Gedenken am 2. November 2021, ein Jahr nach dem Anschlag.

Foto: EPA/HANS PUNZ

Wien – Am Dienstag, fast zwei Jahre nach dem Wiener Terroranschlag vom 2. November 2020, startete ein großer Prozess rund um Unterstützer des Attentäters. Der junge Mann hatte in der Innenstadt vier Personen getötet und weitere 23 Menschen teilweise schwer verletzt, ehe er von der Polizei erschossen wurde. Angeklagt sind sechs Männer zwischen 22 und 32 Jahren, die dem Attentäter bei Vorbereitungshandlungen geholfen haben sollen. Nach der Auftaktverhandlung am Landesgericht für Strafsachen ging der Schwurprozess am 1. Dezember mit dem nächsten Termin weiter. Am Dienstag wurde zunächst die Anklage vorgetragen, danach folgten die Plädoyers der Verteidiger. Mit den Beschuldigteneinvernahmen wird vermutlich erst beim nächsten Termin begonnen.

"Es geht um die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte", hielt die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer fest, um dann die Namen der vier Getöteten zu erwähnen. "Ich bin davon überzeugt, dass jeder Einzelne von Ihnen weiß, was er am Abend des 2. November 2020 gemacht hat", hatte sich die Anklägerin zu Beginn ihren Ausführungen direkt an die Geschworenen gewandt. Sie räumte ein, sie habe damals selbst "Angst und Panik verspürt".

Bei Verfassungsschützern bekannt

Dem Attentäter und seinen Beitragstätern sei es gerade darauf angekommen: "Ein IS-Mann hat im Namen der IS-Miliz einen Terroranschlag verübt und damit nicht nur die Angehörigen, die Familie und die Freunde der Opfer, sondern uns alle, ganz Österreich ins Herz getroffen." Die sechs Angeklagten sind mit einer Ausnahme den Verfassungsschützern seit vielen Jahren als Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) bekannt. Sie hätten "ursächlich zur Ausführung der Tat beigetragen" und damit "auf den öffentlichen Frieden abgezielt", so die Staatsanwältin.

Die Anklägerin begleitete ihre rund einstündigen Ausführungen mit einer Powerpoint-Präsentation. Auch ein vom Attentäter vor dem Anschlag aufgenommenes Bekennervideo, das einer der Angeklagten weitergeleitet und das dann IS-Medien übernommen hatten, wurde im Verhandlungssaal abgespielt.

Urteile frühestens im Februar 2023

Eine Spezialeinheit der Justizwache hatte fünf Angeklagte pünktlich um 10.00 Uhr in den fast bis auf den letzten Platz gefüllten Großen Schwurgerichtssaal gebracht. Zahlreiche Medienvertreter aus dem In- und Ausland wohnten der Verhandlung bei. Ein weiterer Angeklagter befindet sich auf freiem Fuß.

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19 Verhandlungstage sind insgesamt vorgesehen, mit Urteilen ist frühestens im Februar 2023 zu rechnen. Der Prozess findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Wer der Verhandlung beiwohnen will, muss sich nicht nur beim Eingang ins Gerichtsgebäude, sondern auch vor dem Großen Schwurgerichtssaal einer Ausweis- und Personenkontrolle unterziehen. Im Saal selbst gilt ein absolutes Film- und Fotoverbot, der Zutritt zu den Räumlichkeiten des Großen Schwurgerichtssaals ist mit Kameras nicht möglich. Das gilt auch für die Vorhalle.

Sechs Angeklagte

Konkret werden den sechs Angeklagten die Verbrechen der Beteiligung an terroristischen Straftaten in Verbindung mit Mord, terroristische Vereinigung und kriminelle Organisation vorgeworfen. Der Attentäter soll mit Unterstützung der Angeklagten an Waffen und Munition gelangt sein. Einige sollen den Terroristen auch bei den Vorbereitungshandlungen zum Anschlag unterstützt haben. Die sechs Personen hätten den Terroranschlag vom 2. November 2020 "ermöglicht, erleichtert, abgesichert oder in einer anderen Weise gefördert", heißt es in der Anklageschrift.

Zwei der sechs Personen sitzen bereits seit dem 6. November 2020 in U-Haft, sie wurden kurz nach dem Anschlag verhaftet. Zwei weitere befinden sich seit 21. Dezember 2020 in U-Haft, ein weiterer seit 12. April 2021. Ein Angeklagter befindet sich zu Prozessbeginn auf freiem Fuß.

Ein 32-jähriger Angeklagter soll am 23. Juni 2020 das über einen Mittelsmann besorgte und beim Anschlag verwendete Sturmgewehr der Marke Zastava sowie drei Monate später eine Pistole der Marke Tokarew samt Munition an den Attentäter übergeben haben. Ein weiterer soll den Attentäter bei der Übergabe des Sturmgewehrs begleitet haben.

Zwei Angeklagte sollen einen Tag vor dem Anschlag bei den letzten Vorbereitungshandlungen geholfen haben – insbesondere bei der Aufbereitung und Munitionierung der Tatwaffen sowie bei der Herstellung einer bei dem Anschlag getragenen Sprengstoffgürtelattrappe. Ein Angeklagter reiste mit dem Attentäter in die Slowakei, um Munition zu kaufen.

Kontaktmann verurteilt

Die Verteidiger wiesen die Vorwürfe der Anklagebehörde zurück. "Es ist kein einziger Beweis da. Es sind nur Indizien. Aber die Indizienkette ist nicht schlüssig, sie bröckelt da und da", stellte Rechtsanwalt Manfred Arbacher-Stöger fest, der einen Angeklagten vertritt, der den Attentäter in seinen Terror-Absichten bestärkt und begleitet haben soll, als diesem das bei der Tat verwendete Sturmgewehr übergeben wurde. Sein Mandant habe den Attentäter gekannt ("Sie sind im selben Gebäude aufgewachsen"), es gebe aber keinen Beweis, dass er je in dessen Wohnung war. Er habe Videos bekommen und weiter verbreitet, "mehr" sei aber nicht da.

Dessen ungeachtet sitze sein Mandant inzwischen seit fast zwei Jahren "unschuldig im Gefängnis", monierte Arbacher-Stöger. Dieser sei mit 19 Jahren in U-Haft genommen worden und werde seither im Gefängnis "abgesondert. Nicht einmal seine Mutter darf ihn besuchen".

Vor genau einer Woche wurde in einem weiteren Prozess ein enger Kontaktmann des Attentäters wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation nicht rechtskräftig zu 19 Monaten Haft verurteilt. Da sich der 24-jährige Nordmazedonier zuvor bereits seit knapp zwei Jahren in U-Haft befand, wurde er umgehend auf freien Fuß gesetzt. Er wurde vor Gericht auch als "aufstrebender jihadistischer Prediger" beschrieben. (red, APA, 18.10.2022)