Eine Smogwolke hängt über Erbil. Erzeugt wird sie von den vielen Dieselgeneratoren, den Autos – und von über hundert Erdölraffinerien in der Umgebung.

Foto: Alicia Prager

Der Geruch von Erdöl hängt in der Luft. Von einem Hügel am Rande Erbils, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Irak, sind am Horizont Flammen zu sehen. Sie lodern über den Schornsteinen der vielen Raffinerien, die sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten um die Stadt angesiedelt haben.

Immer mehr Unternehmen in der Region fördern und verarbeiten Erdöl. Dabei wird gleichzeitig Erdgas frei, für das es im Irak kaum Infrastruktur gibt – keine Rohre, keine Lagermöglichkeiten. Das Erdgas einzufangen hätte sich vielerorts nicht rentiert. Es wird einfach verbrannt. So machen es Unternehmen auf der ganzen Welt: im Irak, in Russland, in Algerien, in den USA. Weil das Erdgas dabei aber nie vollständig abgebrannt wird, gelangen riesige Mengen an Methan, dem Hauptbestandteil von Erdgas, in die Atmosphäre. Dort erhitzt es die Erde über eine Zeitspanne von 20 Jahren 80-mal stärker als CO2.

Die Erdölindustrie setze damit weltweit jeden einzelnen Tag etwa so viel Methan frei, wie es im September aus den Lecks der North-Stream-Pipelines aus der Ostsee sprudelte, rechnet die Organisation Capterio vor, die mit Energiefirmen weltweit daran arbeitet, das "Abfackeln", wie es Fachleute nennen, zu reduzieren. Ein großer Hebel: Allein 2019 wurde laut der Internationalen Energieagentur IEA so viel Erdgas verbrannt, wie Deutschland, Frankreich und die Niederlande es in einem Jahr importieren.

Trotz internationaler Erklärungen, dem ein Ende setzen zu wollen, ist bislang in vielen Ländern kaum etwas passiert – so auch im Irak, der nach Russland am meisten Erdgas abfackelt.

Auf einem Erdölfeld im autonomen Kurdengebiet im Irak wird überschüssiges Gas abgefackelt.
Foto: AFP / Ahmad Al-Rubaye

Nicht nur für das Klima ist das fatal. Die ständig brennenden Feuer schaden auch der Gesundheit der Menschen, die in ihrem Umkreis leben.

"Das Haus meines Vaters steht neben einem Erdölfeld. Wenn wir unsere Kleidung nach dem Waschen dort in die Sonne hängen, ist sie voller schwarzer Flecken", erzählt Jafar Dalo, Professor am Institut für Erdöltechnik an der Koya-Universität. "Sie können sich vorstellen, was es bedeutet, wenn wir diese Luft ständig einatmen", sagt er. Die Zahl der Atemwegs- und Krebserkrankungen in der Region sei in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen.

Genaue Zahlen veröffentlichen bislang weder der Irak noch die Konzerne. Eine Recherche von BBC News Arabic für den Dokumentarfilm "Under Poisoned Skies" zeigte jedoch anhand von Lufttests und anhand von Urinproben von Kindern, die nahe von Erdölfeldern leben, dass 70 Prozent von ihnen zu diesem Zeitpunkt einem stark erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt waren.

Die verpestete Luft wird vom Wind weiter über die Städte getragen – wo zusätzlich Dieselgeneratoren, die die täglichen Stromausfälle abfedern sollen, die Luft weiter verschmutzen.

"Diese Dieselgeneratoren bräuchten wir nicht, wenn wir das Erdgas zumindest für die Stromerzeugung verwenden würden. Stattdessen verbrennen wir es", so Dalo, der zu den Umwelteinflüssen der Erdölindustrie in Kurdistan forscht.

Auch rein wirtschaftlich sei das Abfackeln – auch unter dem englischen Begriff Flaring bekannt – Unsinn, ergänzt er. So könnte das Gas für eine stabile Stromversorgung sorgen – außerdem könnte man das nun immer wertvollere Erdgas exportieren.

Neue Pipeline in Planung

Pläne dazu gibt es bereits: So soll eine neue Pipeline von den kurdischen Ölfeldern bis kurz vor der türkischen Grenze verlegt werden. Laut dem kurdischen Ministerium für natürliche Ressourcen verfügt allein dieser Teil des Iraks über rund drei Prozent der globalen Erdgasvorkommen. Dieses Erdgas soll, so hofft zumindest der Premierminister der autonomen Kurdenregion, Masrour Barzani, eines Tages bis nach Europa geliefert werden.

Bislang scheiterte der Plan an politischen Querelen: An Uneinigkeiten innerhalb der kurdischen Koalition sowie am Widerstand der irakischen Regierung, die will, dass Erdöl und Erdgas über die Hauptstadt Bagdad verkauft werden. Die Zentralregierung möchte eine neue Einnahmequelle für die kurdische Region verhindern. Und auch der Nachbarstaat Iran will den Aufbau einer Erdgasindustrie im Irak bremsen und damit Konkurrenz für das eigene Gas möglichst verhindern.

