Wien – Österreich ist ein Land der Schweine, Hühner und Rinder. 108 Millionen Tiere werden hierzulande jährlich zum Zwecke der Ernährung der Bevölkerung gehalten. Im Schnitt verzehrt ein Österreicher im Laufe seines Lebens 46 Schweine, 33 Puten, 893 Hühner und sechs Rinder. Rund eine Million Tiere sterben jährlich in der Aufzucht, noch ehe sie schlachtreif sind. Mehr als neun Million Küken werden als Nebenprodukt der Eiwirtschaft getötet und ihrerseits verfüttert.

Ein Österreicher verzehrt im Lauf seines Lebens im Schnitt 46 Schweine. Puten, Hühner und Rinder kommen oben drauf.
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Fleischkonsum sorgt weltweit für mehr Emissionen an Treibhausgas als der gesamte Verkehr. Er treibt die Abholzung von Regenwald in Lateinamerika und den Verlust von Biodiversität voran. 97 Prozent der Schweine in Österreich werden auf engstem Raum überwiegend auf Vollspaltenböden gemästet. Die Hühnerzucht ist ebenso hoch industrialisiert.

Tierleid ist ständiger Begleiter konventioneller Fleischproduktion. Für Menschen erhöht übermäßiger Fleischkonsum das Risiko für Diabetes, Herzerkrankungen und Darmkrebs. Elf Millionen sterben weltweit jährlich infolge ungesunder Ernährung, errechneten Forscher der Eat-Lancet-Kommission.

Harte Eingriffe?

Quer durch die Wissenschaft wächst der Druck auf Wirtschaft und Politik, Transformationsprozesse einzuleiten. Der Weg dorthin bedingt aber harte Eingriffe in den Markt. Sie reichen von höheren Steuern auf Fleisch über teurere Importe bis hin zu Förderungen an Bauern, die ihren Viehbestand reduzieren. An welchen Stellschrauben zu drehen ist, darüber wird international hitzig debattiert.

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DER STANDARD

Doch wie wirkt sich geringerer Fleischverbrauch auf Klima, Tierhaltung und Tierwohl konkret aus? Eine aktuelle Studie der Universität für Bodenkultur und des Forschungsinstituts für biologischen Landbau im Auftrag der Tierschutzorganisation Vier Pfoten hat die Folgen veränderter Ernährungsgewohnheiten für Österreichs Landwirtschaft ausgelotet.

Weniger Nutztiere

Die Forscher haben drei Szenarien untersucht: Was wäre, wenn Konsumenten Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung Folge leisteten und statt 60,5 Kilo Fleisch im Jahr im Schnitt pro Kopf 19,5 Kilo verzehrten? Was hieße gänzlicher Verzicht auf Fleisch? Wie wirkte sich veganer Konsum aus?

Ihre Bilanz: Reduzieren Österreicher ihren Fleischkonsum im Sinne der eigenen Gesundheit um zwei Drittel, brauchte es hierzulande 64 Millionen weniger Nutztiere. Damit würden 140.000 Hektar Fläche für eine Umstellung auf Biolandbau oder Renaturierung frei. Zugleich ließen sich im Ernährungsbereich 28 Prozent der Treibhausgase einsparen. Bei vegetarischer Lebensweise könnten die Emissionen um knapp die Hälfte sinken, bei veganer um 70 Prozent.

Das Pariser Klimaschutzabkommen sieht ein Reduktionsziel von 36 Prozent bis 2030 vor. Die analysierten Szenarien könnten der Studie zufolge dazu einen Anteil zwischen 21 und 53 Prozent beitragen. So weit die Theorie.

Keine Insel

Was jedoch, wenn Konsumenten auf Backhendl und Schnitzel nicht verzichten und der Lebensmittelhandel diese in Ermangelung regionaler Produktion aus Fleischnationen wie Brasilien importiert? Was, wenn Österreich den eigenen Fleischbedarf zwar kräftig drosselt, Exporte aber weiterhin florieren?

Es brauche langfristige Pläne für neue Arbeitsplätze und Strukturen in Landwirtschaft wie Fleischindustrie sowie Handlungsalternativen für Konsumenten, sagt Thomas Lindenthal, Nachhaltigkeitsforscher an der Wiener Boku. Mobilitätsverhalten verändere sich nicht mit der bloßen Umstellung auf E-Autos. "Ähnliches gilt für die Ernährung."

Holland zahlt für den Ausstieg

Die Niederlande versuchen Landwirte angesichts drohender Rüffel der EU-Kommission und im Dienste des Klimaschutzes mit einem 25 Milliarden Euro schweren Ausstiegsprogramm dazu zu bewegen, ihren Tierbestand radikal um ein Drittel zu reduzieren. Zu hoch ist der Stickstoffausstoß ihrer hochindustrialisierten Agrarwirtschaft. Doch viele Unternehmer fühlen sich verraten, um Investitionen gebracht und steigen auf Barrikaden.

In Österreich sehen Ökonomen und Klimaforscher Handlungsbedarf weniger in der vielerorts extensiven Grünlandwirtschaft im alpinen Raum mit ihren Rindern, die Gras zu proteinreichen Lebensmitteln "verarbeiten".

Im Visier stehen vor allem Schweine und Geflügel, die am häufigsten auf dem Teller landen und am wenigsten nachhaltig und artgerecht gehalten werden. Satte 15 Kilo Huhn isst ein Österreicher im Schnitt im Jahr. An Schweinernem sind es rund 30 Kilo.

"Wir stehen an einem Wendepunkt", sagt Martin Schlatzer, Experte für Klimaschutz am Forschungsinstitut für Biolandbau. Multiple Krisen erfassten die Ernährung, die Gesundheit und das Klima. Es müsse daher Druck von den verfügbaren Flächen genommen werden. Für ihn führt an einer pflanzenbetonteren Ernährung kein Weg vorbei.

Preise als heißes Eisen

Für Veronika Weissenböck von Vier Pfoten belegt die Studie, dass Österreichs Lebensmittelversorgung und Ernährungssicherheit auch bei einer Abkehr von Fleisch nicht gefährdet sei. Ernährungsverhalten beeinflussen lässt sich aus ihrer Sicht über viele Ansätze: Schulen gehörten dafür noch stärker in die Pflicht genommen. Gemeinschaftsverpfleger der Gemeinden, der Länder und des Bundes müssten gezielter aus tiergerechter Haltung einkaufen. Und für Konsumenten sei transparente Herkunftskennzeichnung unabdingbar.

Vieles davon macht Fleisch freilich teurer. Und das ist in Zeiten hoher Inflation, die Konsumenten zum Sparen zwingt und sie zu billigeren Lebensmitteln greifen lässt, ein politisch heißes Eisen. Doch wäre kostspieligeres Fleisch, das Supermärkten nicht als Lockartikel dienen darf, die Lösung aller Probleme?

Landwirte "aushungern"?

Wifo-Experte Franz Sinabell bezweifelt das. Für echte strukturelle Umbrüche brauche es gute, günstige und leicht zubereitbare Ersatzprodukte. Mit deren Aufstieg sinke die Nachfrage nach Fleisch, das folglich preislich unter Druck gerate, meint er. "Solange Fleisch nicht billiger wird, ist der Anreiz zu groß, es weiterzuproduzieren."

Lindenthal hingegen hält wenig davon, Landwirte über die Preise "auszuhungern". Zu groß sei die Gefahr, dass nur wenige große Betriebe überlebten. (Verena Kainrath, 20.10.2022)