Foto: Christian Fischer / Grafik: DER STANDARD

Die österreichischen Universitäten laborieren aktuell nicht nur an einem akuten Budgetproblem, sie schlagen sich seit langem auch mit einem (finanzierungsrelevanten) Phänomen herum, das ein Forschungsteam des Instituts für Höhere Studien (IHS) nun in einer neuen Studie als "österreichspezifisches Konzept" beschreibt: Es geht um die "Prüfungsinaktivität" von Studierenden.

Im Auftrag von Wissenschaftsministerium, Universitätenkonferenz (Uniko) und Uni Graz wurden Gründe und Faktoren für eine geringe Studienaktivität bzw. Prüfungsinaktivität untersucht. Als inaktiv gilt, wer weniger als 16 ECTS-Punkte pro Studienjahr erwirbt. Zum Vergleich: Als Regelstudiendauer sind 60 ECTS pro Jahr festgelegt.

Aktivierbar oder nicht?

Was zeigt die IHS-Analyse? Der Großteil der sogenannten prüfungsinaktiven Bachelor- und Diplomstudierenden hat keine einzige Prüfung absolviert und gilt auch nur sehr eingeschränkt für "aktivierbar".

Insgesamt wurden 2019/20 über alle Unis und Studien gerechnet 62 Prozent aller Studien prüfungsaktiv betrieben. Für die IHS-Studie wurden jedoch nur alle Bachelor- und Diplomstudien (also Erstabschlüsse) an 13 Unis (exklusive fünf Kunstunis, zwei Med-Unis, Montanuni) betrachtet, zudem wurden Lehramtsstudien und Studierende in Mobilitätsprogrammen exkludiert.

Von diesen Studien wurden 52 Prozent prüfungsaktiv betrieben, von den restlichen 48 Prozent inskribierter Studien wurde in 33 Prozent davon keine einzige Prüfung absolviert, beim Rest lag die Prüfungsquote zwischen einem und 15 ECTS-Punkten im Analysejahr.

Zugangsbeschränkt erfolgreich

Die Studien mit der höchsten Prüfungsaktivität waren die jeweils mit Zugangsbeschränkungen belegten Fächer Human- und Tiermedizin (fast 100 Prozent), gefolgt von Zahnmedizin und Psychologie (90 Prozent). Aktivitätsquoten unter 40 Prozent wiesen demgegenüber Philosophie, Kunstgeschichte, Statistik, Theologie und Wirtschaftsrecht auf, zum Teil typische Zweitstudien.

Was kennzeichnet prüfungsaktive Studierende? Wie zu erwarten, brechen diese eher ab. Ein höheres Einstiegsalter und eine über der Geringfügigkeit liegende Erwerbstätigkeit verringert die Prüfungsaktivität, Gleiches gilt für Personen, die mehrere Studien inskribiert haben. In Studien mit Aufnahmeverfahren ist die Prüfungsaktivität höher.

Insgesamt unterscheiden die Studienautorinnen vier Formen der Prüfungsinaktivität – wovon die erste eigentlich gar keine ist.

  • Formal prüfungsinaktiv ist, wer im letzten Studienjahr nur noch zehn ECTS-Punkte zu absolvieren hat und diese auch schafft. Diese Person hat zwar ihr Studium erfolgreich abgeschlossen, konnte aber schon rein technisch die 16 ECTS nicht erbringen. Gleiches gilt für jene, die sich anderweitig erbrachte Studienleistungen (etwa bei Auslandsaufenthalt) anrechnen lassen.
  • "No Show", und dann weg Am problematischsten werden jene eingeschätzt, die schon im ersten Studienjahr nicht prüfungsaktiv sind und danach gleich wieder abbrechen. Häufig sind das die sogenannten No Shows, jene, die null ECTS-Punkte erwerben. Diese Gruppe hatte teilweise Schwierigkeiten beim Studieneinstieg, oder sie hat ohnehin nie ernsthaft ein Studium geplant. Ihr "Aktivierungspotenzial" wird als gering eingeschätzt.
  • Meist gering aktiv Viel mehr Unterstützungsmöglichkeiten werden bei jenen gesehen, die mit meist geringer Aktivität lange studieren und zwischendurch immer wieder auch inaktiv sind. Diese heterogene Gruppe besteht aus Berufstätigen, Personen mit Kindern oder gesundheitlichen Problemen, aber auch aus Menschen, die bewusst langsam studieren, ein Zweitstudium betreiben oder mit den Leistungsanforderungen, ihrem eigenen Lernverhalten sowie den Studienbedingungen, zumal in der Pandemie, nicht gut zurechtkommen.
  • "Plötzlich" inaktiv Die letzte Gruppe sind grundsätzlich aktive Studierende, die aber "plötzlich" inaktiv werden – etwa weil sie bei der Abschlussarbeit oder den letzten Prüfungen hängen oder einen Schicksalsschlag erleiden. Sie können relativ leicht wieder aktiviert werden bzw. brauchen gar keine Hilfe dazu.

Wie also sollen Politik und Gesellschaft mit dem Thema der Prüfungsinaktivität an Unis umgehen? Das IHS-Studienteam sieht darin – so wie bei der Bewertung von Aufnahmeverfahren – "auch eine politische Frage der Ziel- und Prioritätensetzung: Stehen hohe Studienabschlussquoten, kurze Studiendauern und ein hoher Anteil (sehr) aktiver Studierender oder eine breitere Teilhabe (auch im Sinne der sozialen Dimension) an oberster Stelle?"

Zweifelhafte Zutrittskarte Matura

Die Unis würden es jedenfalls bevorzugen, wenn bei der Aufnahme "die Studierfähigkeit in den Vordergrund gerückt würde, statt die Matura als unbedingte Zutrittskarte zu nehmen", sagte Uniko-Vizepräsident und Rektor der Uni Klagenfurt, Oliver Vitouch. Die Hochschulen sollten als aufnehmende Institutionen ihre eigenen Aufnahmeverfahren machen dürfen. (nim, APA, 18.10.2022)