"A Plague Tale: Requiem" erscheint am Dienstag.

Foto: Focus Entertainment

Amicia ist auf der Suche nach einem Heilmittel für ihren fünfjährigen Bruder Hugo.

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Ratten. Überall Ratten, und wir stehen mittendrin. Mit einer Fackel bahnen wir uns einen Weg durch die Flut an Nagern, während sich unser Bruder ängstlich an unsere Hand klammert. Dabei wollen wir doch nur ein Heilmittel für die mysteriöse Krankheit des kleinen Hugo finden. Doch warum folgt uns der Rattenschwarm überall hin, und was hat es mit der mysteriösen "Makula" auf sich, die sich über Hugos Körper ausbreitet? Dieser Frage gehen wir in "Plague Tale: Requiem" auf den Grund – und die Antwort geht unter die Haut wie ein Rattenbiss.

Der Vorgänger "Plague Tale: Innocence" war der Überraschungshit des Jahres 2019. Das erste vollwertige Game von Entwickler Asobo Studios überzeugte mit einer dichten Atmosphäre, einer soliden Story, der beeindruckenden grafischen Kulisse des mittelalterlichen Frankreich und Schwärmen von Ratten. Das Spielprinzip: Als Protagonistin Amicia schleichen wir uns an Wachen vorbei, bahnen uns mit Feuer einen Weg durch die Ratten und lösen simple Schalterrätsel. Das Gameplay war auch der Kritikpunkt: wenig Abwechslung, zu viel Trial and Error, und dann kam auch noch Hugo dazu, der ununterbrochen weinerlich am Rockzipfel hing und den Spielfluss verlangsamte. Trotz aller Kritik gilt der Erstling als großes Stück Videospielkunst und wurde sogar als Indie-Variante von "The Last of Us" gefeiert. Nun tritt der zweite Teil an, das alles besser zu machen. DER STANDARD testet, ob die Entwicklerversprechen in "Plague Tale: Requiem" halten.

Alles für die Ratz

Auf der Suche nach einem Heilmittel für Hugo verschlägt es uns diesmal nach Südfrankreich, und die mediterrane Atmosphäre will anfangs gar nicht so recht zur düsteren Stimmung passen, und wir wagen unsere ersten Gehversuche als Amicia auf einem farbenfrohen mittelalterlichen Markt. Doch die heile mediterrane Welt geht schnell unter, denn Hugo und seine Krankheit – so viel darf man, ohne zu spoilern, sagen – bringen auch Unmengen von Ratten mit. Diese verwandeln die Städte Südfrankreichs schnell in düstere Horrorvisionen und sind jetzt sogar in der Lage, ganze Orte effektvoll einzuebnen – ein großer grafischer und spielerischer Fortschritt zum ersten Teil.

Amicia bekommt je nach Spielweise neue Fertigkeiten spendiert.
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Bis zu 300.000 Ratten kann die eigens entwickelte Engine gleichzeitig auf dem Bildschirm darstellen. Diese Flut verhält sich wie eine Flüssigkeit, zünden wir eine Fackel oder ein Kohlebecken an, schwappt die Masse zurück und gibt den Weg frei. Geht uns jedoch mitten im Schwarm das Feuer aus, ertrinken wir förmlich in der Masse der wuselnden Leiber.

Am Gameplay haben die Entwickler im Detail gefeilt. Die Kernaufgabe der 15-jährigen Protagonistin Amicia ist es nach wie vor, an Wachen vorbeizuschleichen und dabei nicht von den Ratten gefressen zu werden. Seit dem ersten Teil hat Madame de Rune einige Bewegung dazugelernt: Amicia klettert jetzt schneller und kann sich auch unter Objekten wie Betten oder Tischen verstecken. Aber auch die Gegner haben dazugelernt. In "Innocence" bewegten sich die Widersacher noch wie auf Schienen, in "Requiem" können sie jetzt selbstständig Hindernisse überwinden, sich an Mauervorsprüngen hochziehen oder sogar das hohe Gras anzünden, in dem wir uns gerade verstecken.

Amicia und Hugo
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Das macht die Gegnerschaft deutlich kompetenter als noch im ersten Teil, was die Spannung in den Schleichpassagen noch einmal deutlich erhöht. Das führt aber auch dazu, dass die Soldaten unberechenbarer werden und unsere clever ausgeklügelten Pläne schnell zunichtemachen, weil sich plötzlich eine Wache unbemerkt von hinten an uns herangeschlichen hat – oft werden die Passagen zum Trial-and-Error-Fest.

Zum Glück ist Amicia nicht mehr wehrlos. In "Innocence" segnete die Protagonistin beim ersten Feindkontakt schon das Zeitliche, im zweiten Teil kann sie sich nach dem ersten Treffer noch einmal hochrappeln, was uns als Spieler die Gelegenheit zur Flucht verschafft. Außerdem kann Amicia Gegner nun in Kohlebecken oder in Rattenschwärme stoßen. Später bekommen wir neben der aus dem ersten Teil bekannten Steinschleuder noch tödlicheres Werkzeug an die Hand – aus Spoilergründen gehen wir aber nicht näher darauf ein.

Genau da ist ein Grundproblem, das viele Schleichspiele haben und auch "Requiem" nicht verschont: Es ist einfach deutlich effizienter, die Gegner gleich für immer auszuschalten, statt sich an ihnen vorbeizuschleichen. Das haben offensichtlich auch die Entwickler bemerkt, und unsere Begleiter werfen uns nach einiger Zeit ungezügelte Mordlust vor, sollten wir uns allzu wild durch die Schleichpassagen metzeln, was auf die Handlung aber keine weiteren Auswirkungen hat.

