Im Fernsehkrimi "Lost in Fuseta" (ausgestrahlt im vergangenen September auf ARD) spielt Schauspieler Jan Krauter den Kommissar Leander Lost. Seine Kollegen bemerken, dass er Schwierigkeiten hat, Ironie und soziale Kontakte zu verstehen. Was sie nicht wissen: Lost ist Autist.

Foto: ARD Degeto/Thierry Bertini

Ich bin Unternehmerin und führe ein hochprofessionelles Team. Ich war 14 Jahre verheiratet, bin Mutter eines erwachsenen Sohnes und lebe seit 15 Jahren in einer Lebensgemeinschaft.

Bei jedem anderen Menschen würde diese Art der Vorstellung ausreichen. Aber nicht, wenn man nebenbei auch noch Asperger-Autistin ist. Dann verlangt die Welt volle Transparenz. Ich möchte Ihnen heute, in der Sicherheit der Anonymität, diesen Gefallen tun.

Hallo! Ich bin Asperger Autistin. Ich besitze ein Auto, wohne im Eigentum, das ich mir selbst erarbeitet habe, und bin mehr oder weniger glückliche Besitzerin von vier Bankkonten, drei davon sind Geschäftskonten. Zusätzlich habe ich noch eine Visa-Karte – ja, ich bin tatsächlich kreditwürdig. Ich habe ein Sozialleben und Freunde. In den nächsten Tagen fliege ich mit Freundinnen in den Urlaub. Ich besitze bewusst keinen Behindertenausweis. Der würde mir weniger Hilfestellung bieten, sondern mich vielmehr beschränken.

Die Sache mit der Transparenz

Mit der Transparenz ist es so eine Sache. Grundsätzlich bin ich ein sehr ehrlich veranlagter Mensch, der offene Kommunikation lebt und Lügen oder Heimlichtuerei ablehnt. Dennoch habe ich mich entschieden, diesen Punkt in meiner Vita nicht öffentlich zu machen. Der Grund dafür ist einfach: Wer Ehrlichkeit verlangt, sollte mit der Wahrheit auch umgehen können.

Das ist in unserer Gesellschaft jedoch aktuell nicht der Fall. Daher arbeite ich lieber unentdeckt, quasi "in verdeckter Mission" mit und unter Ihnen. Ich könnte die nette Telefonistin an Ihrem Ohr sein, die fleißige Büroangestellte in Ihrer Abteilung, die taffe Journalistin in Ihrem Verlagshaus, die hilfreiche IT-Spezialistin in Ihrem Bekanntenkreis oder die Wissenschafterin auf Youtube, die TED-Talks hält. Sie würden nicht bemerken, dass ich ein Problem habe. – Nein, glauben Sie mir. Würden Sie nicht.

Viel eher würden Sie mich als exzentrisch bezeichnen, vielleicht als arrogant, als oberlehrerhaft oder als besserwisserisch. Vielleicht würden Sie sagen, dass Sie keinen Draht zu mir finden oder dass Sie mich nicht leiden können. Dass Sie jedoch gerade mit einer Autistin gesprochen haben – das würden Sie niemals auch nur vermuten.

Das ist die bessere Wahl für mich. Damit komme ich zurecht. Die Alternative? Die wäre ziemlich unattraktiv. Ich könnte ehrlich sein und der Welt offen mitteilen, dass ich auf dem autistischen Spektrum bin. Zwar ganz am unteren Rand, heute nennt man das in der Fachwelt nicht mehr Asperger, sondern Level 1 – mit keinem bis wenig Hilfsbedarf –, aber das wäre nach dem Aussprechen des Wortes "Autist" nicht mehr relevant.

Sie, liebe Leserin und lieber Leser aus dem streng umrissenen normativen Spektrum, würden entweder plötzlich anfangen, mit mir in Kindersprache zu sprechen, würden mir als "Mensch mit Behinderung" nichts mehr zutrauen, damit beginnen, mich zu belehren oder mich auszuschließen, weil Sie sich in meiner Gegenwart nicht wohlfühlen. Das ist der Grund, warum ich mich ganz bewusst dafür entschieden habe, lieber die Exzentrische, die Schräge oder auch die Oberlehrerin zu sein. Unsympathisch, nicht wahr? Aber besser als nix.

Ein anderer Blick auf die Welt

Auch hier schreibe ich bewusst nicht unter richtigem Namen. Ich will weder Kunden verlieren noch habe ich Lust auf Anfeindungen, die einzig und allein auf dem falschen Mindset der vermeintlich Normalen beruht. Wenn Sie dennoch dranbleiben und weiterlesen, mache ich Ihnen ein einmaliges Angebot. Ich biete Ihnen an, einen anderen Blick auf diese Welt zu erhalten und Informationen, die Sie so schnell nirgendwo sonst finden werden.

Unsere Gesellschaft neigt heutzutage dazu, alles zu pathologisieren. Vor 20 Jahren bin ich noch ohne weiteres als "die Exzentrische" durchgegangen. "Die ist halt schräg! Aber auch sehr intelligent und eigentlich auch ganz nett, wenn man mit ihr allein ist. Sie ist halt kein Partymensch. Muss man ja auch nicht sein."

