Kaum war Jeremy Hunt am Freitag als britischer Finanzminister ins Amt gekommen, legte er am Wochenende unmissverständlich die neue Linie fest. In einer Reihe von Interviews erklärte der 55-Jährige das Ende der Fiskalpolitik, die Premierministerin Liz Truss noch bis zu ihrer spektakulären Kehrtwende am Freitag zu verteidigen versucht hatte. Denn Truss‘ Plan, Steuersenkungen im Volumen von 45 Milliarden Pfund mit einer massiven Neuverschuldung zu finanzieren, hatte zu Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten, zu einer Abwertung des Pfundes und zu einem starken Anstieg bei den Zinsen geführt, die Großbritannien für seine Staatsanleihen zahlen muss.

Muss Liz Truss bald schon wieder abdanken?
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"Nichts ist vom Tisch", erklärte Hunt am Sonntag, um die Staatsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Soll heißen: Einige der geplanten Steuersenkungen werden kassiert und neue Steuererhöhungen eingeführt, darüber hinaus soll es zu Einschnitten bei den öffentlichen Ausgaben kommen. Einzelheiten wollte Hunt nicht benennen und verwies darauf, dass er in zwei Wochen am 31. Oktober seinen Haushalt vorstellen werde. Aber er versicherte, "dass wir für jeden Penny unseres Steuer- und Ausgabenprogramms Rechenschaft ablegen können". Es wird damit gerechnet, dass die von Truss und ihrem geschassten Finanzminister Kwasi Kwarteng versprochene Senkung des Basis-Satzes bei der Einkommenssteuer um ein Prozent vom neuen Schatzkanzler ausgesetzt wird.

Demütigung der Premierministerin

Die Entlassung von Kwarteng, die Ernennung von Hunt und die Demontage ihres fiskalpolitischen Ansatzes bedeuten eine entschiedene Demütigung der Premierministerin. Denn das war die große Botschaft ihres Programms, mit der Liz Truss ins Amt gekommen war: Steuern senken, um Wachstum zu erzielen. Jetzt klafft ein großes Loch in der Staatskasse. Nicht zuletzt, weil das Vertrauen der Märkte erschüttert ist. Damit ist auch das Vertrauen innerhalb der Regierungsfraktion in die Fähigkeiten der Premierministerin dahin.

Was passiert, fragen sich die Abgeordneten der Konservativen, wenn die zentrale Politiklinie von Truss einfach so kollabiert? Muss die Premierministerin dann nicht gehen? Es wird immer deutlicher: Liz Truss ist im Amt, aber nicht an der Macht.

Jeremy Hunt leitete schon zahlreiche Ministerien. Seit der Übernahme des Finanzressorts brachte er auch seine Chefin in Schwierigkeiten.
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Die Gerüchteküche läuft jetzt heiß, wann ihre Zeit abgelaufen ist und wer ihr Nachfolger wird. Beim einflussreichen Hinterbänklerkomitee, so meldete die "Sunday Times", sollen einhundert Briefe von Tory-Abgeordneten eingetroffen sein, die ihrer Chefin das Vertrauen entziehen. Eine Gruppe will Boris Johnson zurückbringen. Doch der, hört man, will erst einmal Geld verdienen, hatte er doch in der letzten Woche mit einer halbstündigen Rede in Colorado Springs satte 135.000 Dollar einstreichen können.

Der Verteidigungsminister Ben Wallace soll als Einheitskandidat übernehmen, geht ein anderes Gerücht. Wallace soll davon amüsiert sein und verbleibt erst einmal loyal. Schließlich böte sich noch Rishi Sunak, der ehemalige Schatzkanzler an, der gegen Truss bei der Kandidatur um den Parteivorsitz unterlegen war. Doch Sunak hält sich bedeckt. Die beste Chance für eine angeschlagene Premierministerin liegt jetzt darin, dass sich die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Fraktion nicht einigen können, wie sie gegen sie vorgehen. (Jochen Wittmann aus London, 16.10.2022)