Vorbei die Zeiten, als die ÖBB nur Männer beschäftigte. Bis zum legendär frühen Pensionsalter schlossen sie die Schranken, standen im Bahnwächterhäuschen, verschoben die Züge, zwickten die Karten oder steuerten – selbstverständlich fachmännisch – die Lokomotiven, die da beispielsweise hießen: BBÖ 1170 (ausgemustert 1994), BBÖ 1070 (ausgemustert 1988) oder 1043 (2011 ausgemustert und nach Schweden verkauft).

Anneliese Fahrner ist eine von 140 Lok- respektive Triebfahrzeugführerinnen bei der ÖBB und dafür ausgebildet, sieben unterschiedliche Maschinen zu fahren.
Foto: Christian Fischer

Ausgemustert sind mittlerweile auch jene beharrenden Kräfte, die mit "Frau am Steuer – Ungeheuer!"-Sprüchen am Stammtisch zu punkten versuchen. Zu gestrig sind alle Ansichten, wonach Frauen kein technisches Verständnis hätten oder tonnenschwere Gerätschaften nicht bedienen könnten. Von den 4400 Triebfahrzeugführerinnen und -führern im Unternehmen sind mittlerweile 140 Frauen. Das ist immer noch bescheiden, aber die Tendenz ist klar steigend. Und wenn die Staatsbahnen heute (händeringend) nach Personal suchen, dann bevorzugt nach Frauen.

Eine, die den lockenden Rufen nicht widerstehen konnte, ist Anneliese Fahrner. Die 29-Jährige entschied sich vor vier Jahren, zu der ÖBB zu wechseln. Nicht mitten in der Nacht bei einem launigen Spritzer, aber doch ziemlich "spontan", nachdem ein Freund ihr gesagt hatte: "Die ÖBB suchen Leute!" Und zwar als Lokführerin beziehungsweise Triebfahrzeugführerin, wie das heißt, seit der Führerstand nicht mehr ausschließlich in einer abgetrennten Lokomotive zu finden ist, sondern oft mit dem Fahrgastraum verbunden ist.

Quereinstieg

Fahrners Berufskarriere davor war bunt wie die der meisten Menschen, die quereinsteigen, und solche sind es mittlerweile häufig, die zur ÖBB wechseln, darunter ein ehemaliger Fußballprofi oder auch eine professionelle Klavierspielerin. Fahrner machte die Matura im Gymnasium in Sachsenbrunn bei Kirchberg am Wechsel, bevor sie zwei Jahre lang das Kolleg für Innenraumgestaltung und Möbelrestaurierung in St. Pölten besuchte, wohin sie natürlich mit dem Zug fuhr. Heute weiß sie auch, von welcher Lok ihre Garnitur damals gezogen wurde: "Von einer 1116" oder Taurus II von Siemens. Bei einem Orgelbauer in Würflach bei Neunkirchen restaurierte sie danach Orgeln, "das war wild interessant", erzählt sie, "aber der hat dann leider zugesperrt." Sie ging zu einer Fensterfirma, wo man sie mit Fensterbankerln und Sonnenschutz, Angebote schreiben und Baubesprechungen betraute. "Das war auch interessant", sagt sie, aber nicht so, dass sie ihr Leben lang dort bleiben wollte.

Auf ihre Bewerbung bei der ÖBB folgte ein Standardisiertes Aufnahmeverfahren in Wien, in dem sie auf körperliche und psychische Eignung getestet wurde. "Der psychologische Test dauerte mehrere Stunden und war anspruchsvoll", erzählt sie. "Der war bewusst darauf ausgelegt, dass man in Stresssituationen gerät, weil man die als Triebfahrzeugführerin bewältigen können muss."

Die Ausbildung

Nach bestandener Prüfung wurde sie zu einem Vorstellungsgespräch nach Wien eingeladen, und Ende September 2018 begann sie mit der einjährigen Ausbildung, für die Bewerber mindestens neunzehneinhalb Jahre alt sein müssen. Voraussetzungen wie Führerschein oder Ähnliches gibt es nicht, allerdings muss man sich danach für drei Jahre ans Unternehmen binden. In jedem Kurs werden 24 Bewerber geschult, in Fahrners Kurs waren sie zwei Frauen, rund 500 neue Lokführerinnen und Lokführer produziert dieses System jedes Jahr.

Ihre theoretischen Schulungen absolvierte Fahrner teils in St. Pölten, teils am Stützpunkt Wien Hauptbahnhof, an dem sich auch ein Pausen- und Aufenthaltsraum befindet und wo an 24 Stunden pro Tag und sieben Tagen pro Woche Betrieb herrscht. Dort werden am Tag die Nightjets mit frischer Bettwäsche versorgt und die Bordrestaurants ständig mit frischen Tischtüchern. Dort werden während der Nacht die Zuggarnituren für den nächsten Tag zusammen- und bereitgestellt, davor werden sie gereinigt, geprüft und, falls nötig, repariert. Und auch für jedes Triebfahrzeug der ÖBB gibt es einen genauen Plan, wann es nach wie vielen Kilometern zur Überprüfung in die Werkstatt muss.

