Im Gastkommentar bringt DER STANDARD Auszüge aus der Festrede von Sprachsoziologin und Diskursforscherin Ruth Wodak zur Verleihung des Paul-Watzlawick-Ehrenrings 2022.

Nicht mehr als Bundeskanzler im Amt, aber seine Kommunikation während der Pandemie hallt noch nach: Sebastian Kurz.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Dass die Krisenkommunikation der österreichischen Regierung während der Covid-19-Pandemie häufig irreführend war und daher nicht die gewünschte Wirkung (etwa eine höhere Impfquote) erzielte, ist wohl unumstritten. Der ritualisierten Inszenierung der Politik in unzähligen Pressekonferenzen wurden wichtige Inhalte geopfert.

Es darf nicht verwundern, dass aufgrund der vielen – einander oft widersprechenden – Ankündigungen, der nicht eingehaltenen Versprechen und letztlich des peinlichen Theaters rund um die Impfpflicht viele Bürgerinnen und Bürger verärgert waren und sind; und viele sich daher Protestbewegungen angeschlossen haben, die von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien ausgenutzt wurden. Gleichzeitig wurde metaphorisch – "als Licht am Ende des Tunnels" – eine "Neue Normalität" beschworen.

"Polycrisis ist eine Situation, in der das gesamte Geschehen gefährlicher ist als die simple Addition der einzelnen Teile." (Adam Tooze)

Krisen stellen jeglichen ‚Normalzustand‘ auf den Kopf. Das schafft einerseits viel Unsicherheit und damit Angst; andrerseits eröffnen Krisen neue Optionen, neue Horizonte, damit auch neue Ordnungen. Heutzutage befindet sich die Welt in einer "Polycrisis"; der Historiker Adam Tooze definiert "Polycrisis" als "nicht nur eine Situation, in der man mit vielen Krisen konfrontiert ist. Es ist eine Situation, in der das gesamte Geschehen gefährlicher ist als die simple Addition der einzelnen Teile."

Schnelle Desinformation

Ein relevanter Faktor im Krisengeschehen sind die sozialen Medien, durch welche neue Informationen zu all den Krisen ungefiltert jede Minute oder sogar Sekunde auf unseren Bildschirmen eintreffen. Diese rasante Beschleunigung verunmöglicht jegliche Reflexion, eine notwendige Distanzierung, um sich ein Gesamtbild zu machen und begründete, rationale Entscheidungen fällen zu können. Denn es bedarf genauer und vielfältiger Recherchen, um Fakten von gezielter Desinformation und Propaganda zu unterscheiden.

Beispielsweise konnte die brasilianische Kommunikationswissenschafterin Marie Santini nachweisen, dass in Jair Bolsonaros Wahlkampf 2022 circa 30 Prozent aller Social-Media-Texte von Bots stammten. Das heißt, dass Algorithmen in den Diensten von Propagandamaschinerien systematisch flächendeckende Desinformation erzeugt haben. Und dies geschieht schon seit einigen Jahren, etwa während der Brexit-Kampagne und auch Donald Trumps Wahlkampf 2016.

Glorifizierte Vergangenheit

Eine Rückkehr zur häufig herbeigesehnten "guten alten Zeit" wird nicht gelingen. Paul Watzlawick erklärt uns in seiner Anleitung zum Unglücklichsein, was daraus folgt, wenn man in einer glorifizierten Vergangenheit verharrt, einer Retrotopia: Man verpasst dann nämlich die Gegenwart (und natürlich auch die Chancen auf eine bessere Zukunft). Fantasien einer glücklichen und friedlichen Vergangenheit bleiben unerfüllt und sind gefährlich; man kann die Uhr nicht zurückdrehen, auch wenn dies die Trumpisten, die Brexiteers oder die Schwedendemokraten mit ihren Slogans – "Make America Great Again", "Take Back Control" oder "Make Sweden Good Again" – versprechen.

"Eine Rückkehr zur häufig herbeigesehnten ‚guten alten Zeit‘ wird nicht gelingen."