Autismus wird in Serien und Filmen immer wieder thematisiert. Die südkoreanische Serie "Extraordinary Attorney Woo" (zu streamen auf Netflix) dreht sich um eine Anwältin mit Autismus-Spektrum-Störung.
Foto: APA/AFP/Netflix/HANDOUT

In der heutigen Gesellschaft ist es jedoch zur Mode geworden, als Laie das Verhalten eines Menschen mit den Augen eines Mediziners zu sehen. Seitdem leben wir in einer Welt voller Narzissten, Borderliner und anders Persönlichkeitsgestörten. Wir überschütten Menschen mit zahlreichen Vorurteilen und verbreiten, ähnlich einem fahrenden Märchenerzähler, unser Halbwissen unter den Menschen. Wir schreiben schlechte Bücher darüber und machen Coachingprogramme daraus. Nicht nur, dass uns das nun alle irgendwie auf irgendeine Weise pathologisch macht – es trennt Menschen auch mehr, als es sie zusammenbringt.

Sehen wir uns einmal an, was die Gesellschaft mit dem Begriff Autismus assoziiert:

  • hat keine Gefühle
  • hat sich nicht im Griff, schreit, brüllt, wirft sich zu Boden
  • bewegt sich unkontrolliert, repetitiv
  • kann sich nicht adäquat ausdrücken
  • hat eine Inselbegabung, meist mathematischer Natur (schnell zählen oder so ein Quatsch)

Und als wären diese Informationen nicht schon fehlerhaft genug, bestätigen Forscher und Psychologen die Welt auch noch in diesem fehlerhaften Bild – indem sie Autistinnen und Autisten alle individuellen Persönlichkeitsmerkmale, alle sozialen Fähigkeiten und jegliche soziale Intelligenz absprechen und sie zu einem fehlerhaften Menschen voller Defizite degradieren.

Zum medizinischen Modell degradiert

Menschen zu medizinischen Modellen zu degradieren ist für Level-1-Autisten nicht gut und richtig – auch wenn Forscher, Medizinerinnen und Psychologen vielleicht tatsächlich davon überzeugt sind, jemandem sei mit der Auflistung von Defiziten und Symptomen geholfen. Man muss Verständnis für sie haben. Schließlich sind sie in den meisten Fällen nichts anderes als Durchschnitt. Neurotypen eben. Dennoch schaden ihre Fehlschlüsse.

Medizinische Modelle schaden insofern, dass sich Menschen noch mehr von Menschen entfernen, weil sie da mal gelesen haben, Autisten hätten keine Gefühle, sprächen wie Roboter oder würden jederzeit ohne Anlass, Rainman sei Dank, zu schreien beginnen. Das ist aber bei weitem nicht alles, womit sich Autisten herumschlagen müssen. Medizinische Modelle richten noch weiteren Schaden an.

Etwa dort, wo Mediziner Autisten keinen Glauben schenken, ganz gleich, für welchen Weg sich der autistische Mensch auch entscheidet: Wenn er sich entschließt, damit offen umzugehen, nimmt der Arzt ihn nicht ernst, da er sich doch ganz normal ausdrücken und ihm in die Augen sehen könne. "Ist kein Autist. Bildet sich das nur ein."

Entschließt sich der Mensch dazu, diesen Umstand zu verheimlichen und erzählt dem Mediziner lediglich, dass er eine Woche lang Schluckbeschwerden oder Gleichgewichtsstörungen gehabt hätte, die dann aber wieder verschwunden seien, glaubt er ihm erst recht nicht. "Hypochonder oder einfach nicht ganz dicht." Dass viele Autisten durch den Umstand, nicht die Hilfe zu bekommen, die sie brauchen, traumatisiert werden – egal. Mit der Zeit wird man als Mensch am Spektrum zu jemandem, der Mediziner – sagen wir – "nicht besonders schätzt", und daher eher meidet.

Was die Gesellschaft besser machen kann

Was kann diese Gesellschaft besser machen? Da gäbe es so einiges. Zunächst müssen wir schnellstmöglich damit aufhören, Menschen als eine Liste von Defiziten zu betrachten, und den Mut haben, uns auf ihre Individualität einzulassen. Das ist zwar anstrengend, aber der einzig richtige Weg in einer Gesellschaft, die sich stolz das Adjektiv "sozial" auf die Fahnen heftet.

Mediziner müssen Autisten auch dann ernst nehmen, wenn diese von einem körperlichen Leiden erzählen, das sie im Studium nicht kennengelernt haben. Autisten sehen nicht aus wie Autisten und sind auch in vielen Fällen sehr unauffällig, leiden aber oft an zahlreichen Komorbiditäten. Als Arzt zu sagen "Ich weiß nicht weiter, versuche aber dennoch mein Bestes, um zu helfen", erfordert Selbstsicherheit – und vielleicht sogar etwas Demut. Aber in Wahrheit wäre das die Art von Größe, die man sich von einem Mediziner wünschen würde.

Wir müssen aufhören, Verhalten therapieren zu wollen, das angeboren ist und keinem schadet, und anfangen zu akzeptieren, dass nicht alle der konstruierten Norm entsprechen. Diese Punkte sind nur die wichtigsten. Es gibt noch so viel zu tun, dass es nicht in einen einzigen Beitrag passt. Wir sollten einmal mit einem Punkt anfangen. Am besten mit einem der hier genannten drei.

Neurodiversität hält das menschliche Kollektiv gesund, so wie Biodiversität die Natur. Neurodiversität ist nichts weiter als eine Variation des Normalen. Wir müssen Menschen, deren Gehirne anders verdrahtet sind, einfach als das respektieren, was sie sind: anders. Und damit keineswegs schlechter, sondern in vielen Fällen sogar besser als der Durchschnitt.

Tut dieser Schluss Ihnen ein bisschen weh? Dann sehen Sie sich einmal an, wer diese Welt in jedem Zeitalter weitergebracht hat. Es waren nie die Normalen, niemals der Durchschnitt. Es waren immer die Anderen, die Ausgeschlossenen, die Unverstandenen. Aber das ist eine andere Geschichte. (Barbara B., 22.10.2022)