Nach seiner ersten Budgetrede vergangene Woche reiste Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) zur Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Washington. An deren Rande gab er dem STANDARD ein Interview.

STANDARD: Sind Sie ein sehr unvorsichtiger Mensch?

Brunner: Nein. Warum?

STANDARD: Ihr erstes Budget sieht ein Defizit von 2,9 Prozent vor, das ist viel, da ist kaum Spielraum für unvorhergesehene Ereignisse. Aber die Inflation soll länger hoch bleiben. Das macht neue Hilfspakete wahrscheinlich. Woher soll Geld dafür kommen?

Brunner: Wir haben die Hilfen, die geplant sind, budgetiert, so ist es in einem Budget vorgesehen: die Strompreisbremse, die Unterstützung für die Wirtschaft. Wir haben aber, wo es möglich ist, Reserven eingebaut. Wir haben also gewisse Möglichkeiten, die fixierten Auszahlungsbeträge noch aufzustocken. Dafür nützen wir den Spielraum, den wir rechtlich nützen dürfen, beispielsweise für zusätzliche Energiehilfen. Ein Puffer ist also da.

STANDARD: Voriges Jahr haben Sie vier Antiteuerungspakete geschnürt. Immer wenn eines fertig war, wurde schon nach dem nächsten gerufen.

Brunner: Das ist aber auch einer der Gründe dafür, dass wir jetzt eine Reihe struktureller Reformen ergriffen haben. Dazu gehören die Valorisierung der Sozialleistungen, die automatisch mit der Inflation ab 2023 mitsteigen werden, oder die Abschaffung der kalten Progression für die Steuerzahler. Dann kommt noch die Wirkung der ökosozialen Steuerreform dazu, die insbesondere eine Entlastung für die Wirtschaft und eine Senkung der dritten Tarifstufe ab Jänner bringt. Ich würde dafür appellieren, diese Maßnahmen nun einmal wirken zu lassen. Aber natürlich kann man es nie ausschließen, dass wir wieder etwas tun müssen. Wir wissen nicht, wie sich der Krieg und die Inflation weiterentwickeln werden.

Magnus Brunner legte vergangene Woche sein erstes Budget vor, das er naturgemäß auch verteidigt.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Hätte der Staat nicht deshalb Geld zielgerichteter einsetzen sollen? Die Hälfte der Leute, denen Sie nun helfen, braucht es nicht, diese Menschen können aktuell vielleicht bloß nur weniger wegsparen.

Brunner: Wir können es uns im Augenblick nicht leisten, nicht zu helfen. Wir müssen die Menschen und die Betriebe durch die Krise bringen. Wir können nicht alle Krisen auf der Welt zu hundert Prozent abfedern. Wir können auch nicht die Inflation direkt bekämpfen. Das kann die Zentralbank. Aber wir können sie abfedern, wir unterstützen genau jene, die es am meisten brauchen, wie Mindestsicherungsbezieher, Mindestpensionisten und Familien. Und wir haben uns auch bewusst dazu entschieden, in die Breite zu gehen und den Mittelstand zu stützen, weil dieser natürlich genauso betroffen ist von den Teuerungen.

STANDARD: Eine der Warnungen des IWF lautet: Staaten geben zu viel aus und fachen so die Teuerung weiter an.

Brunner: Das ist in der Tat eine wichtige Abwägungsfrage. Darüber diskutieren wir bei jeder Maßnahme, die wir ergreifen. Es gibt eine Reihe von Schritten, die wir gesetzt haben, die inflationsdämpfend sind. Die Strompreisbremse, die Senkung der Energieabgabe für Haushalte, auch dass wir die Ökostrompauschale auf null gesetzt haben. Dann gibt es Maßnahmen, die mehr Kaufkraft generieren, die die Teuerung anheizen könnten, wie der Klimabonus. Dieser stand dadurch in der Kritik, aber auch hier sagen uns Expertinnen und Experten vom Wifo oder der WU, dass es unwahrscheinlich ist, dass das in relevantem Ausmaß passiert.

STANDARD: Das Vereinigte Königreich geriet nach der Ankündigung von Steuererleichterungen an den Finanzmärkten unter Druck. Die Regierung musste eine Kehrtwende hinlegen, der Finanzminister wurde gefeuert. Droht das auch Euroländern?

Brunner: Das ist schon etwas sehr Spezifisches gewesen, was da geschah. Die Briten haben Ankündigungen für Entlastungen in einer Dimension gemacht, die ich aus keinem Euroland kenne. So gesehen denke ich nicht, dass sich das wiederholt.

STANDARD: Sie machen im Finanzministerium seit Beginn der Pandemie ÖVP-Klientelpolitik. Zunächst mit Überförderungen für Unternehmen im Lockdown. Jetzt greifen Sie allen Betrieben unter die Arme mit einem breiten Zuschuss für Energiekosten. Können wir uns das aktuell leisten?

Brunner: Dass das Klientelpolitik sei, möchte ich nicht stehenlassen, das sehe ich anders. Es gilt auch jetzt in der Inflationskrise nicht mehr die Devise "Koste es, was es wolle". Das war eine Devise in der Pandemie, in der es staatlich verordnete Lockdowns gab und Branchen behördlich geschlossen waren. Mein Zugang ist, dass wir zur Verfügung stellen werden, was notwendig ist. Und da schauen wir uns immer genau an, welche Gruppen welche Unterstützung brauchen. Unternehmen haben ein gewaltiges Problem mit steigenden Energiekosten.

