Aller Anfang ist schwer – das Auffrischen längst verlorener Skills aber ebenso.

Foto: Action Images via Reuters/LEE SMITH

"Soll euch der Stefan etwas auf seiner E-Gitarre vorspielen?", fragt meine Bekannte ihre Kinder während eines Besuchs und zeigt auf die hellblaue Klampfe der südkoreanischen Marke Samick, die prominent in einer Ecke lehnt. Ich werde bleich, beginne zu schwitzen und bugsiere die Freunde schnell in ein anderes Zimmer. Denn in den vergangenen Jahren waren meine Gitarren hauptsächlich Dekogegenstände, auf denen ich nicht wirklich gespielt habe – erst recht keine fetzigen Soli auf der Elektrischen, höchstens habe ich mal auf Weihnachtsfeiern ein paar Akkorde geschrammelt.

Ein paar Wochen später nagt diese Erfahrung noch immer an mir, und mir wird klar: Das kann so nicht weitergehen. Ich muss wieder in die Gänge kommen, wieder die Finger über den Gitarrenhals flitzen lassen, wieder den Distortion-Effekt aus dem Schrank holen – so wie früher, als ich jung war, frisch aus der Musikschule kam und mich mit Freunden an den besten Musikrichtungen austobte: Metal, Psychedelic Rock und Lo-fi – wobei wir Letzteres immer als Ausrede nützten, um unsere miserable Tonqualität zu rechtfertigen. Die Frage ist bloß: Wie finde ich auf dieses Level wieder zurück?

Instrumente lernen im Web

Das Gute ist: Wer heutzutage ein Instrument lernen oder seine bestehenden Skills weiterentwickeln möchte, der findet in digitalen Tools etliche Möglichkeiten – und es kommen ständig neue hinzu. So sorgte Mitte September das Linzer Start-up Magic Keys für mediales Aufsehen – es ermöglicht das Erlernen von Klavier mithilfe von Mixed Reality (MR). Dabei tragen die Klavierschüler VR-Brillen, deren Kameras das reale Piano zeigen, über welches die Instruktionen eingeblendet werden.

"Magic Keys" überlagert das reale Bild des Klaviers mit virtuellen Instruktionen.
Foto: Dominik Hackl/Magic Keys

Wer hingegen lieber eher auf Videokurse setzt, der findet auf Plattformen wie Coursera entsprechende Angebote – vom eher praxisorientieren "DIY Musician" rund um Songwriting und Musikproduktion bis hin zu Grundlagen der Musiktheorie. Und auch einen Kurs namens "How to play guitar" gibt es hier, fein. Aber finde ich vielleicht auch etwas interaktiveres?

Im Rahmen meiner Suche stoße ich auf "Rocksmith+", die in diesem Sommer erschienene Neuauflage der Gitarren-Lernsoftware "Rocksmith" aus dem Hause Ubisoft – also jenes französische Softwareunternehmen, das sonst für Game-Franchises wie "Assassin's Creed" oder "Far Cry" bekannt ist. Klingt so, als könne man hier das Gitarrenspielern spielerisch erlernen. Also worauf warten wir noch? Hey ho, let's go!

Setup abschließen wie ein Rockstar

"Rocksmith+" ermöglicht es, akustische Gitarre, E-Gitarre oder Bassgitarre entweder von Anfang an zu lernen oder bestehende Kenntnisse aufzufrischen. Dazu braucht man einen PC, das Instrument selbst und die Möglichkeit, diese beiden Hardwareteile miteinander zu verbinden. Bei akustischen Gitarren ist das noch einfach, da reicht ein Mikrofon.

Für E-Gitarren bietet Ubisoft eigene Hardware an, welche die große Klinke der Klampfen mit den Anschlüssen des PCs verbindet. In meinem Fall habe ich Glück: Ich habe aus früheren Zeiten noch eine externe Soundkarte herumliegen, mit der ich Instrumente in den PC einspielen kann. Und sie funktioniert Jahre später noch immer einwandfrei.

So sieht mein Tonstudio aus. Mehr brauche ich nicht.
Foto: Der Standard/Stefan Mey

Ist die E-Gitarre einmal eingestöpselt, stellt die Software den Ton mittels Algorithmen auf die bestmöglichen Einstellungen ein. Dafür ist es auf Userseite nötig, eine Zeit lang auf den Saiten herumzuschrammeln. Und damit das nicht langweilig wird, spielt Ubisoft zu jedem angeschlagenen Akkord das Jubel einer Stadion-Crowd in die Kopfhörer – wow, danke, ich fühle mich schon beim Setup wie ein Rockstar!

Jammen mit Van Morrison

Sodann geht es ans Stimmen der Gitarre, das mit dem Vorgang an einem handelsüblichen Stimmgeräts vergleichbar ist: Saite für Saite wird angezupft und so lange herumgedreht, bis ein leises "Pling" die korrekte Stimmung verkündet. Anschließend werden die ersten Songs ausgesucht, mit denen man üben möchte – mir hat es vor allem Van Morrisons "Brown Eyed Girl" angetan, an dem ich mir die kommenden Woche noch einige Male die Zähne ausbeißen werde.