Was bedeuten nun die sehr unterschiedlichen Erwartungen an eine adäquate Krisenkommunikation? Wie Vertrauen und damit Gesprächs- und Dialogbereitschaft signalisieren und wiederherstellen? Ein einfaches Rezept dafür gibt es nicht.

Nicht nur sind wir mit unterschiedlichen Diskurswelten konfrontiert, sondern mit einem Auseinanderklaffen von Beziehungs- und Inhaltsebene. Denn, wie Watzlawick erklärte: Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Wenn Polarisierung und damit negative Emotionalisierung die Beziehungsebene erfassen, dann können Inhalte nicht mehr sachlich diskutiert werden. Vertrauen herstellen bedeutet daher zunächst Beziehungsarbeit.

"Viele Bürgerinnen und Bürger sehnten und sehnen sich nach mehr Einigkeit und Solidarität in Krisenzeiten."

Um die Krise bestmöglich zu bewältigen, braucht es weiters eine reflektierte Entschleunigung, sich Zeit zu nehmen, zu überlegen und beraten, welche Handlungen – auch durchaus unpopuläre – zu setzen wären. Dabei erweisen sich Aufrechnungsstrategien sicherlich nicht als hilfreich. Wenn jemand anderer denselben Fehler begeht, macht dies das eigene Fehlverhalten um nichts besser.

Ganz besonders waren viele Bürgerinnen und Bürger während der Covid-19-Krise von den widersprüchlichen Maßnahmen enttäuscht, die zudem oft unverständlich blieben. Das "Blame-Game" war der Vertrauensbildung ebenfalls nicht dienlich. Viele Bürgerinnen und Bürger sehnten und sehnen sich nach mehr Einigkeit und Solidarität in Krisenzeiten.

Klare Orientierung

Das Mantra "Man muss den Menschen zuhören" reicht als Fundament der Vertrauensbildung nicht; in Krisensituationen wollen alle zunächst eine klare und verständliche Orientierung erhalten, Erklärungen zur Auswahl der Kriterien zur Entscheidungsfindung und damit Entscheidungen verstehen. Daher ist Transparenz vonseiten der Politik dringend erwünscht.

(Ver-)Schweigen ist sicherlich keine Option, denn – und hier will ich wiederum Watzlawick zitieren – "man kann nicht nicht kommunizieren". Weiters meint er: "Die Vermeidung eines Problems dient dem Zwecke seiner Verewigung." Das Problem verschwindet eben nicht, auch wenn man es verschweigt. Schweigen kann vielfach interpretiert werden, als Zustimmung, als Ablehnung, als Ignorieren, als Unverständnis oder Nichtverstehen; in jedem Fall schafft es Konfusion.

Wegschieben oder Unter-den-Teppich-Kehren, Ablenken und Verharmlosen im Sinne des häufig Gehörten "Wir haben alles richtig gemacht" nützen ebenfalls nicht. Man kann und soll Fehler eingestehen; man kann und soll sich dann entschuldigen. Man kann auch eingestehen, dass man noch nicht alles weiß.

"Der Wunsch nach einer Anleitung zum Glücklichsein bleibt wohl eine Utopie."

Gefragt ist ein positiver und emotionaler, aufklärender Diskurs, der transparent und dialogisch ist, partizipativ und auf Augenhöhe – und der damit die negative, polarisierende Stimmung durchbricht: Faktenbasierte Sachlichkeit kann nämlich je nach Kontext und Textsorte durchaus ironisch, witzig, irritierend und berührend sein. Leider verfolgen viele Politikerinnen und Politiker noch immer die von Watzlawick als paradoxe Intervention gedachte Anleitung zum Unglücklichsein!

Besonders in der heutigen "Polycrisis‘ bleibt wohl der Wunsch nach einer Anleitung zum Glücklichsein eine Utopie; was ich mir aber als ersten Schritt in eine neue Normalität wünsche, ist eine Politik der Rücksichtnahme im Kleinen wie im Großen, eine Politik der Solidarität. Damit bin ich hier hoffentlich nicht allein. (Ruth Wodak, 20.10.2022)