Ein Raketenangriff im März dieses Jahres sollte diese Botschaft vermutlich unterstreichen: Der Iran schoss zwölf Raketen auf die Stadt Erbil ab – einige davon landeten in der Villa eines Geschäftsmannes, in dessen Haus laut der Nachrichtenagentur Reuters Gespräche zu den Pipeline-Plänen stattgefunden hatten.

"Die Attacke zeigt, wie chaotisch die Situation ist", kommentiert der Wissenschaftler Dalo. Um das Abfackeln zu stoppen, bräuchte es den Eingriff internationaler Akteure – lokale könnten die Klimamisere allein nicht stoppen, glaubt Dalo.

Internationale Erklärung – bislang mit wenig Erfolg

Eine globale Absichtserklärung zum Flaring-Ende gibt es bereits seit 2015: Auf der Klimakonferenz in Paris erklärten Staaten und Mineralölkonzerne, bis 2030 das routinemäßige Abfackeln zu beenden. Mittlerweile haben 54 Konzerne und 34 Regierungen die Erklärung unterzeichnet, darunter auch der Irak. Dennoch wird im Irak heute mehr Erdgas abgefackelt als je zuvor. Global ist das Niveau in etwa gleich geblieben.

Einen neuen Anlauf gab es dann auf der Klimakonferenz in Glasgow im vergangenen Jahr. Dort unterschrieben 111 Staaten den sogenannten Global Methane Pledge. Darin erklärten die Staaten, ihre Methanemissionen zusammen bis 2030 im Vergleich zu 2020 um 30 Prozent zu senken.

Wird das Ziel erfüllt, könnte das zumindest 0,2 Grad Erhitzung einsparen – das klingt nach wenig, kann aber einen deutlichen Unterschied machen. Auch hier beteiligte sich der Irak, und der Umweltminister Jassim Hammadi bekräftigte, dass bis 2030 kein Erdgas mehr abgefackelt werden soll.

Kann das funktionieren?

Thomas Schmidinger von der Universität Wien, der zurzeit als Gastprofessor in Erbil arbeit, ist skeptisch. "Sieben Jahre ist eine lange Zeit. Ob es dann noch irgendjemanden im Irak interessiert, was heute angekündigt wurde, ist fraglich", sagt er.

Das Problem dürfte umso schwerer in den Griff zu bekommen sein, weil in der Region nicht nur große Firmen Erdgas abfackeln, sondern auch immer mehr illegale Raffinerien. Dort wird unter anderem Rohöl aus dem Nordosten Syriens verarbeitet, wo es kaum eigene Raffinieren gibt und das Erdöl und Erdgas noch unkontrollierter an die Oberfläche befördert wird.

Nutzung des Erdgases und Erneuerbaren-Ausbau

Einige kleine Schritte vorwärts gäbe es aber doch, betont Mark Davis, Geschäftsführer von Capterio. "Damit im Irak weniger abgefackelt wird, empfehlen wir drei Schritte", sagt Davis. Es brauche mehr Daten, um das Problem zu verstehen, sowie einen Fahrplan, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, das Abfackeln zu verhindern. Und schließlich sei mehr Unterstützung für Projekte nötig, die die Verschmutzung durch das Erdgas reduzieren können. Ein ähnliches Rezept empfiehlt Capterio Unternehmen und Regierungen weltweit.

"Auf der Klimakonferenz im November in Ägypten wollen wir dazu den Dialog neu anstoßen", kündigt Davis an. Ägypten selbst fackle heute bereits 26 Prozent weniger Erdgas ab als noch 2016, unterstreicht er. Wie viel Erdgas heute in welchen Ländern verbrannt wird, zeigt Capterio im Online-Tool FlareIntel.

Im Irak seien die bessere Nutzung des Erdgases und vor allem auch ein Aufbau von Solaranlagen mit Blick auf die Zukunft entscheidend, sagt Davis weiter. Bei steigenden Temperaturen werde etwa der Bedarf an Klimaanlagen weiter in die Höhe gehen – und damit der Energieverbrauch. Die Nutzung der schmutzigen Dieselgeneratoren könne keine Option sein.

"Es darf sich ökonomisch nicht mehr auszahlen, Erdgas abzufackeln"

Der Druck, das Abfackeln zu beenden und erneuerbare Energiequellen auszubauen, werde im Irak immer größer, sagt Schmidinger. "Die Menschen spüren den Klimawandel hier stark. Wir sehen interne Migration, weil immer mehr Gebiete unbewohnbar werden. Wir sehen Temperaturen von über 50 Grad." Es entstünden immer mehr Klima- und Umweltorganisationen, die sich für Veränderungen einsetzen.

Damit sie aber Erfolg haben und Verschmutzung durch Erdöl und Erdgas eindämmen können, sei mehr nötig als internationale Absichtsbekundungen, so Schmidinger: "Wenn Europa zum Beispiel nur noch Erdöl kauft, für das kein Erdgas abgefackelt wird, würde das mehr verändern als die schönen Erklärungen." Es dürfe sich ökonomisch nicht mehr auszahlen, Erdgas abzufackeln. Weder im Irak – noch in Algerien oder in den USA. (Alicia Prager, Rezgar Omer Suleyman aus Erbil, 19.10.2022)