Das weibliche Immunsystem kann besser mit Viren umgehen als das männliche. Das liegt unter anderem daran, dass Frauen zwei X-Chromosomen haben. Die zwei X sind aber auch dafür verantwortlich, dass sie öfter an Autoimmunerkankungen leiden – diese entstehen, wenn sich ein überaktives Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet.

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Männer über 30, die an Covid-19 erkranken, haben im Vergleich zu ebenfalls erkrankten Frauen häufiger einen schweren Verlauf. Auch ihr Sterberisiko ist deutlich höher. Diese Tatsachen sind nicht neu, auch bei Sars-CoV-1 und Mers, zwei anderen Coronaviren, war das schon zu beobachten. Für Sars-CoV-2 zeichnete es sich bereits in der ersten Welle der Infektionen ab, in China, Italien und den USA, aber auch in Deutschland. Warum?

Waschen sich Männer seltener als Frauen die Hände? Schützen sie sich seltener mit einer Maske vor Sars-CoV-2 und gehen nicht so oft zum Arzt? Rauchen mehr Männer als Frauen? Erkranken sie häufiger und früher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes, allesamt Risikofaktoren für einen schweren Covid-19-Verlauf? Alle diese Faktoren treffen zu. Auch Übergewicht, von ein bisschen zu viel bis wirklich fettleibig, zählt zu den Risikofaktoren. Und auch da haben die Männer, vor allem, was das Bauchfett anbelangt, die Nase vorn.

Aber reicht das, um solch große Unterschiede in Krankheitsverlauf und Sterberisiko zu verursachen? "Wohl kaum. Es liegt auch an den unterschiedlichen Immunantworten von Mann und Frau auf Viren und Bakterien sowie an den Größen, die die jeweilige Immunantwort mitbestimmen", sagt Andrea Kröger, Professorin für Molekulare Mikrobiologie, die am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) lange zu angeborener Immunität und Infektion geforscht hat und jetzt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg arbeitet.

Schutz vor allem für die fruchtbare Frau

Frauen genießen nämlich evolutionär bedingt während ihrer fruchtbaren Phase einen besonderen Schutz durch ein starkes Immunsystem, um Mutter und Nachwuchs zu schützen. Es dient also der Arterhaltung. Aber wie kommt eine Immunantwort auf eine Virusinfektion überhaupt zustande und warum ist sie bei Frauen wirkungsvoller als bei Männern?

Das Immunsystem besteht aus zwei Teilen, dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem, die für eine Immunantwort eng vernetzt zusammenarbeiten. Das angeborene Abwehrsystem mit seinen Fresszellen, Killerzellen und weiteren wichtigen Akteuren ist für einen schnellen Rundumschlag nach fixem Programm zuständig. In Minutenschnelle aktiviert, hat die angeborene Abwehr drei Aufgaben zu erfüllen. Erstens: durch Fresszellen möglichst viele Eindringlinge unschädlich machen. Zweitens: Alarm schlagen, um weitere Immunzellen aus dem Blut herbeizurufen. Drittens: das erworbene Immunsystem bereits wenige Stunden nach Infektionsbeginn aktivieren.

Bei einer Erstbegegnung mit beispielsweise Sars-CoV-2 hat das erworbene Immunsystem noch eine mehrtägige Lernphase zu absolvieren, um seine Spezialkampftruppen aus hochspezialisierten T-Zellen und B-Zellen fit zu machen und Antikörper zu produzieren. Bei vorheriger Impfung geht das alles viel schneller, weil das erworbene Immunsystem das Virus dann schon kennt und darauf vorbereitet ist.

Aber was hat das mit dem Geschlecht eines Menschen zu tun?

Hier kommen das X- und Y-Chromosom ins Spiel. Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom im Zellkern jeder Zelle. Frauen haben dort zwei X-Chromosome, jeweils eines von Mutter und Vater. Auf dem X-Chromosom liegen einige sehr wichtige Gene des Immunsystems.

In jeder weiblichen Zelle ist nun ein X-Chromosom aktiv und das zweite großteils stillgelegt. Aber eben nur großteils. Einige Gene die für die Funktion des Immunsystems sehr wichtig sind, sind auch auf dem 2. X-Chromosom aktiv. Auch das Gen für den sogenannten Toll-like-Rezeptor 7, kurz TLR7, gehört dazu. Dieser Rezeptor ist Teil des angeborenen Immunsystems und kann die Ribonukleinsäure (RNA) von Sars-CoV-2 erkennen. "Der Toll-like-7-Rezeptor der Immunzellen kann dann mittels Typ-1-Interferonen Alarm schlagen", erklärt Andrea Kröger. Interferone sind immunstimulierende und gegen Viren gerichtete Proteine. "Diese Typ-1-Interferone hemmen die Virusvermehrung und warnen noch nicht infizierte Nachbarzellen vor den Viren, sodass sie wirksame Gegenmaßnahmen aktivieren können."

Fast alle bisher bekannten Viren und leider auch das Sars-CoV2-Virus können jedoch die Interferonbildung hemmen oder zumindest abschwächen. "Während bei Männern dann fast kein Interferon mehr die Nachbarzellen erreicht, haben Frauen den Vorteil, dass noch etwas mehr Interferon durchkommt", sagt Andrea Kröger.