Das vergangene Woche präsentierte Zahlenwerk kam bei der Opposition naturgemäß nicht gut an.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Die ÖVP-Staatssekretärin für Tourismus sagt, Hotels werden ihre Preise anheben: Betriebe können ihre hohen Kosten ja weitergeben.

Brunner: Wir werden Unternehmen bei 30 Prozent ihrer Energiekosten bezuschussen, nicht bei ihren gesamten Ausgaben. Das ist durchaus ein vernünftiges Konzept. Interessanterweise kommt von der Wirtschaft die Kritik, dass die Hilfen zu kompliziert sind, weil jeder Betrieb darum ansuchen muss. Aber eine gewisse Kontrolle muss es geben. Und es gibt europarechtliche Vorgaben, die einzuhalten sind.

STANDARD: Ist es schwer, von der Koste-es-was-es-wolle-Mentalität wegzukommen?

Brunner: Das Anspruchsdenken gegenüber dem Staat hat durch die vielen Unterstützungen auf jeden Fall zugenommen und die Dimensionen haben sich verschoben. Früher wurde um zehn Millionen Euro lange verhandelt, jetzt will das jemand im Vorbeigehen mitnehmen. Und das finde ich ernsthaft problematisch, da werden momentan oft Milliarden mit Millionen kleingeredet – und das ist keine gute Entwicklung.

STANDARD: Alle sind sich einig, dass mehr Investitionen in Erneuerbare und in die Transformation der Industrie wichtig sind. Da ist die Regierung knausrig, analysiert der Thinktank der Neos. Geld für strukturellen Wandel geben Sie kaum aus?

Brunner: Einerseits würde ich die Abschaffung der kalten Progression natürlich als strukturellen Wandel bezeichnen. Andererseits nehmen wir fünf Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen in die Transformationen in die Hand.

STANDARD: Bis 2026.

Brunner: Die fünf Milliarden sind ein wirklich intensives Zeichen.

STANDARD: Es gibt Bereiche möglicher neuer Einnahmen: Vizekanzler Kogler kündigte an, sich für eine Gewinnsteuer ab 2023 starkzumachen.

Brunner: Genau genommen kündigt das nicht Vizekanzler Werner Kogler an, sondern es ist eine Vorgabe der EU bzw. wird eine sein. Es ist dazu eine europäische Verordnung in Arbeit, und die haben wir umzusetzen. Wie viel Geld das bringen wird, können wir aber noch nicht sagen, dazu muss die Verordnung mit allen Details vorliegen. Wir müssen auch schauen, wie wir es intelligent begleiten können: Denn es gilt, die Investitionsfähigkeit der Energieunternehmen, die von der Abschöpfung und der Solidarabgabe betroffen sind, zu erhalten. Eine Möglichkeit wäre, Investitionen steuerlich zu begünstigen. Aber das sehen wir uns nun erst an.

Bei den hohen Energiepreisen sieht Brunner die Europäische Kommission in der Pflicht: Sie solle in den Energiemarkt eingreifen.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Deutschland will ein 200-Milliarden-Euro-Hilfsprogramm auflegen, für Unternehmen kommt eine Gaspreisbremse. Wirtschaftskammerchef Mahrer sagt, Österreichs Betriebe verlieren Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir nicht mitziehen. Stimmt das?

Brunner: Zunächst wäre in dieser Frage die Europäische Kommission gefordert. Da müsste mehr kommen. Es reicht nicht aus, wenn die Kommission die Windfall-Profits der Energieerzeuger abschöpfen will. Das ist eindimensionales Vorgehen. Aus meiner Sicht muss darüber hinaus in den Markt eingegriffen werden. Normalerweise bin ich kein Freund solcher Eingriffe, aber in derart außergewöhnlichen Zeiten muss man sich dieses Marktdesign am Strom- und Gasmarkt ansehen, damit die Preise runtergebracht werden können. Was die 200 Milliarden betrifft, ist es ratsam, genauer hinzusehen. In dieser Summe sind viele Dinge eingerechnet, die wir in Österreich schon längst machen, wie die Strompreisbremse. Dann sind da auch die Kosten eingerechnet für die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und für den Ausbau der Erneuerbaren. Diese Gaspreisbremse soll zudem erst ab März 2023 gelten. Wir müssen abwarten, was da genau kommt.

STANDARD: Fürchten Sie Zweitrundeneffekte für die Inflation durch zu hohe Lohnabschlüsse?

Brunner: Natürlich gehört das beobachtet. Es ist aber Sache der Sozialpartner, hier zu verhandeln. Wir haben versucht, an die Beteiligten Signale zu senden, indem wir Maßnahmen struktureller Natur gesetzt haben, wie die Abschaffung der kalten Progression. Aber auch die Steuer- und Abgabenfreistellung für Mitarbeiterprämien bis 3000 Euro. Jetzt werden wir sehen, wie diese Signale aufgenommen werden. (András Szigetvari, 17.10.2022)