Wohl versehen mit vielen guten Ratschlägen für ein Upgrading seiner Präsidentschaft kann Alexander Van der Bellen frohgemut in seine zweite Amtsperiode entgleiten. Umso weniger verständlich, dass seit seiner Bestätigung vier volle Tage verstrichen sind – und die Regierung Nehammer noch immer nicht entlassen ist. Das lässt auf jene gewisse Verstocktheit schließen, die im Wissen um die Regeln der Verfassung wurzelt, wie sie nur Gegnern des "Systems" egal sind. Oder wollte man der Regierung noch die Chance geben, ein Budget vorzulegen. Wer weiß?
Die Wählerinnen und Wähler haben die Zögerlichkeit Van der Bellens geahnt, sie ihm mit einer Wiederwahl gelohnt, ohne dabei mehr zu verspüren als ein Gefühl der Pflicht. Staatsbürgerliche Gefühlsaufwallungen stellten sich ob des Kandidaten ein, der es national auf den dritten und kommunal auf den zweiten Platz geschafft hat. Sie waren so heftig, dass Hans Peter Doskozil nichts Eiligeres zu tun hatte, als seine Genossen verschwörerisch zu warnen, Dominik Wlazny wäre "für die Sozialdemokratie ein vielleicht größerer Faktor als für andere Parteien".
Auch die Kronen Zeitung distanzierte sich angesichts dieses Faktors von ihrer Fehlinvestition in Tassilo Wallentin. Hat sie zuvor ihren Krawallkolumnisten zur Umkrempelung Österreichs ermuntert, sind plötzlich Leserbriefe zugelassen, die "das unkonventionelle Denken der jungen Wilden" begeistert begrüßen. Eine Wolke des Wohlgefühls, wie sie sich nach einem guten Joint einstellen soll, umwabert den Faktor, der sich äußerlich durchaus reizvoll von gewöhnlichen Politikern unterscheidet.
Sehnsucht nach Veränderung
Wie es mit der politischen Substanz aussieht, ist freilich noch völlig offen. Wlaznys Standardslogan, es brauche Veränderung, war in keiner Phase seines Wahlkampfes praxisnah definiert, worin sie bestehen und wohin sie führen soll. Das müsste sich rasch ändern, will er tatsächlich zu jener Hoffnung heranreifen, die sich nun viele machen. Leicht wird das nicht – wenn er es überhaupt wirklich anstrebt.
Er hat diesmal davon profitiert, dass neben dem amtierenden Präsidenten keine Kandidaten von SPÖ und ÖVP antraten und daneben sich nur der rechte Mief des Landes in unterschiedlichen Geschmacksnuancen präsentierte. Wer den nicht wollte und dennoch Veränderung, wie das der Sehnsucht vieler junger Menschen entsprach, der musste bei Wlazny landen. So leicht wird es bei den nächsten Wahlen in Bund und Ländern für ihn nicht werden. Da wird er mit einem diffus unkonventionellen Programm wie zuletzt – wenn man überhaupt von einem solchen sprechen kann – eingezwängt sein zwischen Sozialdemokraten, Grünen und Neos. Die predigen alle Veränderung, und die Gefahr, zwischen so vielen Veränderungspredigern zerrieben zu werden, ist noch immer etwas größer, als zum Faktor anderer Parteien zu werden. Selbst wenn er dann ein Acht-Prozent-Ergebnis wiederholen kann, wäre er nur dort angekommen, wo er nicht hinwill – im politischen Alltagstrott, wo Veränderung hartes Bohren ist.
Wlazny hat bei vielen jungen Menschen Hoffnungen geweckt. Ob er gewillt ist, mit diesen zu einem ernstzunehmenden Faktor in der Politik zu werden, muss er rasch beweisen. Wahlen drängen heran. Als bloßer Spaßfaktor würde er seine Wähler vom Sonntag enttäuschen. Das wäre schade. (Günter Traxler, 13.10.2022)