Für die meisten Menschen sind die 70 Stufen beim Mumok im Museumsquartier einfach nur das: Stufen. Für die Early Birds, die sich hier immer mittwochs um 6.30 Uhr in der Früh treffen, sind sie Fitnessstudio und Spielplatz in einem. Mitmachen können alle, die Trainings sind kostenlos. Auch ich habe mir kürzlich den Wecker gestellt und es tatsächlich so früh aus dem Bett geschafft. Aber warum tut man sich das an?

Gar nicht so wenige Early Birds sind während der Woche jeden Tag am Start.
Foto: Heribert Corn

Mit der Frage bin ich nicht allein: Die größte Hürde beim Morgensport ist für die einen der Morgen und für die anderen der Sport. Die Schlummertaste darf man nicht drücken, denn es geht pünktlich los, nicht nur am Mittwoch, sondern auch an jedem anderen Tag der Woche. Montags steht bei den Early Birds eine Ringrunde auf dem Programm, dienstags gibt es Yoga, mittwochs powert man sich auf den Stufen aus, am Donnerstag steht eine Radausfahrt auf dem Programm, und am Freitag gibt es als krönenden Abschluss ein Intervalltraining am Donaukanal. Nur die Uhrzeit ist immer die gleiche.

Um kurz vor halb sieben kommen durch die unterschiedlichen Tore des Museumsquartiers die sportlich Motivierten herbei. Jeder und jede wird mit High five, Umarmung oder Fistbump begrüßt. Sport im Morgengrauen schweißt zusammen. Ein wenig Zeit habe ich noch, die Anwesenden nach dem Warum zu fragen. Immerhin sind gar nicht so wenige von ihnen an jedem Tag der Woche am Start. Als Antwort gibt es häufig: "Dann hab ich es hinter mir." Viele sind mit Jobs oder Familie bis spät am Abend eingeteilt. Wer den Sport nicht in der Früh unterbringt, schafft ihn vielleicht gar nicht.

Sport bei Wind und Wetter

Das frühe Aufstehen sei zudem reine Gewohnheitssache, sind viele überzeugt. Das stimmt zwar – es gibt dennoch Menschen, die in der Früh eher zu sportlichen Höchstleistungen fähig sind als andere. Das hängt vom zirkadianen Rhythmus ab. Die einen sind Typ Eule, sie bleiben lange auf und kommen dafür in der Früh nicht aus den Federn. Die anderen sind Typ Lerche, sie kommen früh auf, gehen dafür aber auch früh schlafen. Neben den beiden Extremtypen gibt es auch noch viele Zwischentypen. Gesund ist Sport zu jeder Uhrzeit, betont der Salzburger Sportwissenschafter Erich Müller: "Entscheidend ist, dass man ihn regelmäßig und gerne macht."

In kleinen Gruppen sprinten wir die Stufen hinauf.
Foto: Heribert Corn

Und für manche liegt die Antwort eben im Morgensport. Begonnen haben die Early Birds 2020, noch vor Corona, als eine kleine Gruppe sportlicher junger Menschen in Wien beschloss, vor der Arbeit gemeinsam Sport zu machen. Was dann passiert ist, kann das Kernteam sich heute auch nicht mehr so genau erklären: Freundinnen nahmen Freunde mit, die wiederum Freundinnen anschleppten.

So kamen immer mehr und mehr Menschen, die sich auch von Wind und Wetter nicht vom Training abhalten ließen. "Und irgendwann wurde uns die Strudlhofstiege im Neunten zu kurz", sagt Julia Perz, eines der Gründungsmitglieder, die heute das Training leitet. So landeten sie im Museumsquartier.

Ein Auftritt auf Instagram, auf dem Ausschnitte von den Workouts und Gruppenfotos geteilt werden, eine eigene Website und eine wachsende Whatsapp-Gruppe haben ihr Übriges getan. Vor kurzem wurde ein neuer Teilnehmerrekord gebrochen: 60 Menschen sind die Treppe in der Früh rauf- und runtergeschurlt. Seit kurzem gibt es die Early Birds auch in Innsbruck und Salzburg.

Hauben und Handschuhe

Aber zurück ins Museumsquartier: Hier machen sich die herbstlichen Temperaturen bei der Wahl der Outfits bereits bemerkbar. Die ersten Hauben und Kapuzenpullis werden ausgeführt, manche tragen sogar Handschuhe. Erstere werden schon beim Aufwärmen abgelegt, die Handschuhe aber werden aus gutem Grund getragen: Denn schon beim Warm-up, für das wir die Stiege vorerst links liegen lassen und uns im Kreis im Museumsquartier aufstellen, haben wir viel Bodenkontakt.


