Jugohütte am Spittelberg: Was irgendwann als Kussmaul begann, heißt bei Max Stiegl nun Stanko + Tito.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Stanko und Tito: Auf dem Balkan seien das "so ziemlich die häufigsten Namen für Esel überhaupt", sagt Max Stiegl. Der vieldekorierte Multigastronom sollte es wissen, er stammt schließlich aus Piran. War zwar die längste Zeit venezianisch, ist aber eindeutig exjugoslawisch. Die Namensgeber für sein neues Lokal, eine Jugohütte der dezidiert zugänglichen Art, gibt es auch ganz in echt. Auf Brač in Dalmatien leben Stanko und Tito als schwules Pärchen im Lemon Garden, einem Boutiquehotel von Stiegls Geschäftspartnerin Helena Ramsbacher.

Fragwürdige Witze und Fragen nach "Tito vom Grill" werden am Spittelberg also nicht so gern gehört. Nachvollziehbar sind sie, schließlich hat Stiegl sich im Gut Purbach einen Namen als Ausnahmegastronom gemacht, der mitunter auch Fleisch von Tieren auf die Karte setzt, die nicht bloß wahrhaftig, sondern auch in der kollektiven Wahrnehmung ein Gesicht hatten.

Günstig, zentral und zusammengewürfelt

Das hier ist aber ein ganz anderes Lokal als jene, die man bisher von Stiegl kennt – explizit günstig, mitten in der Stadt, und, nach mehrfachen Neustarts wechselnder Betreiber, auch vom Interieur her ein bissl zufällig zusammengewürfelt. Der einst von Nobelarchitekten durchdesignte Ort präsentiert sich heute als ebenso sympathischer wie chaotischer Stilmix – ein bisserl wie eine Küchenlade, in der sich mit der Zeit allerhand Zeugs ansammelt und eh alles passt. Solange sie noch irgendwie zugeht.

Als Sinnbild für den Balkan würde man so einen Vergleich natürlich nie heranziehen, dennoch passt die Hollodaro-Anmutung mit Pirouetten drehenden Spanferkeln auf der französischen Edel-Rotisserie, schwarz verfliester Schauküche, japanischem Designergestühl, allerlei Einmachglasln mit Sauergemüse und Kellnern in weit aufgeknöpften, schwarzen Slim-Fit-Hemden ziemlich ideal zum Essen und zur Stimmung, die hier transportiert wird.

Da will man auf jeden Fall die doppelte Portion!
Foto: Gerhard Wasserbauer

Alles auf den Tisch, dann passt’s

Aus dem Fass fließt Karlovačko, aus den Flaschen vorzugsweise Naturwein vom Balkan, ein Lieferant für Radenska (mmmh!) in der Glasflasche wird noch gesucht. Es muss sich aber kein Grenzlanddeutscher fürchten: Vöslauer gibt’s ebenso wie burgenländische und andere Traditionswinzer, mit Bevog wurde auch eine herausragende, nur marginal balkanesische Craft-Brauerei gelistet.

Beim Essen macht man es am besten wie bei jedem besseren Balkanfestl: alles auf den Tisch, dann passt’s. Die Speisen sind explizit zum Teilen gedacht, wer vorher zu zaghaft ist (wofür es angesichts der zivilen Preisgestaltung kaum einen Grund gibt), wartet hinterher mitunter lange auf Nachbestelltes. Die Küche und der Service sind noch ein bisserl am Eingrooven.

Edler Hirte

Die Qualität passt aber, Neo-Jugoslawisches wie der mit cremigem Schafskäse unterlegte Šopska-Salat mit akkurat in Brunoise geschnipselter Paprika, Gurke, Zwiebel und Petersilie und einer seidig reifen Scheibe von der Fleischtomate gelingt ganz ausgezeichnet. Küchenchef Tomaž Fink ist aus Slowenien und kochte schon unter Ana Roš, dementsprechend hochklassig gelingt etwa Sataraš, das hier keineswegs als eine Art Letscho interpretiert wird, sondern als kunstvoll gelegte Terrine aus Melanzani, gegrillter Paprika und anderem hochreifem Gemüse.

Djuveč, den cremigen Gemüsereis, gibt es als Fülle großartig gegrillter, herrlich fleischiger Calamari, auch Spitzkraut wird unter dem Grill unwiderstehlich süß, rauchig und knackig. Sarma sind überhaupt ein Ereignis, mit herrlich bissiger Säure und feiner Knackigkeit, die ideal mit der schweinisch-rauchigen Fülle kontrastiert. Tipp: Da will man auf jeden Fall die doppelte Portion! Hinterher gibt’s Gibanica, das zu Recht mythische Kuchenmonument aus Mohn und Walnüssen, Apfel und Kajmak. Sliwo soll dem Vernehmen nach vorrätig sein.
(Severin Corti, 21.10.2022)

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