Viele Spitalsabteilungen suchen händeringend nach Pflegepersonal. Corona verschärfte die Lage, die aber schon davor angespannt war.

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Kaum eine Woche vergeht ohne Alarmmeldung aus einem Spital. Die Urologie-Uniklinik am Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH) warnte vorige Woche vor einem "Versorgungskollaps" wegen zerfallender Pflegestrukturen. Zeitweise waren rund 70 Prozent der Betten gesperrt, OPs wurden reduziert. Laut Belegschaft leidet die Akutversorgung, was der Träger aber dementierte.

Wenig später berichtete die "Krone", an der Geburtenstation und Gynäkologie der Klinik Floridsdorf laufe eine Art Notbetrieb. Auch die Urologie in Favoriten hatte im Sommer Alarm geschlagen, zuvor schon die Kinderpsychiatrie in Hietzing.

Dies ist ein kleiner, willkürlicher Auszug aus einer Reihe an Gefährdungsanzeigen. In Wien werden laut städtischem Spitalsträger Wigev im Jahr rund 50 verfasst, ungefähr gleich viele meldet die NÖ Landesgesundheitsagentur bisher für 2022. Viele Meldungen würden laut den Trägern aber kleinere Probleme betreffen, wie etwa versperrte Fluchtwege oder aggressives Patientenverhalten. In mehreren Bundesländern, etwa Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark, weiß man nur von einzelnen solchen Anzeigen. Der Personalmangel macht sich aber auch dort bemerkbar – sowohl im ländlichen Bereich als auch in Graz, heißt es etwa von der Kages.

Überlastungs- oder Gefährdungsanzeigen sind arbeitsrechtliche Instrumente, zu denen die Arbeiterkammer rät, wenn die Arbeit nicht so geleistet werden kann, dass arbeitsrechtliche Verletzungen auszuschließen sind oder Schaden zum Beispiel an der Gesundheit von Mitarbeitern oder Patientinnen entstehen könnte. Die Anzeigen finden nun öfter den Weg in die Medien. Aber nicht nur die Berichterstattung darüber ist gewachsen, auch die Probleme sind es.

8000 Pensionierungen

Österreichweit fehlt es den Spitälern an Pflegepersonal und Ärzten mehrerer Fächer wie etwa der Anästhesie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Wie groß der Druck ist, zeigt eine aktuelle Befragung der Karl-Landsteiner-Privatuniversität, wonach 84 Prozent der Pflegeteams notwendige Versorgungsschritte aus Zeitmangel weglassen müssen.

Die nächsten Jahre bringen keine Entspannung. Allein beim Wigev gehen 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis 2030 in Pension – der Träger umfasst insgesamt rund 28.150 Vollzeitstellen. Aktuell sind laut ORF rund 900 Pflegestellen beim Wigev offen.

Unruhe durch Zusammenlegungen

Passt das Umfeld nicht, ziehen Fachkräfte weiter: Im Fall der Urologieklinik des AKH berichtete die Personalvertretung, das Arbeitsklima zwischen Ärzteschaft und Pflege sei dort seit langem schlecht. Auch die Zusammenlegung von Spitalsabteilungen aufgrund der Spitalsreform 2030 bringt Unruhe. Im Fall der Wiener Urologie-Abteilungen hätten die Veränderungen besonders der Pflege Mehrbelastungen gebracht, sagen auch Ärzte. Und das inmitten der Corona-Pandemie, die ohnehin den Druck erhöht hat und jetzt wieder Dienstpläne wegen Krankenständen umwirft.

Der Wigev ist ein riesiger Apparat, der oft als sehr behäbig wahrgenommen wird. Personal, das ging, berichtet, sein Ansinnen sei achselzuckend zur Kenntnis genommen worden. Im Sommer verkündete die Wigev-Führung, man frage Gehende nun nach den Beweggründen.

Als wichtige Maßnahme gegen Pflegemangel verweist man in Wien und im Gesundheitsministerium etwa auf den Ausbau der Ausbildungsplätze sowie finanzielle Verbesserungen dank Pflegereform. Fehlende Ärzte versucht man zum Teil in Deutschland zu rekrutieren.

"Versorgungskatastrophe" in Bayern

Doch auch dort ist die Lage alarmierend. In der Bild-Zeitung sagte Johannes Maxrath, Chef des Notfallzentrums im Münchner Rotkreuz-Klinikum: "Wir erleben in den Notaufnahmen momentan eine echte Versorgungskatastrophe. Nahezu alle Kliniken melden sich teilweise oder vollständig von der Notfallversorgung ab."

Es fehle an Betten und an Personal. Dazu kommt, dass in München die Auswirkungen des Oktoberfests zu spüren sind. Das hat zu einem Anstieg der Corona-Fälle geführt, auch bei Ärzten und in der Pflege, wo ohnehin Fachkräftemangel herrscht. "Die Situation ist ernst, und es wird noch schlimmer kommen. Die Notfallzentren sind überfüllt, die Patienten stapeln sich auf den Fluren", heißt es auch in einem Brandbrief des Betriebsrats der städtischen München-Klinik an die Klinikleitung und den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

"Extrem schwierige Wochen"

"Wir laufen flächendeckend und nicht nur in Süddeutschland auf extrem schwierige Wochen zu", warnt auch der Chef der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. So klagen in Berlin Kinder- und Jugendärzte, sie seien "mit ihren Kräften am Ende".

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Krankenhäuser kurzfristig mit Geld aus dem neuen, 200 Milliarden Euro schweren Rettungstopf der Regierung unterstützen und sagt: "Wir haben das voll im Blick." Die Expertenkommission der Bundesregierung schlägt einen "Hilfsfonds für soziale Dienstleister", etwa Krankenhäuser oder Reha-Einrichtungen, vor. (Gudrun Springer, Birgit Baumann, 17.10.2022)