Jeden zweiten Freitag arbeitet niemand in der Produktion.
Foto: Tele Haase

Stille. Kein Summen und Brummen der Maschinen. Betritt man freitags die Produktionshalle der Firma Tele Haase in Wien-Liesing, ist nichts los. Den Raum beherrscht eine lange Maschine, die die gesamte Halle teilt. Rechts und links davon sitzen normalerweise 27 Mitarbeitende. Sie stecken millimetergroße Kunststoff- und Elektroteilchen in Leiterplatten. Sind sie damit fertig, füttern sie die Maschine erneut. Hier werden Automatisierungskomponenten für Industrieelektronik entwickelt, hergestellt, zusammengesteckt, verpackt und verschickt. Es ist das Herzstück der Firma Tele Haase. Hier geht es rund – außer freitags.

Hier werden Kunststoff- und Elektroteilchen in Leiterplatten händisch eingesetzt.
Foto: Tele Haase

Alle zwei Wochen frei

Sandra Weinberger, Mitarbeiterin im Team Planung und Steuerung in der Produktion, stand eines Nachmittags in der Produktionshalle und sagte zu ihrem Kollegen: "Warum streichen wir den Freitag nicht einfach?" Sie organisierten Treffen und Umfragen mit dem Personal. Man einigte sich darauf, jeden zweiten Freitag nicht zu arbeiten. Da Montag bis Donnerstag jeweils eine Stunde mehr geleistet wird, bleiben die Stundenanzahl und das Gehalt gleich. Der freie Tag erspart das Hochfahren der Maschinen, das Heizen der Räumlichkeiten und den Anfahrtsweg der Mitarbeitenden – und somit Energie. Anfang des Jahres mussten sie den Zwei-Wochen-Rhythmus ein paar Mal aussetzen, da viele Aufträge anstanden. "In dieser Zeit haben alle den freien Tag sehr vermisst", berichtet Sandra Weinberger.

Kreise statt hierarchischer Pyramiden

Wie die Vier-Tage-Woche zustande kam, sagt auch etwas über das Unternehmen selbst aus. Normale Mitarbeitende entwickelten diesen Vorschlag und beschlossen ihn. Ohne die Erlaubnis der Führungskräfte? "Ja, denn 2013 schaffte sich die Chefetage selbst ab", sagt Sandra Weinberger stolz. Die Eigentümer der Firma verzichteten auf alle klassischen Führungsaufgaben. Statt linearen Hierarchien wurden sogenannte Verantwortungskreise eingeführt: Produktion, Entwicklung, Organisation, Marketing und Regie. Jeder Bereich wählt alle zwei Jahre eine kreisverantwortliche Person, die an den großen Meetings aller Kreisverantwortlichen teilnimmt und die Anliegen ihres Teams/Kreises vertritt. Diskutiert und beschlossen werden die Neuerungen von den Personen, die davon betroffen sind. Eine einfache Mehrheit reicht für eine Änderung.

Fast alle Angestellten in der Produktion sind Frauen.
Foto: Tele Haase

Neue Arbeitsmodelle schnell umgesetzt

Dauert der Prozess dadurch nicht länger? Marcus Ramsauer, der momentan in der Position Regie sitzt und sich hauptsächlich um die strategische Ausrichtung des Unternehmens kümmert, antwortet: "Die Zeit bleibt ungefähr gleich." Denn die Umsetzung wird genau mit den Personen besprochen, die davon betroffen sind. Man erspart sich die Überzeugungsarbeit. Alle setzen die Neuerungen schneller und freudiger um." Von der Idee bis zur Umsetzung der Vier-Tage-Woche in der Produktion dauerte es nur wenige Wochen. "So läuft das bei uns meistens. Haben wir eine Idee, setzten wir sie schnell um", erzählt Gabrijela Ponier des Marketing-Teams. Nach einer Testphase evaluieren und adaptieren sie die Prozesse dann erneut.

Nachteile flacher Hierarchien

Was traumhaft klingt, ist harte Arbeit und bedarf einer gehörigen Portion Verhandlungsgeschick, Kritikfähigkeit und Selbstreflexion. "Mit Anliegen durchzukommen ist manchmal ein harter Kampf", meint Sandra Weinberger. Zum Beispiel müssen sich Techniker mit Personalverantwortlichen absprechen und die jeweiligen Sichtweisen genauso ernst nehmen. "Klar wünschen wir uns alle, auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren. Aber in der Realität ist das sehr schwer", meint Michaela Pichler-Lele. Auch waren nicht alle von der neuen Organisationsstruktur begeistert. Als die Umstellung 2013 begann, kündigten einige Mitarbeitenden. Ihnen lag die übliche Arbeitsweise mehr. "Als Firma sollte man darauf vorbereitet sein, eventuell nicht alle Mitarbeitenden für einen solchen Prozess begeistern zu können", erzählt Marcus Ramsauer.

Die Mitarbeitenden sind sehr zufrieden mit der 4-Tage-Woche.
Foto: Tele Haase

Nie wieder anders arbeiten

Es gibt aber auch andere. Sandra Weinberger schätzt die neue Selbstverantwortlichkeit sehr: "Seitdem wir die neuen Verantwortungsbereiche haben, macht mir die Arbeit mehr Spaß. Ich kann mich viel mehr mit der Firma identifizieren." Auch Michaela Pichler-Lele, die für die Personalverwaltung zuständig ist, möchte nicht mehr anders arbeiten: "Die Zusammenhänge und den Sinn der eigenen Tätigkeit zu verstehen macht die Arbeit viel interessanter." Die Erfahrungen der Mitarbeitenden in der Produktion mit der Vier-Tage-Woche, sprechen sich herum und werden diskutiert. Bisher kamen aber noch keine Anfragen von anderen Teams, auch nur vier Tage zu arbeiten. Gabrijela Ponier fügt hinzu: "Aber ich kann mir gut vorstellen, dass das noch kommt." (Natascha Ickert, 22.10.2022)