Staatssekretär Florian Tursky (rechts) hat in Tallinn eine Schule besucht. Robotik werde dort im Lego-Raum gelehrt, erklärt der Direktor.

Foto: BKA/Christopher Dunker

Robert Krimmer hat ein Kleinkind. Als es zur Welt kam, trug er online den Namen des Neugeborenen ein. Es war eines der ersten Puzzlestücke für die tatsächliche und auch die digitale Identität des neuen Bürgers. Wer mit dem Baby zu Hause war und somit Karenzgeld bezog, konnte Krimmer unbürokratisch monatlich ändern, wenn er das wollte. Zum Amt musste dafür niemand gehen. Der andere Elternteil bekommt im Fall der Änderung eine E-Mail-Benachrichtigung, um einzuwilligen. "Amtswege können entweder komplett digital abgewickelt werden, oder sie werden zumindest digital unterstützt", sagt Krimmer. Der Österreicher ist Experte für digitale Verwaltung – und lebt in Estland.

Von seinen Erfahrungen mit E-Governance im estnischen Alltag erzählt er bei einem Frühstück mit Florian Tursky, Staatssekretär für Digitalisierung, seit Margarete Schramböck die Regierung verließ. Tursky ist mit einer Delegation nach Tallinn gereist, um dort am Digital Summit teilzunehmen, einer Konferenz für Fachleute und Politiker. Davor trifft er Krimmer, der seit vielen Jahren an der Universität Tartu als Professor tätig ist. "In Österreich wird seit zwanzig Jahren digitale Infrastruktur aufgebaut, aber sie müsste besser verknüpft sein", sagt Krimmer. Und genau das wurde nun zur Aufgabe Turskys, auch wenn der Weg noch ein weiter ist – gepflastert von Unsicherheit und datenschutzrechtlichen Bedenken. Das weiß auch der Staatssekretär.

Führerschein in der App

Ein erster Schritt soll aber demnächst öffentlichkeitswirksam gesetzt werden: Den digitalen Führerschein – ein eigentlich bereits seit langem angekündigtes Projekt – will Tursky nun im Oktober präsentieren. Die Vision ist, dass Österreicherinnen und Österreicher irgendwann keine Geldtasche mehr brauchen. In einer E-Ausweis-App, die gemeinsam mit dem digitalen Führerschein vorgestellt werden soll, könnten irgendwann alle Ausweisdaten verwaltet werden. Das allerdings ist noch Zukunftsmusik.

Für den digitalen Führerschein wird man vorerst drei Dinge benötigen: die ID Austria – also die neue Handysignatur – in Vollversion, einen Führerschein im Scheckkartenformat (wegen des digitalen Fotos) und die neue Ausweis-App. Sobald man den Führerschein in die App geladen hat, sollen drei Funktionen zur Verfügung stehen:

  • Polizeikontrolle: Wer in eine Polizeikontrolle kommt, kann diese Funktion auswählen. Es erscheint dann ein QR-Code, den Beamtinnen und Beamte scannen können, um alle Informationen zu erhalten, die auch auf einer Führerschein-Scheckkarte zu finden sind.
  • Ausweis vorzeigen: Eine andere Verwendungsmöglichkeit wird sein, den Führerschein als digitalen Ausweis zu verwenden – als Beispiele werden im Ressort von Tursky Kontrollen vor Clubs oder im Handel etwa beim Kauf von alkoholischen Getränken genannt
  • Kontrolle anderer: Integriert in die App soll auch ein Scanner sein, mit dem man ausgewählte Ausweisdaten anderer fälschungssicher überprüfen kann. Relevant könne das etwa für Türsteher sein, die dann nur das Geburtsdatum zu sehen bekommen, heißt es.

In Estland gehört digitale Verwaltung längst zum Alltag. Wichtig seien dabei Transparenz und Nachvollziehbarkeit, sagt Krimmer. Über das estnische Online-Bürgerportal könne etwa jeder jederzeit einsehen, wer auf die eigenen Daten zugegriffen hat. So könne man nachvollziehen, ob ein Beamter oder eine Ärztin Einblick in Dokumente oder die eigene Gesundheitsakte nahm. Man könne aber etwa auch nachschauen, wer sich im Grundbuch für das eigene Grundstück interessierte – und die Person dann kontaktieren, wenn man es gerade verkaufen möchte. Denn über das Bürgerportal, erzählt Krimmer, bekomme auch jeder eine E-Mail-Adresse, über die alle Estinnen und Esten einander erreichen können, wenn sie möchten.

Aber warum ist Österreich von alldem noch so weit entfernt?

Auf die Frage gibt es mehrere Antworten. Krimmer sagt, es gehe auch um ein "Digital-Mindset" in der Bevölkerung. Er meint damit: In Estland wurde und wird Digitalisierung auch gelernt – das geht im Kindergarten mit Kursen los. "Wer in Estland maturiert, beherrscht ein bis zwei Programmiersprachen", sagt Krimmer. Hinzu komme der Nutzen im Alltag, den viele schätzen. In Österreich sei das Verständnis da noch ganz ein anderes, viele seien skeptisch und besorgt, was den Umgang mit ihren Daten betrifft. Wobei Krimmer dazu sagt: "Seltsamerweise misstrauen die meisten vor allem dem Staat, nicht aber Facebook oder Instagram."

Mit Lego Roboter bauen

Florian Tursky identifiziert aber auch ein ganz praktisches Problem in Österreich: die Register. Es gibt davon mehr als hundert. Gemeint sind damit die verschiedenen Datensätze, die etwa im Melderegister, im Vereinsregister, im Personenregister, im Grundbuch oder Firmenbuch gespeichert sind. "Wir sind gerade dabei, diese Register zu verknüpfen", sagt Tursky. Denn bisher wurden sie isoliert verwaltet und befüllt.

Die Verknüpfung der Daten sei die Basis dafür, dass digitale Verwaltung funktioniert, ist Tursky überzeugt. Dann brauche es aber vor allem "use cases", wie er es nennt. Gemeint sind: konkrete Anwendungsfälle für Bürgerinnen und Bürger im Alltag. Im Fall des digitalen Führerscheins eben, dass man ihn auch als Ausweis verwenden kann und nicht nur für den seltenen Fall einer Polizeikontrolle.

Jedes Fach mit "digital device"

Im Zuge seiner Estland-Reise besucht Tursky neben der Digitalisierungskonferenz auch eine Schule in Tallinn. Dort wurde die Bibliothek verkleinert, um ein Robotik-Center einzurichten. Darin finden sich Boxen mit tausenden Legosteinen. In der Pandemie haben Schülerinnen damit automatische Desinfektionsspender gebaut. Gelernt wird mit Tablets und Laptops – zum Teil auch in Outdoor-Klassen. Es gebe kein Fach, in dem keine "digital devices" genutzt werden, sagt der Direktor. Im Kochunterricht würden Rezepte auf dem Tablet gelesen, im Sport könne zumindest die Theorie online abgerufen werden. Allerdings: Schularbeiten und Tests werden selbst in Estland noch auf Papier geschrieben. (Katharina Mittelstaedt, 17.10.2022)