Kluge Intervention oder "Dekoration für einen Antisemiten", wie Kritiker meinen? Die Installation "Lueger temporär" beim Karl-Lueger-Denkmal polarisiert.

APA

Das Karl-Lueger-Denkmal im ersten Wiener Gemeindebezirk ist seit Jahrzehnten umstritten. Vergangene Woche wurde ein Kunstwerk enthüllt, das für ein Jahr temporär installiert ist und die Gemüter erhitzt. Es stammt von Nicole Six und Paul Petritsch, heißt Lueger temporär und zeichnet in Form buntbemalter Holzplatten die Umrisslinien von 16 Orten und Denkmälern nach, die im Wiener Stadtbild heute noch an den prägenden Bürgermeister, der Antisemit war, erinnern. Die Idee: Nicht nur das Denkmal auf dem Karl-Lueger-Platz sei problematisch, sondern auch die vielen weiteren, meist unkommentierten Objekte.

Jene, die eine Entfernung oder radikalere Umgestaltung des Denkmals fordern, können mit der Installation, die in einem Jahr durch etwas Permanentes ersetzt werden soll, nichts anfangen. Es lohnt aber doch, sich mit den Objekten, auf die Six und Petritsch hinweisen, zu befassen – allerdings: vor Ort wurde verabsäumt, die Details mit einer Schautafel zu erklären, eine Liste der Objekte ist nur auf der Website der Künstler zu finden.

Video: Wer war Karl Lueger?
DER STANDARD

Lueger überall – ein Politiker und sein Kult

Was man weiß, ist, dass Karl Lueger (1844–1910) um 1900 keine Gelegenheit ausließ, den übersteigerten Kult um seine Person, der noch jenen um den zeitgleich regierenden Kaiser Franz Joseph I. übertreffen sollte, im Stadtbild zu verewigen. Unterstützer des Gründers der Christlichsozialen Partei sollen einst sogar darüber nachgedacht haben, Wien in "Bürgermeister Dr. Karl Borromäus Lueger-Stadt" umzubenennen – zumindest schrieb das damals die Arbeiter-Zeitung.

Klar ist: Die heute noch im Stadtbild sichtbaren Lueger-Huldigungen sind nur noch die Spitze des Eisbergs. Fünf dieser Orte seien hier vorgestellt.

Gesamte Liste der Objekte: six-petritsch.com

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Karl-Borromäus-Kirche: Grabmal Karl Luegers und wichtigste Kirche auf dem Wiener Zentralfriedhof

Jugendstiljuwel und prominente Grablege für den wie ein Heiliger verehrten Bürgermeister.
Foto: Christian Fischer

Karl Lueger, von 1897 bis 1910 Wiener Bürgermeister, legte 1908 feierlich den Grundstein für eine Kirche im Zentrum des neu geschaffenen Zentralfriedhofs. 1910, vor Vollendung des Bauwerks, das von Max Hegele im Jugendstil entworfen worden war, starb Lueger. Er wurde unter dem Hochaltar in einer Gruft beigesetzt und auf einem Wandbild im Sterbegewand kniend abgebildet. Luegers Namenspatron war Karl Borromäus, ein heiliggesprochener Mailänder Kardinal aus dem 16. Jahrhundert. Ihm wurde die Kirche 1911 geweiht. Benannt wurde sie jedoch nach einem Gemeinderatsbeschluss 1910 als Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche. Erst nach einer Generalsanierung im Jahr 2000 wurde die Kirche nach einer Übereinkunft zwischen Bürgermeister Häupl und Kardinal Schönborn in Friedhofskirche zum heiligen Karl Borromäus umbenannt.

