Giorgia Meloni mit Parteikollege Francesco Lollobrigida.

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Rom – "Giorgia Meloni: Ihr Verhalten ist 1. anmaßend 2. selbstherrlich 3. arrogant 4. beleidigend. Keine Bereitschaft, sich zu ändern. Mit ihr kann man sich nicht einigen".

So stand es auf einem Notizzettel geschrieben, den Silvio Berlusconi in der ersten Sitzung des neu gewählten Senats gut sichtbar vor sich auf seinem Pult liegen hatte. Es gab auch noch einen fünften Punkt, den der Ex-Premier wieder durchgestrichen hatte: Meloni sei lächerlich. Das ist in der Tat das falsche Wort. Denn Giorgia Meloni hat in den letzten Tagen gleich mehrfach bewiesen, dass sie Standing hat. Sie hat fast alle Forderungen Berlusconis in Sachen Ministerposten abgeschmettert. So etwas hat der 86-jährige Cavaliere noch nie erlebt: Dass eine vierzig Jahre jüngere Frau es wagt, ihm Nein zu sagen.

Spannungen

Und so endete gleich die erste Parlamentssitzung der neuen Legislatur in einem Eklat: Bei der Wahl des Senatspräsidenten Ignazio La Russa von den postfaschistischen Fratelli d'Italia Melonis ist Berlusconis Forza Italia ausgeschert; dass La Russa doch noch gewählt wurde, war einzig den Stimmen von einigen linken Oppositionspolitikern zu verdanken.

Mit anderen Worten: Schon bei der allerersten Bewährungsprobe der künftigen Regierungskoalition aus Fratelli d'Italia, Lega und Forza Italia wurde die mutmaßlich erste Ministerpräsidentin Italiens, Giorgia Meloni, von einem ihrer Partner im Stich gelassen. Die Regierungschefin in spe hatte im Senat keine eigene Mehrheit. Meloni ließ sich davon nicht beeindrucken: "Berlusconi hat auf seinem Zettel noch einen Punkt vergessen: Ich bin auch nicht erpressbar", erklärte sie ungerührt.

Die Spannungen in der Rechtskoalition sind, noch ehe die neue Regierung vereidigt ist, jedenfalls bereits riesig. Vordergründiger Anlass ist das Gerangel um Ministerposten: Auch Lega-Chef Matteo Salvini ist frustriert, weil ihm Meloni die Rückkehr in das von ihm zwischen 2018 und 2019 geführte Innenministerium verwehrt. Der Hauptgrund für den Krach ist aber ein psychologischer: Weder Berlusconi noch Salvini haben es bisher verdaut, dass sie bei den Parlamentswahlen von Meloni regelrecht gedemütigt wurden – ihre Fratelli d'Italia haben bei den Parlamentswahlen deutlich mehr Stimmen geholt als Berlusconis Forza Italia und Salvinis Lega zusammengenommen (nämlich 26 Prozent gegenüber je etwas mehr als acht Prozent).

Meloni will parteilose Fachleute im Kabinett

Das italienische Rechtslager, vor dem halb Europa zu zittern scheint, hat in diesen Tagen einen spektakulären Fehlstart hingelegt – der all jene Stimmen zu bestätigen scheint, die schon vor der Wahl prophezeit hatten, dass der rechte Wahlpakt zwar ausreichen werde, um die Wahlen zu gewinnen, aber nicht, um gemeinsam regieren zu können. Die 45-jährige Meloni mag in der Familienpolitik und in Gender-Fragen ultrakonservative Ansichten haben, aber in einem Punkt ist sie modern und selbstbewusst: Sie lässt sich weder vom politisch abgewirtschafteten Patriarchen Berlusconi noch vom Macho-Rüpel Salvini auf der Nase herumtanzen.

Meloni, Salvini, Berlusconi.
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Dies wird auch für die konkrete Regierungsarbeit gelten, sofern die Rechtskoalition überhaupt zustande kommen wird. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die auf die neue Regierung warten – astronomische Energiepreise, Inflation, Krieg in Europa, steigende Zinsen bei horrender Staatsverschuldung – will Meloni ein kompetentes Kabinett zusammenstellen, dem auch parteilose Fachleute angehören.

Da haben etliche der von Berlusconi und Salvini vorgeschlagenen Figuren keinen Platz. Und sie hat bereits mehrfach bekräftigt, dass sie an der von Mario Draghi formulierten Unterstützung der Ukraine festhalten will – die beiden Putin-Freunde Berlusconi und Salvini stehen insbesondere den Waffenlieferungen skeptisch gegenüber. Auch beim Staatshaushalt will Meloni Draghis Politik der Zurückhaltung fortführen, zum Leidwesen ihrer Koalitionspartner.

"Ende der EU" abgesagt

Auch auf EU-Ebene wird sich Meloni bemühen, verlässlich zu sein. Sie ist zwar noch vor wenigen Monaten mit Polemiken gegen die "Euro-Bürokraten" in Erscheinung getreten und sieht in Ungarns autoritärem Ministerpräsidenten Viktor Orban ein Vorbild – aber sie weiß, dass sie nur mit und nicht gegen Brüssel regieren kann. Die neue Regierung ist insbesondere auf die 191 Milliarden Euro aus dem EU-Recovery-Fund angewiesen, die für Italien reserviert sind und von denen erst 40 Milliarden nach Rom überwiesen wurden – und auch auf etwaige Interventionen der EZB, falls die Zinsaufschläge auf den italienischen Staatsschulden eine kritische Höhe erreichen sollten.

Die Befürchtung, dass mit Meloni das "Ende der EU" drohe, wie einige ausländischen Leitmedien nach den Parlamentswahlen warnten, scheint also etwas überzogen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Mit der neuen Rechtsregierung droht dem Land erneut politische Instabilität.

Die beiden Populisten Berlusconi und Salvini, die im Juli aus parteipolitischen Motiven zusammen mit dem Fünf-Sterne-Chef und Ex-Premier Giuseppe Conte Mario Draghi zu Fall gebracht hatten, sehen Meloni nicht als Partnerin, sondern als Konkurrentin – aber ohne sie kann Meloni nicht regieren. Vor allem der als nachtragend bekannte Berlusconi wird keine Gelegenheit auslassen, der ersten Ministerpräsidentin Italiens Steine in den Weg zu legen. (Dominik Straub, 15.10.2022)