Wien – Künstlerinnen und Künstler äußern nach Sparankündigungen für Ö1 und Überlegungen für FM4 als "junges Ö3" die Sorge: "Der ORF schafft uns ab." Am Freitag warnten einige von ihnen, darunter auch ORF-Stiftungsrat und Komponist Christian Kolonovits, in der Wiener Concordia vor einem solchen Drohszenario. Da ging es um eine deutsche Formatradio-Studie, die österreichische Musik als Ausschaltimpuls definiere, um die GIS-Legitimation des ORF durch Kultur und um Rasenmäher und Skalpelle.
Update: Kompromiss über Ö1-Sparbudget kolportiert – mehr hier.
Gefährdung der Gebührenlegitimation
Kultur sei ein zentrales Alleinstellungsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, erinnerte etwa Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich, bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Stelle der ORF dieses Alleinstellungsmerkmal infrage, dann gefährde er damit auch die Gebührenlegitimation des ORF.
"Weniger Rasenmäher, mehr Skalpell"
Christian Kolonovits ist in dieser Diskussion in einer Doppelrolle als Musikschaffender und Ausführender, seit Frühjahr aber auch ORF-Stiftungsrat des Burgenlands. Er appellierte an den ORF, "seine Überlegungen noch einmal zu hinterfragen und eine respektvolle Diskussion zu diesen kulturellen Überlebensthemen" zu führen. Er empfiehlt, "weniger Rasenmäher, mehr Skalpell" einzusetzen.
Kolonovits verortet seine Rolle als ORF-Aufsichtsrat im "Verantwortungsgefühl für alle, die im ORF Kultur schaffen, damit dem ORF als Zuhause des Kulturauftrags kein Schaden entsteht" – für den ORF und für die gesamte Kulturszene.
Den Neo-Stiftungsrat regt auf, dass der ORF seine Pläne für eine Neupositionierung von FM4 und der gesamten Senderflotte auf eine Marktanalyse stütze. Kolonovits spricht von "Taschenspielertricks" solcher Analysen: "Musik in all ihren Facetten darf nicht alleine nach kommerziellen Gesichtspunkten bewertet werden." Keine Studie könne "die Notwendigkeit von Kunst in all ihren Facetten abbilden". Es gehe nicht allein um Einschaltquoten, sondern um Hörerinnen und Hörer in den kleinsten Nischen.
Wäre Bille Eilish eine Burgenländerin, dann würde sie einmal im Jahr in "Mahlzeit Burgenland" das Pancake-Rezept ihrer Großmutter vorstellen, und das burgenländische Publikum würde anerkennend nicken: "Die kann auch noch kochen." Und in FM4 würde Eilish dann am nächsten Tag ganz anders gefragt, aber halt nicht über ihre Pancakes, spekulierte Kolonovits weiter, und schloss: "Alles braucht seinen Platz im ORF, in unserer Demokratie."
Deutsche Studie mit österreichischer Musik als Ausschaltimplus
Der Musiker und Präsident der Musikergilde, Peter Paul Skrepek, berichtete von Verhandlungen mit Radiodirektorin Ingrid Thurnher über Anteile österreichischer Musik in den ORF-Radios. Thurnher habe unter Berufung auf eine Studie deutscher Radioberater erklärt, das Publikum sei nicht bereit, österreichische Musik zu hören, ja – österreichische Musik sei erkennbar ein Ausschaltimpuls.
"Perfider und dümmer geht es nicht"
"Perfider und dümmer geht es nicht", kommentierte Herwig Zamernik ("Fuzzman") die Berufung auf Marktstudien. FM4 habe in 25 Jahren das "große Musikwunder" entwickelt mit internationalen Erfolgen wie Wanda und Bilderbuch.
Bei Thurnhers STANDARD-Interview hätten bei ihm "alle Alarmglocken geläutet". Das habe Erinnerungen an die freiheitliche Kulturpolitik wachgerufen, die in seinem Heimatbundesland "alles ruiniert hat, was Kultur ist". Zamernik vermutet auch bei den FM4-Überlegungen "eine politische Motivation dahinter".
Pop sei ein "anerkannter Wirtschaftsfaktor" – dank FM4 auch in Österreich; "warum der ORF das nicht erkennen und anerkennen will, entzieht sich meinem Verständnis", sagte Zamernik.
Von ORF-Generaldirektor Roland Weißmann hätten die Protestnoten für Ö1 und FM4 bisher sehr lapidare Antworten bekommen, berichteten Kulturschaffende: Man bedanke sich für das Schreiben und bestätige dessen Erhalt – ohne weiteren Kommentar.
Gerhard Ruiss (IG Autorinnen Autoren): "Wenn der ORF noch immer nicht verstanden haben sollte, wir werden die Geduld und Ausdauer haben, ihm das zu verstehen zu geben."
Weißmann: "Wichtig, alle mitzunehmen"
ORF-Generaldirektor Weißmann hat zuletzt in einem APA-Interview zu den Radio-Überlegungen erklärt, es sei ihm bei Reformen "wichtig, dass wir alle mitnehmen und es mit Augenmaß machen".
"Es ist gut, wenn es verschiedene Inputs gibt. Nur wenn man im Gespräch ist, ist man auch relevant", so Weißmann. Insgesamt müssten sich Medien aber weiterentwickeln – im Fall des ORF vom Broadcaster zur multimedialen Plattform, wie der ORF-Generaldirektor betonte. Dazu befinde man sich mitten in einem Strategieprozess, in dem verschiedenste Maßnahmen diskutiert werden. (fid, 14.10.2022)