Die von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) geplante Unterbringung von Geflüchteten in Zelten stößt auf wenig Wohlwollen.

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Mit dem Aufbauen erster Zelte für Flüchtlinge unweit von Polizeistationen an diesem Wochenende scheint sich ein Tiefpunkt der Asylkrise aus 2015 zu wiederholen. Dass wir in Österreich, einem Land, das alljährlich Millionen touristische Übernachtungen managt, keine festen Unterkünfte für Flüchtlinge und Migranten mehr auftreiben können, lässt den Eindruck einer nicht verhinderbaren Überlastung durch viel zu viele Ankünfte entstehen.

Damit verbunden ist das Bild einer neuerlichen Flüchtlingswelle, die über das Land rollt – mit allen sie begleitenden und verbreiteten Ängsten, Aggressionen und populistischen Versuchungen. Die FPÖ hat das rasch erkannt. Ihr Chef Herbert Kickl fordert wortgewaltig ein sofortiges Aussetzen des Asylrechts in Österreich, das Zurückweisen von Migranten an der Grenze – vulgo legale Pushbacks – sowie die Errichtung von Asylzentren außerhalb der EU. Mit Anti-EU-Polemik spart er dabei nicht.

Trügerisches Bild

Doch das Bild des Überranntwerdens trügt. Die Krise von 2015/16 wiederholt sich nicht. Das zeigt sich vor allem an den Zahlen. Rund 8000 Menschen leben derzeit in den von der staatlichen Betreuungsagentur BBU betriebenen Erstaufnahmeeinrichtungen, die jetzt an der Grenze ihrer Kapazitäten stehen. Damals suchten Zehntausende eine Unterkunft.

Die jetzige Krise ist Ausdruck eines Föderalismusversagens, das sich schon seit Jahren hinzieht. Laut der Grundversorgungsvereinbarung von 2004 sollen Asylwerber den Ausgang ihres Verfahrens in einem Länderquartier abwarten. Doch die Länder kooperieren nicht. Mit Ausnahme von Wien übernehmen sie viel zu wenige Menschen.

Krachendes System

In Zeiten weniger Schutzanträge können die Erstaufnahmestellen diesen Mangel auffangen. Kommen aber wie jetzt wieder mehr Menschen, so kracht das System. Weil das ÖVP-regierte Innenministerium rechtzeitigen Druck auf Parteifreunde in den Ländern für mehr Quartiere scheut – und weil die Frage der Flüchtlingsunterbringung in Österreich politisch verfahren, die Atmosphäre vergiftet ist. Lokale Vorbehalte gegen ein Asylquartier führen fast immer zum Verzicht auf die Errichtung.

Die aktuelle Krise wurde durch ein Treffen der Landesflüchtlingsreferentinnen im Innenministerium vergangenen Donnerstag ausgelöst. Laut Eingeweihten stellten sich dort etliche Ländervertreter gegenüber den Warnungen des Bundes, dass er keine freien Quartiere mehr habe, taub. Dass sich die Bundesländer nun massiv gegen die Zeltaufstellung wehren – und in Tirol und Vorarlberg intensiv nach Zusatzplätzen in Gebäuden oder Containern gesucht wird –, deutet auf ein Umdenken hin. Vielleicht kann der Quartiernotstand doch noch aufgefangen werden.

Ursache Geldmangel

Das tiefere Problem würde dadurch aber nicht gelöst. Es besteht im Versagen des an sich sinnvoll aufgestellten Grundversorgungssystems, das jedoch keinem Stresstest standhält. Das hängt mit Geldmangel zusammen: Von Wien und Tirol abgesehen, ist die im März verkündete, für die Länder existenzielle Erhöhung der Tagsätze in der Asylwerberversorgung in der Praxis nicht angekommen – denn jeder Landtag muss einzeln zustimmen.

Und es hat mit zu langem Dulden des Quartierproblems zu tun, das nach wie vor viel Explosivkraft hat: Ist die neue Asylkrise erst einmal herbeigeredet, wird es schwer sein, die Polemik wieder einzufangen. Und es werden nicht die demokratiebewussten Kräfte profitieren. (Irene Brickner, 16.10.2022)