Eine Gartenwohnung in Wien-Favoriten, ein Mann Mitte 30 öffnet die Kindersicherung des Gartentors uns sagt: "Kommen Sie herein!" Ferenc Koszorus, dunkle Haare, Brille, graue Jogginghosen, ist Tagesvater. Sein Zuhause ist zugleich sein Arbeitsort: Um den Küchentisch herum stehen vier Tripp-Trapp-Stühle aus Birke, das helle Wohnzimmer ist leergeräumt – bis auf eine Couch und ein Regal. Darin stehen Kinderbücher und Kisten, deren Inhalt handschriftlich vermerkt ist: "Windeln", "Feuchttücher", "Lego". Ein Mädchen baut gerade aus Duplo-Steinen einen Turm, ein blonder Bub fährt mit einem Spielzeugtraktor eine fiktive Straße entlang.

Wir setzen uns für das Interview auf den Parkettboden, und Koszorus erzählt:

"Ich bin mittlerweile seit vier Jahren Tagesvater und mag es sehr. Manche fragen mich, ob das ein stressiger Job ist – ich finde nicht. Natürlich gibt es Tage, wie die Freitage, wo die Woche bald zu Ende ist und alle ein bisschen müde sind. Aber ich habe gelernt, dass Kinder, wenn man ihnen mit aller Ruhe und Geduld begegnet, auch ruhig sind. Sie spiegeln einen. Wenn man selber gestresst ist, dann reagieren sie auch so.

Eigentlich bin ich gelernter Koch und aus Ungarn. Vor 13 Jahren bin ich nach Österreich gekommen, um über den Sommer hier zu arbeiten, ein bisschen Geld zu verdienen, um mir ein Auto kaufen zu können. Hier habe ich meine Frau getroffen. Sie ist gebürtige Japanerin, wir haben im selben Lokal gearbeitet. Nach zwei Wochen waren wir zusammen Kaffee trinken, nach drei Monaten sind wir zusammengezogen. Als Koch habe ich vor allem in der gehobenen Gastronomie in der Innenstadt gearbeitet, später war ich fliegender Koch bei Austrian Airlines.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ferenc Koszorus (37) ist als Tagesvater beim Wiener Hilfswerk angestellt. Er betreut in seiner Wohnung in Wien fünf Kinder im Alter zwischen acht Monaten und vier Jahren. Koszorus hat selbst drei Kinder.
Foto: Heribert Corn

Eigene Familie

Dann wurde meine Frau schwanger, und als unser Kind da war, wurde mir gleich klar: Mein Job passt überhaupt nicht mit dem Familienleben zusammen. Ich hatte unregelmäßige Arbeitszeiten und war sehr selten zu Hause. Auch in die Gastronomie wollte ich nicht zurück, weil dort sehr viel Stress und Druck herrscht.

Als dann unser zweites Kind kam, bin ich in Karenz gegangen, und meine Frau ging weiter arbeiten. Sie verdiente auch mehr als ich, also war das nur die logische Entscheidung. Aber während meiner Karenz habe ich dann gesehen, wie viel es mir gibt, den ganzen Tag mit meinem Kind zusammen zu sein, wie schön das ist. So wurde mir bewusst: Ich will mit Kindern arbeiten. Schon als Jugendlicher habe ich oft auf meine kleineren Cousins und Cousinen aufgepasst. Ich war der Älteste, und daher wurde ich oft darum gebeten. Daher kommt wohl auch mein Selbstverständnis im Umgang mit Kindern.

Ich habe also die Ausbildung zum Kindergartenassistenten gemacht, die etwa ein halbes Jahr gedauert hat. Danach habe ich in einem Kindergarten angefangen. Es war, wie soll ich sagen, nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt habe. Im Kindergarten sind 21 Kinder und zwei Betreuerinnen und Betreuer, was oft zu wenig ist, um jedem Einzelnen Aufmerksamkeit zu schenken. Außerdem gibt es ein klares Programm, einen klaren Ablauf. Egal ob es jetzt passt oder nicht, so wird es gemacht. Mir war klar: Ich möchte Pädagoge sein, aber ich möchte anders arbeiten. So bin ich auf den Job als Tagesvater gekommen. Nach einem Praktikum war ich mir noch sicherer. Ich war komplett begeistert von dem Beruf.