Auf Stiegen kann man nicht nur sprinten, sondern auch springen.
Foto: Heribert Corn

Bei einer Partnerübung wird nicht nur händchenhaltend gesquattet (liebe Grüße an meinen neuen Freund Gabriel!), sondern auch in der Liegestützposition auf dem Boden geplankt, während der Partner die Beine hochhebt und dann erst rechts, dann links loslässt, um die muskuläre Anspannung auszutesten. Ich bin Auge in Auge mit dem einen oder anderen Zigarettenstummel. Aber Gabriel und ich haben andere Sorgen.

Denn nach dem Aufwärmen wird es ernst. Wir sind zum Stiegenlaufen hier und versammeln uns jetzt am Fuße der Treppe, die plötzlich ziemlich lang aussieht. Fabian Netahlo, ebenfalls Mitglied des Gründerteams und heute einer der Trainer, gibt jeweils zweien von uns das Signal, loszulaufen und so schnell wie möglich die Stiegen hinaufzusprinten.

Das probiere ich zumindest, finde aber meinen Rhythmus nicht. Soll ich zwei Stufen auf einmal nehmen oder doch nur eine? Ich probiere beides und bin dabei immerhin so konzentriert, dass ich meine brennenden Oberschenkel fast nicht bemerke. Sie werden beim Stiegenlaufen besonders gefordert. Um von Stufe zu Stufe zu kommen, braucht es außerdem Kraft. Das macht das Stiegenlaufen so anstrengend – und den Muskelkater für Ungeübte später so schlimm.

1.000 weitere Stufen

Aber darüber kann ich gerade nicht nachdenken. Als mich meine Hintermänner erst ein- und dann überholen, wird mir klar, dass ich noch an meiner Technik feilen muss. Oben applaudieren die anderen, die es schon hinter sich haben, trotzdem für mich.

Wir gehen wieder nach unten – und bezwingen die Stiege ein weiteres Mal. Und noch einmal. 1.000 weitere Stufen, und ich hab den Dreh vielleicht raus! Nur machen wir jetzt andere, noch forderndere Übungen. Wir krabbeln auf allen vieren die Stiegen runter, hüpfen beidbeinig die Stiegen rauf, machen Ausfallschritte. Das sorgt bei den wenigen Menschen, die um diese Uhrzeit außer uns schon unterwegs sind, um mit ihren Hunden Gassi zu gehen, für, nun ja, neugierige Blicke.

Hinunter geht es auf allen Vieren.
Foto: Heribert Corn

Die Stiegen des Museumsquartiers sind freilich nicht der einzige Ort in Wien, an dem in der Früh gesportelt wird. Viele Fitnessstudios haben um diese Uhrzeit längst ihre Pforten geöffnet. Das neue Studio von John Reed beim Wiener Schottentor sperrt um sechs Uhr auf. Vor der Tür steht dann immer schon eine kleine Gruppe, die sich untereinander kennt und auch beim Training austauscht, heißt es auf Anfrage.

Training um fünf Uhr

Auch bei F45, einem Functional-Fitness-Studio im sechsten Bezirk, starten unter der Woche die Kurse um sechs Uhr morgens. Auch hier kennt sich die kleine Gruppe mittlerweile, heißt es dort auf Nachfrage. In F45-Studios in anderen Ländern gibt es sogar Einheiten um fünf Uhr, das sei aber besonders in größeren Städten wie Sydney der Fall, wo das Pendeln ins Büro länger dauert. Auch in Anbetracht von Lärmbeschwerden sei ein Start vor sechs Uhr morgens hierzulande nicht ratsam.

Im Museumsquartier wird es ganz zum Schluss noch einmal richtig anstrengend: Wir versammeln uns im Kreis und machen eine kurze, schweißtreibende Runde an Übungen mit dem Eigenkörpergewicht. Wir machen Squats und werfen uns bei Burpees auf den Boden. Und dann? Drehen wir alle noch eine Runde und verteilen High-fives und Fistbumps aneinander. Nun ruft bei den meisten das Büro.

Warum tut man sich das an? Wegen des tollen Gefühls danach, realisiere ich, während ich nach Hause gehe. Es ist 7.30 Uhr. Der Tag hat noch nicht einmal richtig angefangen. Aber ich weiß jetzt schon, dass er gut wird. (Franziska Zoidl, 18.10.2022)