Johann Hagenhofer, ein Historiker, der dort gräbt, wo er steht.

Foto: Helmut Lackinger

Das Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien hat dieser Tage seinen 100. Geburtstag gefeiert. In Österreich ist es das einzige Institut mit dieser Ausrichtung, das an einer geistes- und kulturwissenschaftlichen Fakultät beheimatet ist. Daran mag es liegen, dass hier die Geschichtsschreibung eine ganz spezielle Ausformung erfuhr. Es wird von der Unterseite auf die Historie geschaut. Erzählt wird die erlebte, nicht selten erlittene Geschichte der Menschen. Am vergangenen Donnerstag wurde in der Universitätsbibliothek eine bis Weihnachten laufende Jubiläumsausstellung eröffnet.

Jahrzehntelang wurde das Institut geprägt von Michael Mitterauer. Hier wurde die Oral History gepflegt, die den Studenten die Ohren spitzen will für die Erzählung der Leute. "Dig where you stand", war ein in den 1970ern aufgekommenes Motto, um die Regionen nicht aus den Augen zu verlieren.

Johann Hagenhofer tat das damals schon praktisch. Hagenhofer dissertierte 1966 zur "sozialen Lage der Arbeiter im Wien der Jahrhundertwende". Am Donnerstag sprach er als einziger Alumnus und hob dabei die große Inspirationskraft des im heurigen August verstorbenen Michael Mitterauer hervor.

Regionalgeschichte

Hagenhofer war ein Musterschüler Mitterauers. Kaum zurück in seiner Region – der Südostecke Niederösterreichs – fing er an zu graben. In Hochwolkersdorf richtete er bald den Gedenkraum 1945 ein. Hier trafen Karl Renner und ein Vertreter der österreichischen Widerstandsbewegung O5 auf die Rote Armee.

Hagenhofer unterrichtete an einem Gymnasium in Wiener Neustadt, dessen Direktor er dann auch war. Seit seiner Pensionierung verbindet er beide Lebensinhalte: Er gräbt, wo er steht – und nimmt die Leute mit. Regionalgeschichte interessiert. Zwei von ihm edierte Bände erzählen von der sogenannten Buckligen Welt. Ein weiterer vom einst blühenden jüdischen Leben in dieser niederösterreichisch-steirisch-burgenländischen Ecke. Zuletzt stellte er seine Bücher, darunter seine Autobiografie, in der jüngst renovierten – vollbesetzten – Synagoge im burgenländischen Kobersdorf vor. Das war die Muttergemeinde vieler gläubiger Juden drüben im Österreichischen. (Wolfgang Weisgram, 20.10.2022)