzehntelang war er erfolgreicher Dirigent, Komponist und Regisseur. Doch 2018 brachte der Tiroler Blogger Markus Wilhelm mit seinen Recherchen die Causa Erl ins Rollen: Auf seinem Blog "dietiwag.org" machte er Vorwürfe der sexuellen Belästigung und des Machtmissbrauchs öffentlich. Bei den Festspielen bestehe zudem der Verdacht auf Lohndumping, Lohnwucher, Scheinselbstständigkeit und Abgabenhinterziehung, schrieb Wilhelm.

Im Juli 2018 beschuldigten fünf Musikerinnen Kuhn in einem offenen Brief sexueller Übergriffe zwischen 1998 und 2017. Im Juli 2018 stellte Kuhn seine Funktion als künstlerischer Leiter der Festspiele ruhend. Im September wurde er auch als Dirigent in Erl beurlaubt. Im Oktober legte er alle seine Funktionen zurück.

Kuhn bestritt die Vorwürfe stets, der Industrielle Hans-Peter Haselsteiner, Präsident der Tiroler Festspiele Erl, hielt lange zu ihm. Kuhn, Haselsteiner und dessen Anwalt Michael Krüger überschütteten den Blogger Wilhelm mit Klagen. Im April wurde die Berufung der letzten von insgesamt 18 Klagen vom Oberlandesgericht Innsbruck (OLG) abgewiesen. Das OLG befand, dass Wilhelm seine Vorwürfe zu Recht erhoben hatte und ein besonderes öffentliches Interesse vorlag.

Die Gleichbehandlungskommission des Bundeskanzleramts hielt 2019 in einem Gutachten fest, dass es zu sexuellen Belästigungen durch Kuhn gekommen sei. Das strafrechtliche Verfahren, bei dem Vorfälle in Bezug auf 15 Frauen geprüft wurden, wurde im März 2020 von der Staatsanwaltschaft Innsbruck dennoch eingestellt, da kein Vorfall übrig sei, "der strafbar, nicht verjährt und beweisbar gewesen wäre".

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Brett Kavanaugh: Ein Beschuldigter auf höchstem Richterposten

36 Jahre hat Christine Blasey Ford geschwiegen. Doch 2018 erkennt die Psychologieprofessorin in jenem Mann, der Höchstrichter am US-Supreme Court werden soll, ein bekanntes Gesicht. Brett Kavanaugh und sie gingen gemeinsam zur Schule. Als sie 15 und er 17 Jahre alt war, soll er versucht haben, sie zu vergewaltigen. Ford geht an die Öffentlichkeit und wiederholt ihre Vorwürfe vor Millionen TV-Zuseher:innen unter Eid. Eine weitere Frau, Deborah Ramirez, wirft Kavanaugh sexuelle Belästigung bei einer Party während ihrer Studienzeit vor.

Der erzkonservative Jurist bestreitet die Vorwürfe und bekommt Unterstützung von jenem Mann, der ihn als Höchstrichter nominiert hat: dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Gegen diesen selbst gab es dutzende Vorwürfe. Trump war ins Weiße Haus einzogen, nachdem ein Audiomitschnitt öffentlich wurde, in dem er damit prahlte, Frauen zu küssen und ihnen zwischen die Beine greifen zu können, wann immer er wolle.

Die Bestätigung Kavanaughs im Senat wird kurzzeitig aufgeschoben, nur wenige Tage lang untersucht das FBI die Vorwürfe. Republikanische Senator:innen sagen über den FBI-Bericht, er habe nichts enthalten, "was wir nicht schon wussten". Mit vielen Zeug:innen wurde aber nicht gesprochen, nicht einmal mit Kavanaugh oder Ford selbst. Mehr als 2.400 Jusprofessor:innen fordern die Senator:innen auf, gegen Kavanaugh zu stimmen, etwa weil er bei seiner Anhörung im Senat parteiisch argumentiert und bei der Suche nach der Wahrheit nicht angemessen kooperiert habe. Am 6. Oktober 2018 erhält Kavanaugh dennoch mit 50 zu 48 Stimmen eine Mehrheit im Senat und sitzt seither auf Lebenszeit am US-Höchstgericht.

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Wolfgang Fellner: Der Medienmanager

"Wiener Medienmanager" – so wird Wolfgang Fellner, Gründer der Mediengruppe Österreich, lange geheimnisvoll bezeichnet, als über einen Prozess am Wiener Arbeits- und Sozialgericht berichtet wird. Die Moderatorin Raphaela Scharf steht damals vor Gericht: Sie wirft ihrem ehemaligen Chef vor, er habe sie sexuell belästigt, was Fellner zurückweist. Oe24.tv, der Sender aus der Mediengruppe, entlässt sie daraufhin fristlos. Scharf klagt gegen ihre Entlassung, Fellner klagt sie auf Unterlassung der Vorwürfe. Ende April 2021 wird Wolfgang Fellner erstmals namentlich in der "Zeit" genannt. Daraufhin erheben auch die Journalistinnen Katia Wagner und Angela Alexa Belästigungsvorwürfe gegen ihn.

Ranghohe Politikerinnen kündigen an, Fellner nicht mehr für Interviews in seiner Sendung zur Verfügung zu stehen, solange die Vorwürfe nicht ausgeräumt seien. Fellner verordnet sich daraufhin eine Bildschirmpause, beurlaubt sich als Oe24-Moderator und beauftragt die Wirtschaftskanzlei BDO, die Vorwürfe zu prüfen. Gut einen Monat später ist er wieder auf Oe24 zu sehen. Der BDO-Bericht, der erst Ende August abgeschlossen ist und Fellner entlasten soll, wird nicht öffentlich. Interviews zwischen BDO und Scharf oder Wagner kamen nicht zustande.

Weil er Aussagen Wagners und Scharfs als frei erfunden bezeichnet hatte, wurde Fellner mehrfach wegen übler Nachrede verurteilt. Die Klage auf Unterlassung der Behauptung, dass Fellner Scharf sexuell belästigt habe, wurde im Herbst 2021 abgewiesen und ist mittlerweile rechtskräftig. Beide Parteien wurden vom Gericht als "gleich glaubwürdig" wahrgenommen. Im April kam es im arbeitsrechtlichen Verfahren zu einem Vergleich zwischen Fellner und Scharf, die Journalistin erhielt 65.000 Euro Schadenersatz. Im Juli stellte die Gleichbehandlungskommission im Fall Wagner eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts durch eine sexuelle Belästigung nach dem Gleichbehandlungsgesetz fest. (Ricarda Opis, Noura Maan, 15.10.2022)