Was ist einfach, und was ist schwierig? Die Beantwortung dieser Frage gehört selbst zu den schwierigen Fragen. (Was wiederum die Frage aufwirft, ob sich Letzteres so einfach sagen lässt.) Darum geht es auch in der Mathematik, auf dem Gebiet der "Berechenbarkeit". Hier wird den technischsten und abstraktesten Fragestellungen nachgegangen, die zugleich von hoher praktischer Relevanz sind. Moderne Verschlüsselungsverfahren sind auf der Idee aufgebaut, dass sie "schwierig" zu knacken sind, dass also eine geringfügige Erhöhung des Aufwands aufseiten der Verschlüsselnden einen enormen Zuwachs an Aufwand für das Knacken des Codes bedeutet.

Die beiden Studienautoren bei der Arbeit.
Foto: JKU

In anderen Fällen ist hoher Aufwand aber ein ärgerliches Hindernis. Forschenden der Johannes-Kepler-Universität Linz gelang nun ein Schritt in Richtung der Vereinfachung eines mathematischen Problems von großer praktischer Bedeutung.

Konkret geht es um das Multiplizieren von Matrizen. Dabei handelt es sich um rechteckige Felder mit Zahlen, die nach ganz bestimmten Regeln miteinander kombiniert werden, um eine neue Matrix zu bilden. Warum bei dem Prozess von einer "Multiplikation" die Rede ist, mag für Menschen ohne starken Bezug zur Mathematik nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein. Die Analogien zur bekannten Multiplikation von Zahlen zeigen sich erst auf einer etwas höheren Ebene.

Wer von alldem noch nie gehört hat, befindet sich übrigens in guter Gesellschaft: Als der große Physiker Werner Heisenberg seine erste Formulierung der Quantenmechanik niederschrieb, die sich als wissenschaftlicher Volltreffer erweisen sollte und ihm den Nobelpreis einbrachte, nutzte er dafür das Konzept der Matrizenmultiplikation, ohne es zu kennen, was anfänglich für Verwirrung in der Kollegenschaft sorgte. Heute ist die Multiplikation von Matrizen überall in der Physik verbreitet.

125 Rechenschritte, doch es geht noch besser

Gerechnet wird heute nur in den seltensten Fällen von Hand. Matrizenmultiplikation lässt sich hervorragend automatisieren und auf Computer auslagern. Spannend ist dabei, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, das Problem zu lösen. Die Standardvariante besteht grob gesagt darin, die Elemente der Zeilen der ersten Matrix mit den Elementen der Spalten der zweiten Matrix zu multiplizieren und dann zu addieren. Das muss für jedes Element der neuen Matrix geschehen. Für Matrizen mit fünf mal fünf Elementen sind das 125 einzelne Multiplikationen (das nachzuprüfen ist eine nette Übung – wer möchte, kann natürlich dem Autor vertrauen).

Seit 50 Jahren gibt es allerdings Versuche, das Verfahren zu verbessern, und tatsächlich: In den 80er-Jahren gelang es, die Zahl der Schritte auf 100 zu reduzieren. Erst 2020 fand ein Forscher in Frankreich eine Lösung, die nur 98 Rechenschritte benötigt. Nun verkündete eine Forschungsgruppe im Fachjournal "Nature" Anfang Oktober einen weiteren Durchbruch. Mithilfe von künstlicher Intelligenz und Deep Learning konnten zwei weitere Rechenschritte eingespart werden.

Die Frage nach der besten Lösung schien also ins Gebiet der Maschinen ausgelagert worden zu sein, von deren Seite in letzter Zeit immer wieder Durchbrüche gemeldet wurden – sei es bei Spielen wie Schach oder Go oder auch beim Falten von Proteinen. In all diesen Bereichen scheint der Mensch keine Chance mehr zu haben, mit Maschinenintelligenz mitzuhalten.

Dieser Demonstrant mag keine Matrizen. Dabei handelt es sich um faszinierende mathematische Objekte.
Foto: imago images/Matthias Koch

Mit Glück zur besseren Lösung

Manuel Kauers und sein Doktorand Jakob Moosbauer ließen sich nicht einschüchtern und sahen sich den neuen Algorithmus genauer an. Sie verfügen nämlich über eine selbstentwickelte Technik, die in der Lage ist, bestehende Algorithmen zu adaptieren.

"Wir nehmen einen bestehenden Algorithmus und verändern ihn immer wieder, bis unser Vorgehen irgendwann zu einer Verbesserung führt. Unsere Technik funktioniert bei jedem bekannten Algorithmus, und wenn wir Glück haben, braucht man am Ende weniger Rechenoperationen, um zu einer Lösung zu kommen", erklärt Moosbauer.

Genau diese Übung gelang. Der neue Algorithmus braucht noch einen Schritt weniger als jener der gerade erst veröffentlichten Arbeit, also lediglich 95 Schritte. All dies sei durch einen von Menschen und nicht von künstlicher Intelligenz entwickelten Algorithmus möglich gewesen, wie die beiden Forscher genüsslich anmerken.

Sondergebiet Mathematik

Bisher wurde die Arbeit noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht, sondern nur als "Preprint". Sie wartet auf ihre Begutachtung und die finale Veröffentlichung in einer Zeitschrift. Glücklicherweise ist Mathematik ein Gebiet mit einem Höchstmaß an Klarheit, sodass der Gang an die Öffentlichkeit trotzdem unbedenklich ist.

In der Mathematik gelten in dieser Hinsicht also etwas andere Gesetze. Der russische Mathematiker Grigori Perelman ging sogar so weit, seine wichtigste Arbeit überhaupt nicht in einem Fachjournal zu publizieren. Er ließ sich damit eine Million Dollar an Preisgeld entgehen, denn diese Summe war auf den Beweis der Poincaré-Vermutung ausgesetzt – jedoch nur, sofern die Arbeit in einem Fachjournal publiziert wurde.

So weit gehen die beiden Mathematiker aus Linz nicht, die offizielle Publikation wird natürlich vorbereitet. Ihre Arbeit halten sie jedenfalls noch nicht für abgeschlossen: "Wir suchen weiter nach einer noch besseren Lösung", heißt es vonseiten des Teams. (Reinhard Kleindl, 19.10.2022)