Eltern, die ihre Kinder zu Koszorus geben, würden sich bewusst für einen Tagesvater entscheiden, sagt er.
Foto: Heribert Corn

Geregelter Tagesablauf

Als Tagesvater betreue ich fünf Kinder, die acht Monate bis vier Jahre alt sind. Ab vier Jahren ist es wichtig, dass sie in den Kindergarten wechseln und größere Gruppen kennenlernen, damit sie auf die Schule vorbereitet sind. Zu sehen, wie sich die größeren Kinder der kleinen annehmen, ist eine der schönen Seiten meines Berufs. Die Kinder sind sehr sorgsam, spielen mit dem Baby oder fragen, ob es nicht Hunger hat.

Die Kinder kommen zwischen acht und neun Uhr zu mir, dann frühstücken wir. Anschließend machen wir einen Morgenkreis. Da besprechen wir, was wir machen werden. Wir reden auch darüber, wie es uns geht, üben Zahlen oder ich lese ihnen etwas vor. Fixe Routinen wie im Kindergarten haben wir aber nicht. Jeder Tag ist anders. Manchmal spielen wir den ganzen Tag Duplo oder ich lese den ganzen Tag vor. Ich richte mich sehr nach den Kindern und was sie gerade brauchen. Zwischen elf und zwölf können die Kinder frei spielen. Manchmal basteln wir aber auch etwas oder gehen auf einen Spielplatz. Um zwölf sind wir jedenfalls zurück, und dann gibt es Mittagessen. Das Essen koche ich schon am Vortrag vor, damit ich dann nicht zu lange am Herd stehen muss. Dann ist Mittagsschlaf angesagt. Wenn die Kinder wieder wach sind, gibt es eine Jause: Aufgeschnittene Früchte, ein bisschen Butterbrot, dann kommen die Eltern zum Abholen.

Männliche Bezugsperson

Eltern, die ihre Kinder zu mir geben, entscheiden sich bewusst für einen Tagesvater. Es sind oft Alleinerzieherinnen, die sich wünschen, dass ihr Kind auch eine männliche Bezugsperson hat. Wer Angst hat, dass ein Mann auf ihre Kinder aufpasst, kommt nicht. Viele der Eltern erfahren durch Mundpropaganda von mir oder sehen mich in der Nachbarschaft mit den Kindern im Bollerwagen spazieren gehen.

Manchmal sagen Leute zu mir: Hey, so schön, du bist zu Hause mit den Kindern, wie ein Babysitter! Aber so ist das nicht. Wir Tagesväter und Tagesmütter sind mehr als Babysitter. Wir brauchen ein gutes Konzept, müssen darlegen, was wir mit den Kindern machen, was wir ihnen beibringen wollen. Mein Fokus liegt beispielsweise auf Grobmotorik und Feinmotorik, weil ich sehe, dass darin viele Kinder Defizite haben. Gerade in der Stadt ist oft nicht der Platz und die Zeit, Motorik zu trainieren. Bei mir gibt es deshalb ein Zimmer mit kleinteiligem Spielzeug, Puzzles, Lego, und eines, in dem kaum Möbel sind und in dem sich die Kinder richtig austoben können. Wir gehen auch viel auf den Spielplatz. Dass Kinder auch einmal hinfallen dürfen, ist mir wichtig. Ein Kind muss lernen zu stürzen und dass die Hände dabei immer vorne sind. Sonst verlernen sie einzuschätzen, welche Situation wirklich gefährlich ist.

Ein großes Anliegen ist mir auch, die Kinder nicht miteinander zu vergleichen. Wenn man sie vergleicht, ist das ganz schlecht für sie. Ich sage immer, das ist wie bei Kakteen: Es gibt solche, die weniger Wasser brauchen, und andere, die mehr brauchen. So merke ich auch, dass jedes Kind in etwas anderem gut ist. Der eine kann vielleicht gut Puzzles spielen, der andere kennt schon mehr Wörter. Aber diese Unterschiedlichkeit ist doch auch gut! Wäre es nicht ganz schön langweilig, wenn wir alle gleich wären?" (Aufzeichnung: Lisa Breit, 13.11.2022)