Denn das Programm bewegt sich mit den Lernenden mit. Zu Beginn müssen nur einzelne Töne der jeweiligen Soli gespielt werden, mit fortschreitendem Lernerfolg kommen weitere hinzu. Oder man pfeift auf die Soli und hämmert lieber Akkorde in die Saiten, was ich mit Van Morrisson dann auch meistens mache, während ich mir für das Üben von Soli ein anderes Stück aussuche: die Titelmelodie von "Assassin's Creed: Black Flag".

Ubisoft brüstet sich nämlich damit, über 5.000 Songs in das Repertoire von "Rocksmith+" aufgenommen zu haben. Das klingt zuerst nach viel, ist aber in Wahrheit wenig, wenn man gezielt nach bestimmten Titeln sucht – Green Day zum Beispiel suchte ich vergebens. Ein Trost für Gamer also, dass zumindest die Lizenzen von Ubisofts eigenen Spieletiteln kein Problem darstellen.

Ich bin super – sagt Ubisoft

Ergänzend zum Herumprobieren mit ausgewählten Songs bietet Ubisoft in "Rocksmith+" auch diverse Kurse an, mit denen neue Techniken erlernt werden können. So gibt es Aufwärm-Fingerüben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen ebenso wie Einführungen in die unterschiedlichen Akkorde und Anleitungen zum Solieren – inklusive Techniken wie Hammer-ons und Pull-offs.

Der Ablauf ist dabei immer der gleiche. Zuerst erklärt eine Gitarrenlehrerin, worum es geht, wie man spielt und worauf dabei zu achten ist, dann spielt man kurz alleine – und dann ist man in einer Übung auf sich selbst gestellt, bei der man die Töne möglichst genau treffen möchte.

Faszinierend ist dabei die Tonalität, die die Lehrerinnen in ihrem Feedback wählen: Selbst wenn ich etwas total verbockt hatte, wurde ich – anders als während meiner Pubertät in der Musikschule – kein einziges Mal gerügt. Egal was ich tue, es ist immer super. Ich glaube ihnen ehrlich gesagt nicht wirklich. Motivierend ist es trotzdem, und ich habe zuletzt etliche Abende lieber "Rocksmith+" gestartet, als irgendeinen Shooter zu installieren.

"Guitar Hero"-Vibe statt Noten

Dabei sei aber auch noch erwähnt, mit welchen Mitteln die Melodien überhaupt beigebracht werden. Noten sieht man in "Rocksmith+" nämlich nie, stattdessen wird der Gitarrenhals mit farbigen Saiten eingeblendet, und die zu spielenden Töne rasen auf den Schüler zu, im richtigen Moment muss er also anschlagen.

Für notenversierte Gitarristen kann "Rocksmith+" durchaus verwirrend sein.
Foto: Ubisoft

Das erinnert mehr an eine Runde "Guitar Hero" als echten Gitarrenunterricht – und hinterlässt einen etwas seltsamen Beigeschmack, wenn man es sickern lässt. Denn für bereits etablierte Gitarristen kann dieses System verwirrend sein, zumindest wurde aber die Möglichkeit zum Einblenden von Tabulatur ermöglicht, wie man es von Websites wie 911tabs und Ultimate Guitar kennt.

Neulinge hingegen fallen gänzlich um die Möglichkeit um, mit diesem Programm überhaupt Noten zu erlernen. Ob das nötig ist, um in einer Garagen-Punkband zu spielen, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Die nächsten Schritte

Weiters bietet "Rocksmith+" die Möglichkeit, die E-Gitarre innerhalb des Programms nach bestimmten Effekt-Kombinationen klingen zu lassen, in einer recht großen Bandbreite vom Jazz bis zum Meta-Wah-Wah. Eine individuelle Zusammenstellung der Effekte, wie man es etwa von diversen Programmen der (semi-)professionellen Musikproduktion kennt, gibt es aber nicht. Auch ist ein System integriert, mit dem Songs für "Rocksmith+" eingespielt werden können.

Aber warum sollte ich das tun? Denn wenn ich doch irgendwann wieder vor Publikum spielen möchte, dann will ich entsprechend unabhängig sein. Der nächste Schritt nach den Lernerfolgen in diesem Programm ist für einsame Hobby-Klampfisten also ein logischer: Programme wie Cubase, Audacity oder Garageband installieren und in diesen selbst mit Songs, Sounds und Effekten experimentieren. Wer weiß, vielleicht mache ich mich demnächst ja wirklich wieder ans Songwriting. Oder aber ich muss mich zumindest nicht mehr verstecken, wenn meine Bekannte mich um ein Metal-Ständchen für ihre Kinder bittet. (Stefan Mey, 16.10.2022)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Zugang zu "Rocksmith+" wurde dem STANDARD von Ubisoft zur Verfügung gestellt.