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Kommen sie oder gehen sie? Über das Publikumsverhalten nach zweieinhalb Jahren Pandemie wird heiß diskutiert.

Getty Images / Ryan McVay

Wird derzeit ein Publikumsrückgang herbeigeredet oder gibt es ihn tatsächlich? Die Meinungen gehen auseinander, vor allem deshalb, weil die Zahlen, die Auskunft über Auslastungsverhältnisse geben, von Theater zu Theater und von Ort zu Ort sehr variieren. Aber auch weil nach zweieinhalb Jahren Pandemie erst jetzt erstmals wieder eine Spielzeit begonnen hat, die eventuell ohne Lockdown bzw. verordnete Schließzeiten abzulaufen verspricht. Und bisher scheint es, wenn man Theaterleitern zuhört, ganz gut zu laufen.

Das Schauspielhaus Graz verzeichnet proppevolle Einführungsveranstaltungen, das Landestheater in Bregenz konnte entsprechend den finanziellen Kürzungen (d. h. eine Produktion weniger) das Publikum halten, und das Volkstheater Wien freut sich über eine Auslastung von 70 Prozent seit Spielzeitbeginn. Da sind die Konzertveranstaltungen allerdings miteingerechnet.

"Musik gehört zum künstlerischen Gesamtkonzept des Hauses", so Kay Voges im Gespräch mit dem STANDARD. Die Öffnung gegenüber anderen Kunstsparten sei zeitgemäß und nicht nur am Volkstheater Praxis. Die beiden Konzerte von Rapper Danger Dan am Wochenende sind seit langem ausverkauft. Das bringt neues Publikum ins Haus und baut Schwellenangst ab.

Negativschlagzeilen

Was ist also dran am vielzitierten Publikumsschwund? Genau genommen "kann man darüber derzeit nur mutmaßen", sagt Iris Laufenberg, die 2023 als Intendantin von Graz nach Berlin ans Deutsche Theater wechselt. Die Grazer Landesbühne ging im März 2020 mit einer Auslastung von 93 Prozent in den ersten Lockdown. Das Interesse ist also da. Aber: "Die Negativschlagzeilen in den Medien, die ich nicht nachvollziehen kann, verunsichern das Pu blikum. Ich war kürzlich in Berlin und saß in drei verschiedenen, jeweils fast ausverkauften Vorstel lungen."

Theaterleiter wehren sich also gegen Abgesänge. Abozahlen gehen zurück? Nein, so Volkstheater-Chef Kay Voges, der "dreimal so viele Abos wie noch im Vorjahr" vorweisen kann. Und selbst wenn Abonnements nicht mehr so der Renner sind wie vor 20 Jahren, so heißt das nicht zwangsläufig, dass das Publikum verschwindet, sondern dass es seine Gewohnheiten geändert hat und Theaterbesuche spontaner plant.

Das bestätigt auch das Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG) in Wien. Die traditionsreiche Mittelbühne beobachtet eine neue Kurzfristigkeit im Verkauf. Nicht verwunderlich nach einer Zeit voller Absagen, Verschiebungen und Umbesetzungen. Die Publikumszahlen im TAG seien laut Pressesprecherin "durchwachsen". Während die Wiederaufnahmen schwächeln, laufe die Neuproduktion "sehr gut", und ein einwöchiges Festival sei unlängst gar ausverkauft gewesen.

Bildung ist weniger wert

Woher kommt also das Gerede von weniger Publikum? Natürlich bewirkten die Pandemiejahre einen nachhaltigen Dämpfer, vor allem bei älteren Menschen, so der Tenor. Andererseits aber ändert sich das Freizeitverhalten generell. Es wird weniger Wert auf Bildung gelegt, man maturiert oft, ohne einen einzigen klassischen Text zur Gänze gelesen zu haben, führt die Bregenzer Landestheaterintendantin Stephanie Gräve an. Wie soll man also Interesse für Schillers Räuber entwickeln?

Gegen einen Abwärtstrend wird aber schon seit den Relevanzdebatten der Neunzigerjahre angekämpft, Spielpläne werden adaptiert, neues Nichtbildungsbürgerpublikum adressiert, Formate ausprobiert, Sonder- und Vermittlungsprogramme angesetzt. Auslastungszahlen seien mit Überproduktion künstlich hochgehalten worden, heißt es. Aber auch da sprechen die Zahlen keine eindeutige Sprache. Hatte das Burgtheater in der Saison 1999/2000 jeweils zehn Produktionen in den beiden großen Häusern auf dem Plan, so sind es aktuell nur deren acht. Der Mehraufwand findet sich wohl in den Nebenprogrammen.

Wie andere Sparten auch sieht sich das Theater einem Konkurrenzkampf um Publikum ausgesetzt, der durch ein vielfältigeres Angebot – Stichwort Streaming – härter geworden ist. Jetzt kommen noch der hippe Nichts-kaufen-Trend sowie Preissteigerungen hinzu. Aber Theaterpublikum ist hart gesotten, und die goldene Zeit des Streamings, wie man hört, auch vorbei. (Margarete Affenzeller, 20.10.2022)