Weibliches Immunsystem erkennt Coronaviren rascher

Da eine Frau mehr TLR7-Rezeptoren als ein Mann hat, nämlich auf beiden X-Chromosomen, hat sie Vorteile. "Deshalb kann das weibliche Immunsystem beispielsweise Coronaviren besser und früher erkennen, als es das männliche Immunsystem vermag und eine viel stärkere und schnellere Interferonantwort starten", so Kröger.

Manche Frauen bezahlen dafür jedoch einen hohen Preis. Die erhöhte Alarmbereitschaft des Immunsystems kann sich auch gegen das falsche Ziel, nämlich körpereigene Strukturen richten. "Deshalb erkranken Frauen rund 80 Prozent häufiger als Männer an Autoimmunerkrankungen wie multipler Sklerose oder Lupus erythematodes, der sogenannte Schmetterlingsflechte."

Wie unterscheidet sich die Immunantwort von Mann und Frau ansonsten noch? Die Immunantwort auf Sars-CoV-2 oder gegen andere Viren besteht aus Antikörpern und T-Zellen, also weißen Blutkörperchen. Frauen produzieren bei einer Infektion mit Viren und Bakterien mehr Antikörper als Männer und auch langlebigere. Außerdem erzeugen sie eine stärkere Abwehr durch T-Zellen. Das fand die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University bereits 2020 heraus. Eine schwache T-Zell-Aktivierung kann einen schweren Covid-19-Verlauf zur Folge haben. Die T-Zell-Antwort fällt bei Männern zudem umso schwächer aus, je älter sie sind. Bei Frauen wird sie mit dem Älterwerden allerdings ebenfalls etwas schwächer.

Statt der starken T-Zell-Antwort der Frauen haben Männer dafür erhöhte Mengen entzündungsfördernder Botenstoffe, die Fresszellen aktivieren. Diese "Ersthelfer" wandern bei ersten Anzeichen einer Entzündung oder Infektion schlagartig ins Gewebe ein, um dort Krankheitserreger zu finden, aufzunehmen und zu eliminieren. Akiko Iwasaki stellte mit ihrem Forschungsteam fest: Wenn Frauen diese Stoffe vermehrt bilden, ist der Krankheitsverlauf bei ihnen schlechter. Also genau umgekehrt zur Situation bei Männern.

Sexualhormone spielen bei der Immunantwort mit

Die "weiblichen" und "männlichen" Sexualhormone sind ebenfalls mitverantwortlich dafür, dass die Immunantwort auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 bei Frauen und Männern so unterschiedlich ausfällt. Während bei Frauen das Sexualhormon Östrogen dominiert, ist es bei Männern das Testosteron. Diese Hormone stehen mit den Immunzellen in Wechselwirkung und aktivieren sie. Während Östrogen insbesondere zu Beginn einer Infektion stimulierend auf das weibliche Immunsystem wirkt und eine starke T-Zell-Immunantwort unterstützt, fördert Testosteron entzündungsfördernde Antworten und damit eine überschießende Reaktion, die zur Zerstörung der Lunge bei Covid-19 führt.

Mit steigendem Alter nimmt beim Mann die Testosteronproduktion ab. Aber auch bei der Frau verändert sich mit zunehmendem Alter die hormonelle Situation. Das gesamte angeborene Immunsystem wird inaktiver. Dazu gehören auch die Musterkennungsrezeptoren wie Toll-like-7. Es werden weniger dieser Rezeptoren gebildet. Das schwächt das Interferon-Alarmsystem. So ist es nicht verwunderlich, dass das Sterberisiko für Frauen ab etwa 60 Jahren ansteigt.

Die Zusammenhänge zwischen Sexualhormonen und der Immunantwort auf Sars-CoV-2 hat bei einigen US-Medizinern die Hoffnung geweckt, dass es möglich sein könnte, die Immunantwort bei Männern durch zeitlich begrenzte Östrogen- oder Progesteronzufuhr zu unterstützen und so einen schweren Covid-19-Verlauf zu verhindern, wie die "New York Times" berichtete. Deshalb startete im April 2020 an der Renaissance School of Medicine an der Stony Brook Universität auf Long Island sowie am Cedars-Sinai Hospital in Los Angeles jeweils eine klinische Studie. Die Ergebnisse stehen noch aus, Experten bezweifeln aber, ob therapeutisch eingesetzte Hormone allein einen großen Effekt beim Mann haben werden.

Gendermedizin muss raus aus dem Nischendasein

Diese Zusammenhänge machen laut Kröger deutlich, dass eine individualisierte Medizin zunehmend wichtiger wird. Man könne die Menschen nicht über einen Kamm scheren. "Das heißt, erst einmal zwischen Männern und Frauen trennen und dann idealerweise bei jedem Geschlecht den individuellen Menschen sehen", fordert die Magdeburger Biologin.

Grundsätzliche Erkenntnisse in diese Richtung liegen an sich auch schon länger vor. Bereits 1992 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hastig eine neuen Masernimpfstoff zurückgezogen, nachdem in einer klinischen Studie deutlich wurde, dass er mit einer erhöhten Todesrate kleiner Mädchen im Senegal und in Haiti zu tun hat. Warum nur Mädchen und nicht Jungen betroffen waren, ist leider bis heute ungeklärt. (Gerlinde Felix, 19.10.2022)