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Karl-Borromäus-Brunnen: Luegers Heimatbezirk Landstraße ehrt den Heiligen und Quasiheiligen

Im dritten Wiener Gemeindebezirk wurde zum 60. Geburtstag Luegers ein Heiligenbrunnen errichtet.
Foto: Christian Fischer

Für die um 1900 nicht unübliche Identifikation Lebender mit toten Vorbildern, die bis hin zu Reinkarnationsfantasien reichen konnte, steht auch ein zweites Beispiel: Karl Luegers Heimatbezirk Landstraße errichtete zu dessen 60. Geburtstag und zu Ehren des Namenspatrons, des heiligen Karl Borromäus, im Jahr 1909 einen Brunnen. Im Jugendstil von Josef Engelhart und Jože Plečnik gefertigt, wird ein Wasserspiel von insgesamt 15 männlichen Putten (babyspeckigen Bubenfiguren) getragen. An Karl Borromäus, der in Mailand Pestkranken geholfen haben soll, erinnert eine eigene Figurengruppe. Anstößig war der Brunnen bereits damals, allerdings nicht wegen Lueger: Ein lokaler Pfarrer wetterte heftig gegen die Nacktheit der kleinen Putten, forderte deren Entfernung oder Verhüllung. Doch päpstlicher als der Papst wollte man nicht sein.

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Büste auf dem Cobenzl Ein Denkmal für den charismatischen "Bürgerkaiser"

Das Konterfei Luegers war um 1900 so präsent wie jenes des Kaisers. Man überbot sich in Propaganda.
Foto: Christian Fischer

Lueger wurde von Kaiser Franz Joseph, dem Luegers Antisemitismus missfiel, erst im fünften Anlauf als Bürgermeister bestätigt. Er gab sich als Politiker neuen Typs, als "Volkstribun" und "Bürgerkaiser", als Verkörperung des gegenüber dem Adel zu großem Selbstbewusstsein gelangten Bürgertums. Zudem war er charismatisch und fesch. Lueger nahm tausende öffentliche Termine wahr, gab Autogramme und verteilte Werbegeschenke, sogar eine Tabakmarke ("für christliche Raucher") trug seinen Namen. Auf den jungen Adolf Hitler machte die Persönlichkeit Eindruck, er sollte Lueger später als "gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten" bezeichnen. Die Lueger-Verehrung war auch posthum groß: 1915, der Erste Weltkrieg tobte bereits, wurde auf dem Cobenzl eine von Wiener Bürgern initiierte Büste aufgestellt. Sie steht bis heute – unkommentiert.

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Leuchtobelisk Ein Triumphdenkmal für errichtete Gartenanlagen am Mariahilfer Gürtel

Zwölf Meter hoch und heute nicht mehr strahlend: der "Leuchtobelisk" zu Ehren des Stadtbegrüners.
Foto: Christian Fischer

Für den als Modernisierer der Stadtinfrastruktur verehrten Lueger wurde am Gürtel zwischen äußerer und innerer Mariahilfer Straße 1906 ein Triumphstein aufgestellt, wie ihn sonst nur Herrscher von Gottes Gnaden erhielten: ein zwölf Meter hoher Obelisk, in acht Jahren Arbeit von Hans Scherpe und Johann Scheiringer gestaltet. Er trägt die Inschrift: "Die Gartenanlagen auf dem Gürtel zwischen der Nussdorferstrasse und dem Wienflusse wurden unter Bürgermeister Dr. Karl Lueger nach dem Antrage des Stadtrates Karl Schreiner in den Jahren 1898 bis 1906 ausgeführt." Künstlerische Details wie Frauenfiguren in Wiener Tracht oder ein Stern an der Spitze des Obelisken, der mit 92 Glühlampen bestückt war, fehlen heute. Der Obelisk sollte nicht nur lobhudeln, sonder als Straßenbeleuchtung dienen und Fortschritt symbolisieren.

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Karl-Lueger-Brücke Ein Zweckbau von 1955 als bislang letzte Ehrenbekundung

Schön ist sie nicht, aber die jüngste bekannte Ehrenbekundung für Lueger: Eine Zweckbrücke in Penzing.
Foto: Christian Fischer

Noch 1955 – im Jahr des Staatsvertrags – wurde im Bezirk Penzing eine einfache Betonbrücke über den Wien-Fluss nach Karl Lueger benannt. Heute tobt die Debatte um eine Umbenennung. Grüne, Neos und auch die im Bezirk regierende SPÖ sind dafür, ÖVP, FPÖ und Team HC wollen am "Stadtvater" festhalten.

(Stefan Weiss, 18.10.2022)