Freitagvormittag in der National Gallery in London: Zwei Aktivistinnen von Just Stop Oil warfen Suppe auf Vincent van Goghs "Sonnenblumen" und klebten sich an der Wand fest. Das Bild war hinter Glas gut geschützt und blieb unversehrt.

Foto: Imago/Just Stop Oil

Die Aktion dauerte nur wenige Minuten und zielte auf maximalen Effekt ab: Kurz nach elf Uhr betraten zwei junge Aktivistinnen Freitagvormittag Raum Nummer 43 in der National Gallery in London, positionierten sich vor Vincent van Goghs Sonnenblumen, zückten je eine Dose Heinz Tomato Soup und schütteten deren Inhalt über das Gemälde.

DER STANDARD

Während unbeteiligte Besucher entsetzt nach Sicherheitskräften riefen, klebten die 21-jährige Phoebe und die 20-jährige Anna ihre Hände an die Wand und verkündeten lauthals ihre Botschaft: "Was ist mehr wert, Kunst oder Leben?" – gehe es "mehr um den Schutz eines Gemäldes oder um den Schutz unseres Planeten und der Menschen"?

Die Aktivistinnen der Klimaprotestgruppe Just Stop Oil wurden wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch verhaftet und angeklagt, kamen jedoch am Wochenende gegen Kaution frei. Das Gemälde blieb – anders als der Rahmen – unbeschädigt. Dass es sich hinter Schutzglas befindet, ließ ein Sprecher der Gruppierung durchblicken, sei ein Faktor gewesen, den man bei der Wahl des Bildes berücksichtigt habe. Und wohl auch die weltweite Bekanntheit des Bildes, dessen Wert Experten mit mehr als 80 Millionen Dollar beziffern.

Es war nicht die erste und wird auch nicht letzte Protestaktion gewesen sein, für die neuerdings Ikonen der Kunstgeschichte herhalten, um – aus der Perspektive des Aktivismus – Bewusstsein für das Problem des Klimawandels zu schaffen. Eine Strategie, die sich vor einigen Monaten in Museen zu verlagern begann: auf eine Bühne, die weit mehr Aufmerksamkeit generiert als Aktivismus im öffentlichen Raum.

Beschädigung nicht das Ziel

Um Zerstörung oder Beschädigung der Kunstwerke ging es in keinem der zuletzt vor allem in Europa dokumentierten Fälle. Im Mai hatte ein als "alte Dame" in einem Rollstuhl getarnter junger Mann Leonardo da Vincis "Mona Lisa" (hinter Panzerglas) im Louvre mit einer Cremetorte beschmiert. Im Juli klebten sich Mitglieder der Gruppe Ultima Generazione in den Uffizien an Sandro Botticellis "Primavera" und im August sodann am Sockel der Laokoon-Skulpturengruppe der Vatikanischen Museen fest.

So global der Kampf um Aufmerksamkeit auch ausgefochten wird, die Proteste richten sich teils auch gezielt an die Regierungen der Länder. In Italien fordert Ultima Generazione neben dem Stopp der Wiedereröffnung alter Kohleminen sowie der Erschließung neuer Gasvorkommen etwa auch Investitionen in Solar- und Windenergie. Just Stop Oil reagierte laut eigenen Angaben jetzt unter anderem auch auf die Untätigkeit der britischen Regierung in Bezug auf "die Krise der Lebenshaltungskosten und die Klimakrise". Demnach sei der Treibstoff für Millionen von hungrigen Familien mittlerweile unerschwinglich: "Sie können es sich nicht einmal leisten, eine Dose Suppe zu erwärmen."

Millionärinnen als Förderer

Was die beiden genannten Gruppierungen abseits der Botschaft eint? Sie werden vom Climate Emergency Fund (CEF) finanziert, der 2019 von drei Millionären in Los Angeles gegründet wurde und seither weltweit "disruptiven Klimaaktivismus" unterstützt. In einer Größenordnung von einer Million Dollar bisher. Allerdings hält sich die Organisation zu den Quellen der eigenen Finanzen bedeckt und agiert damit völlig intransparent, wie Kritiker monieren.

Sosehr die Aktionen in Museen gesellschaftlich auch polarisieren mögen, sie finden auch Unterstützung – zu den namentlich bekannt gewordenen gehören ausgerechnet Nachfahren ehemaliger Magnaten im Ölbusiness: darunter Aileen Getty als CEF-Gründungsmitglied, deren Großvater 1942 Getty Oil gründete, oder auch Nachfahren der Rockefeller-Familien, die für die 2020 initiierte "Equation Campaign" 30 Millionen Dollar springen ließen. Es sei an der Zeit, so deren Argument, den Geist wieder in die Flasche zu stecken. Ob der von amerikanischen Philanthropen subventionierte zivile Widerstand auch nachhaltig Wirkung zeigt? Ersten Studien zufolge sprechen sie vor allem Vertreter des eigenen Lagers an und hätten keine abschreckende Wirkung auf die Allgemeinheit.

Österreichische Museen blieben von vergleichbaren Protesten bislang offiziell verschont. Die Anzahl international bekannter Ikonen ist allerdings auch überschaubar. Albrecht Dürers "Feldhase" zeigt die Albertina aus konservatorischen Gründen nur selten. Gustav Klimts "Der Kuss" wird von Panzerglas beschützt – Schutzglas ist übrigens ein besonders energieintensives Produkt, dessen steigende Nachfrage der Klimabilanz auch nicht guttut. (Olga Kronsteiner, 18.10.2022)