Die Orbán-Regierung insinuiert mit der unverbindlichen Volksbefragung, dass die EU-Sanktionen allein für Inflation und schlechte Wirtschaftslage verantwortlich sind.

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Seit Wochenbeginn flattern den Haushalten in Ungarn Fragebögen der Regierung in die Briefkästen. Der rechtspopulistische Ministerpräsident Viktor Orbán "befragt" sein Volk zu den EU-Sanktionen gegen Russland. Im EU-Rat trug er sie zwar bislang stets mit, doch neuerdings wettert er gegen sie, als wären sie ein von "Brüssel" aufgezwungenes Teufelswerk.

Die sieben Fragen der "Nationalen Konsultation" – wie derartige Fragebogenaktionen der Regierung heißen – folgen konsequenterweise der Fiktion des Ministerpräsidenten. "Sind Sie mit den Sanktionen einverstanden, die sich auf Gaslieferungen beziehen?", lautete etwa eine von ihnen. Dabei gibt es gar keine Gassanktionen. "Sind Sie mit den Brüsseler Ölsanktionen einverstanden?", so eine weitere Scheinfrage.

Provokante Plakate

Tatsächlich erfreut sich Ungarn bei den Ölsanktionen gegen Russland einer vollumfänglichen Ausnahmeregelung. Parallel zur Verschickung der Fragebögen tauchten in ganz Ungarn am Dienstag Plakate auf, die eine Bombe mit der Aufschrift "Sanktionen" zeigen. Dazu steht der Text: "Die Brüsseler Sanktionen ruinieren uns!" Viele empfanden das als geschmacklos. Als ob die EU jemanden bombardieren würde und nicht Russland das Nachbarland Ukraine mit einem Bombenkrieg überzogen hätte.

Orbán macht mit Plakaten Stimmung gegen die EU-Sanktionen.
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Ernsthafte Kritik an Russland und seinem Präsidenten Wladimir Putin ist aber in den Orbán-Medien nicht zu finden. Vielmehr verbreiten diese zunehmend prorussische Narrative, wie etwa, dass der Westen an der Eskalation schuld sei oder dass es Russland trotz Sanktionen nicht schlechter gehe und es militärisch nicht zu besiegen sei.

Freundschaft mit Putin

Orbán pflegt ein besonderes Verhältnis zu Putin, das sich auch in häufigen Treffen in der Zeit vor dem Ukraine-Krieg ausdrückte. Erklärtermaßen empfindet der Ungar das russische Modell einer "gelenkten Demokratie" als nachahmenswert. Im eigenen Land setzte er in zwölfjähriger Herrschaft die komplette Zentralisierung von Macht und Korruption durch, allerdings ohne die in Russland übliche Gewalt. Aber auch die Politik der Repression von LGBTQI-Menschen und NGOs, das angebliche Eintreten für "christliche Werte" und die Abkanzelung des Westens als "dekadent" sind an Moskauer Vorbilder angelehnt.

Die Nationalen Konsultationen dienen wiederum Propagandazwecken. Die Aufarbeitung der Ergebnisse verläuft nicht transparent. Zudem ermöglichen die Aktionen die Vermessung des Lagers der eigenen Anhänger. Hinter der Fragebogenversendung könnte allerdings ein weiteres Motiv stehen, sagt der Soziologe Zoltán Somogyi. Die Regierung wolle erreichen, dass jeder Haushalt lesen könne, dass die Inflation und die schlechte Wirtschaftslage von den Sanktionen verursacht seien und nicht von Orbáns korrupter Wirtschaftspolitik. (Gregor Mayer aus Budapest, 20.10.2022)