Ihre ersten Fahrt absolvierte Anneliese Fahrner auf einer 1116, der flexiblen Standardlok.
Foto: Christian Fischer

Je nach Strecke, für die Fahrner eingeteilt ist, besteigt sie weit draußen am Matzleinsdorfer Platz das Führerhaus einer der 1100 Loks, die die ÖBB derzeit unterhält, oder am Bahnsteig des Hauptbahnhofs. Laufend werden alte Triebfahrzeuge ausgemustert und kommen neue nach, zurzeit vor allem die Vectrons von Siemens, die in ganz Europa fahren können. Internationales Zufahren ist komplizierter als internationales Fliegen, weil sowohl Personal als auch Gerätschaften nicht einfach über die innereuropäischen Grenzen hinausfahren dürfen.

Fahrners praktische Strecken- und Fahrzeugschulung erfolgte zunächst am Simulator mit einem Trainer. Danach absolvierte sie mit ihm ihre erste Fahrt auf einer 1116, der "flexiblen Standardlok, die im Personen- und Güterverkehr eingesetzt wird". Sie erzählt: "Ich war extrem nervös, muss ich zugeben", als sie vom Hauptbahnhof nach Wien-Floridsdorf fuhr. Zu Beginn der praktischen Schulung bewegte sie die schweren Maschinen (eine Doppelstockgarnitur wiegt 388 Tonnen) nur auf der innerstädtischen S-Bahn-Stammstrecke zwischen Floridsdorf und Meidling, auf der man sehr oft stehen bleibt und viele Fahrgastwechsel hat. Danach fuhr sie ein halbes Jahr lang ausschließlich zwischen Wien-Hauptbahnhof und Payerbach-Reichenau hin und her, "eine Strecke, auf der man sehr viel lernt, da musst du jede Sekunde voll konzentriert sein". Mittlerweile kennt sie diese Strecke in- und auswendig: "Erstes Vorsignal, das mich auf das erste Signal hinweist, bei Kilometer x; nächstes Signal gleich um den Bogen bei Kilometer xy …" Mittlerweile ist sie für sieben Maschinen inklusive der Steuerwagen geschult, die sich "eigentlich in allem unterscheiden: Mal Doppelstock, mal niedrig."

Die nächsten Ziele

In jedem Triebfahrzeug hat sie den elektronischen Buchfahrplan vor sich im Führerstand liegen, der ihr sagt, wann sie zu welcher Minute wo auf der Strecke sein muss. Sie hat auf die "LAs" (die Langsamfahrstellen bei Schäden am Gleis) zu achten und eventuell auf Befehle, die über Funk hereinkommen oder bereits vor der Fahrt übergeben werden. Im TIM, einem großen Tablet, das sie als ihr "Hirn" bezeichnet, sind immer alle Daten gespeichert, die eine Triebfahrzeugführerin braucht – jede Strecke mit allen Fahrplänen, Uhrzeiten und einzuhaltenden Geschwindigkeiten, die auf insgesamt 5000 heimischen Streckenkilometern auf sie warten.

Ihre erste Fahrt ganz allein absolvierte Fahrner ebenfalls nach Payerbach, da dachte sie in der Früh: "Heute wird’s ernst. Aber du kommst wahnsinnig schnell rein, am dritten Tag ist es so, als hättest du nie etwas anderes gemacht." Mit je mehr Strecken (die Kenntnisse werden regelmäßig aufgefrischt) und Maschinen sie vertraut ist, desto weiter wird sie fahren. Ihr großes Ziel für die nächsten Jahre lautet: "Endlich mit dem Railjet nach Innsbruck!" Das kann schneller gehen, als sie denkt. Denn bald geht ein Viertel aller ÖBB-Lokführer in Pension, und Fahrner wird zu den Erfahrenen gehören, die für die längeren Strecken nachrücken. Viele Touren der Triebfahrzeugführer sind "gemischt": Wenn die Schicht am Tagesrand beginnt, kommt es vor, dass man zunächst noch bis Wiener Neustadt mit einem REX fährt und dann mit einem Güterzug in die Nacht hinein weiter bis nach Klagenfurt. Die Arbeit bleibt abwechslungsreich, man muss dadurch immer fokussiert sein.

Jahresgehalt

Bereits während der Ausbildung verdienen ÖBB-Triebfahrzeugführerinnen und -führer 30.000 Euro brutto pro Jahr, was den Wechsel für viele Quereinsteiger attraktiv macht. Danach geht es mit 37.100 Euro brutto weiter, während und nach der Ausbildung bekommen sie diverse Zulagen. Der Schichtdienst, für den man drei- bis viermal pro Woche in die Arbeit kommt, entspreche dem momentanen Trend, mehr Zeit für Freizeitaktivitäten haben zu wollen. Auch Fahrner kommt das entgegen: "Ich kann einkaufen gehen, wenn das niemand tut. Oder ich gehe snowboarden, wenn die Piste leer ist." Und irgendwann wird sie in Innsbruck aussteigen und das Snowboard mithaben. (Manfred Rebhandl, 16.10.2022)