Die schlaue Füchsin (Mélissa Petit) trifft düstere Figuren der Opern- und Ballettgeschichte.

Monika und Karl Forster

Da staunt der Herr im sommerlich hellen Anzug: Ja, die Musentempel haben anders ausgesehen zu jener Zeit, als Leoš Janáček seine Opern schrieb. Das Theater an der Wien gab es zwar bereits zu Lebzeiten des tschechischen Komponisten (1854–1928) seit geraumer Zeit. Weil das Haus am Naschmarkt allerdings gegenwärtig generalsaniert wird und im Museumsquartier eine Ersatzbleibe bezogen hat, muss Herrn Janáček die Halle E mit ihren Lautsprechern und dem ganzen modernen Bühnenbau etwas seltsam vorkommen.

Vor der Premiere lässt ihn der neue Intendant und Regisseur des MQ-Theaters an der Wien, Stefan Herheim, im Zuschauerraum dann aber die Initiative ergreifen. Janáček stürmt neugierig auf die Bühne, öffnet den Vorhang und betritt sein eigenes Werk, was seine Perplexität nicht unbedingt schmälert.

Ort der Fantasie

Dem Publikum mag es ähnlich gehen, das ist bei Stefan Herheim mitunter so Konzept und Sitte. Der Norweger ist ein Virtuose der surrealen Fantasien, der Oper als Polyphonie der Theaterelemente versteht, als zum Leben erwecktes Gesamtkunstwerk, das ungewöhnliche Gedankenräume öffnet und eine Art Hyperrealität erschaffen kann.

Janáček Spätwerk "Das schlaue Füchslein", eine märchenhafte Abhandlung über den ewigen Kreislauf des Lebens und das gerne vergessene Angebundensein des Erdenwurms an die Natur, postiert Herheim zunächst in einer Art nüchternen Bühnenwerkstatt. Über den an Kostümen und Bühnenbildern Arbeitenden, die sich über Janáčeks Besuch wundern, schwebt eine riesige Libelle. Alles andere scheint im Zustand der Entwicklung, doch plötzlich die Verwandlung in Musiktheaterpoesie: Sorgfältig choreografiert, wird gleichsam ein Fest der Figuren inszeniert, alles dreht, alles bewegt sich. Die Bühnenwerkstatt wird Zauberraum.

Die spezielle Sphäre

Der schmucklos dargestellte Theateralltag ist der Ausgangspunkt, von dem aus Herheim also die Aura des Musiktheaters feiern will. Als wollte er sagen: Oper kann uns in eine spezielle Sphäre heben. Sie ist der unverzichtbare magische Ort geistiger Freiheit, in dem alles möglich ist, auch in einem Ausweichquartier wie der Halle E des Museumsquartiers.

Hervorragender Sänger

Als Beleg für die These wird Herr Janáček als pointierter Teil der Inszenierung selbst mehrschichtig eingesetzt. Der hervorragende Sängerdarsteller Ya-Chung Huang ist auch Mücke, Dackel, Hahn und Specht. In der humanen Sphäre wird er auch zum Schulmeister, der wehmütig über eine alte, unausgelebte Liebschaft sinniert. Damit sind auch Bezüge zu Janáčeks Biografie hergestellt, die die Zuneigung des Komponisten zu der mit Briefen überhäuften verheirateten und 40 Jahre jüngeren Kamila Stösslová beinhaltet.

Janáček wird dann allerdings auch zum Mann auf dem roten Mond, der auf sein Werk herabblickt und am Ende in einem riesigen Herzen verschwindet, während der Förster (Milan Siljanov) zu seiner arios-hymnischen Schwärmerei ansetzt.

Man sieht: Es entwickelt die Inszenierung viel rätselhaftes Eigenleben – Herheim erweckt auch berühmte Pärchen der Ballett- und Operngeschichte zum Leben. Brünnhilde mit Siegfried, Kalaf mit Turandot und, und, und – sie alle stehen für die Magie des Operngenres, um schließlich der Gewalt überlassen zu werden: Die Frauenfiguren werden ermordet. Und wenn dann jeder und jede am Boden liegt, kommt ein Mähdrescher, dessen Haspel mit Noten bestückt ist, und verschlingt alle. Das Märchen wird zum Albtraum.

Die Dynastie der Füchse

Die Ereignisse rund um die Füchsin werden dazwischen vergleichsweise heiter-konventionell (im Ansatz in Puppenform) erzählt, was aber Ruhepunkte in die Inszenierung bringt: Sie (tadellos: Mélissa Petit) ist hier die unbeschwerte junge Frau, die sich selbst entdeckt und als aufmüpfiges Wesen kein Talent zur Unterwürfigkeit hat. Auf den galanten Fuchs lässt sie sich aber schließlich ein und begründet eine "Dynastie" (intensiv: Jana Kurucová, die sich vom Intendanten wegen einer Kehlkopfentzündung ansagen ließ).

So changiert Herheims mehrschichtige Sympathieerklärung an das Musiktheater zwischen Einfachheit und Ideenrausch und lebt natürlich auch von der Umsetzung der Musik durch die Wiener Symphoniker. Dirigentin Giedre Šlekyte animiert zu einer klanglich raffinierten Diktion, die dem Werk Atmosphäre verleiht. Zugleich wird aber auch dieser speziell furchenreichen Stilistik mit ihren sprunghaften Wendungen pointiert Rechnung getragen, was das seelische Bühnengeschehen prägnant charakterisiert.

In Summe ein guter Einstand des Intendanten, dem man wünscht, dass auch die von ihm engagierten Regisseure und Regisseurinnen sein Niveau erreichen. (Ljubiša Tošić,16.10.2022)