Weniger toll: Fluchtsequenzen auf die Kamera zu sind inszenatorisch effektvoll, spielerisch aber frustrierend.
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Hugo nervt nicht mehr

Die größte Verbesserung gegenüber dem Erstling betrifft aber Hugo oder, besser, dessen Abwesenheit. Im ersten Teil war der fünfjährige Bruder von Amicia noch eine dauerquengelnde Nervensäge, die noch dazu die Spielfigur verlangsamte. Das war eine bewusste Entscheidung der Entwickler, weil man geschwisterliche Auseinandersetzungen thematisieren wollte – was aber auf viele Spieler abschreckend wirkte.

In "Plague Tale: Requiem" tritt Hugo zumindest in der ersten Spielhälfte kaum als Begleiter in Erscheinung, stattdessen sind wir mit dem wesentlich sympathischeren Alchemistenlehrling Lukas unterwegs. Später, wenn Hugo wieder an unseren Rockzipfeln hängt, hält er sich mit dem Geheule zurück und bremst auch den Spielfluss kaum noch – gut so! Apropos Begleiter: Sie sind es, die nicht nur als Stichwortgeber fungieren, sondern auch liebenswürdigen Charme in ein ansonsten düsteres Spiel bringen. Während Amicia die verbissene und immer kaltblütigere Kriegerin spielt, sind es Charaktere wie Lukas, Sophia und Arnaud, die für den dringend nötigen Comic Relief sorgen und so kräftig Sympathiepunkte sammeln.

Der Krampf mit den Rätseln

Sind es einmal nicht die Wachen, die uns das Leben schwermachen, müssen wir wahrscheinlich ein Rätsel lösen, um weiterzukommen. Wer dabei jetzt aber geistig fordernde Kopfnüsse erwartet, wird bitter enttäuscht, denn die Rätsel kommen nicht über die übliche Schalter- und Schiebe-Stangenware hinaus.

Die wirkliche Schwierigkeit kommt oft eher daher, dass man als Spieler nicht immer sofort erkennt, was genau das Ziel sein soll – da hilft wie auch bei den Schleichpassagen oft nur planloses Ausprobieren. Das Rätsel an der Schiffsanlegestelle mit den brennenden Heuklumpen an den Kränen hat sich mit der unklaren Zielsetzung und einem bockigen Begleiter einen Platz Gaming-Hölle redlich verdient. Dazu kommen mitunter recht krampfige Kämpfe, so hielten es die Entwickler gegen Ende des Spiels für eine gute Idee, eine Auseinandersetzung mit Soldaten im dichten Nebel zu inszenieren. Man kämpft also blind gegen eine Horde Gegner, die sich nur mit Tricks besiegen lassen – nur blöd, dass man eben nicht erkennen kann, um welchen Gegnertyp es sich handelt.

Die Protagonisten wagen sich aufs Meer.
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Dafür entschädigt uns "Plague Tale: Requiem" auf der anderen Seite mit einer dichten Atmosphäre und einer Story, die den besten Vertretern des AAA-Sektors in nichts nachsteht, und ja, der Vergleich mit "The Last of Us" drängt sich in puncto Inszenierung und Dramatik (und nur "gutem" Gameplay) auf. In seinen 15 bis 20 Stunden Spielzeit geht "A Plague Tale: Requiem" unter die Haut wie 300.000 Rattenbisse, und am Ende hatten wir mit den Tränen zu kämpfen – das haben nicht viele Spiele zuvor geschafft.

Fazit

Entwickler Asobo liefert mit "A Plague Tale: Requiem" die beinahe perfekte Fortsetzung eines "guten" Spiels. Die Schwachpunkte wurden gezielt überarbeitet, ohne das Spiel gänzlich glatt zu bügeln, schließlich darf und muss ein düsteres Mittelalter-Game seine Kanten haben. Grafisch beeindruckt "Requiem" sogar noch mehr als der schon absolut hinreißend aussehende Vorgänger – sofern PC-Spieler über ein ausreichend potentes System verfügen. Das alles zieht mich in einen Bann, den selten ein Spiel zuvor geschafft hat – ich muss wissen, wie es weitergeht, ich muss weiterspielen, ich muss die Story erleben, nur damit ich am Ende wehmütig auf 15 schaurig-schöne Stunden mit Amicia und Hugo zurückblicken kann.

Wenn ich mir für den bereits angedeuteten dritten Teil etwas wünsche darf, dann sind es Verbesserungen im Gameplay: Im Wesentlichen kennt "Requiem" nämlich nur Schleich- und Rätselpassagen, wahlweise gewürzt mit Soldaten und oder Ratten als Gegnern. Über diesen Mangel an Abwechslung kann die großartige Inszenierung recht erfolgreich hinwegtäuschen, aber für ein Nachfolgespiel wird das nicht mehr reichen. Dennoch: War "Innocence" ein ungeschliffener Diamant, ist "Requiem" ein Beinahe-Meisterwerk geworden, das mich auf eine emotionale Reise durch den Süden Frankreichs nimmt, mich niederschlägt, wieder aufrichtet und mich am Ende völlig verstört zurücklässt – und das im besten Sinn. (Peter Zellinger, 17.10.2022)