Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wird die Entscheidung, ob Schmid Kronzeuge wird, nicht alleine treffen.

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Der Wunsch Thomas Schmids, Kronzeuge zu werden, brachte am Dienstag mit einem Schlag neuen Schwung ins Großverfahren Casinos/Ibiza – und gleichzeitig eine Flut an bisher unbekannten Dokumenten ans Tageslicht. Schmid wurde zwar bereits im Sommer an insgesamt 15 Tagen von Ermittlerinnen und Ermittlern befragt, seine Aussagen gelangen aber erst jetzt an die Öffentlichkeit.

Frage: Warum wurde der Wunsch Schmids erst jetzt bekannt?

Antwort: Vorgänge, die sich im Ermittlungskomplex Casinos/Ibiza abspielen, gelangen meist relativ schnell ans Licht. Das liegt daran, dass im Verfahren bisher gegen insgesamt 45 Beschuldigte ermittelt wird, die allesamt Akteneinsicht haben. Die Staatsanwaltschaft kann aus ermittlungstaktischen Gründen allerdings einzelne Dokumente vorübergehend sperren. Das macht etwa dann Sinn, wenn die Dokumente auf künftige Hausdurchsuchungen schließen lassen und die Ermittlerinnen und Ermittler verhindern wollen, dass Beschuldigte vorgewarnt sind. Das war im Casinos-Komplex schon einmal der Fall – und dürfte nun auch bei den Einvernahmen Schmids eine Rolle gespielt haben: Wie am Dienstag bekannt wurde, fanden zeitgleich mit der Aussendung der WKStA Hausdurchsuchungen bei der Signa-Gruppe von Unternehmer René Benko und bei einem Immobilienexperten statt.

Thomas Schmid will Kronzeuge werden. Ob das überhaupt geht und was das konkret bedeuten würde
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Frage: Welche Folgen hat ein Antrag auf Kronzeugenstatus für das weitere Verfahren?

Antwort: Die Ermittlungen werden vorerst normal weiterlaufen – die Beweislage hat sich zum Teil aber maßgeblich verändert. Die Staatsanwaltschaft wird nun prüfen, inwieweit sich die Aussagen Schmids bestätigen lassen und den neuen Vorwürfen nachgehen. Die Justiz muss in den nächsten Wochen zudem entscheiden, ob Schmid Kronzeuge wird und er damit straffrei bleibt.

Frage: Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?

Antwort: Kronzeuginnen und Kronzeugen müssen nicht nur ein umfassendes "reumütiges" Geständnis ablegen, sondern der Justiz auch neue Sachverhalte vorlegen, die das Strafverfahren entscheidend weiterbringen. Abgesehen davon kommt Straffreiheit nur dann infrage, wenn sich Kronzeugen "rechtzeitig" und "freiwillig" bei den Behörden melden. Ob diese Voraussetzungen bei Thomas Schmid erfüllt sind, ist allerdings fraglich.

Frage: Warum?

Antwort: Problematisch ist, dass sich Schmid erst im April 2022 bei der Staatsanwaltschaft gemeldet hat – also mehr als zwei Jahre, nachdem die Chat-Daten bei ihm sichergestellt wurden. Gegen Schmid sind zudem schon seit Monaten belastende Indizien bekannt. Fraglich ist daher, ob er sich tatsächlich "freiwillig" bei der Behörde meldete oder erst, als er fürchtete, dass er aus der Sache nicht mehr herauskommt.

Frage: War das bei Beinschab nicht ähnlich?

Antwort: Im Fall Beinschabs stellten sich die gleichen Fragen. Die Justiz folgte allerdings Beinschabs Anwältin: Sie argumentierte damit, dass sich die Voraussetzungen der "Rechtzeitigkeit" und "Freiwilligkeit" nicht auf bereits bekannte Ermittlungsstränge beziehen, sondern auf jene Beweismittel, die Beinschab neu ins Verfahren einbrachte. Seit August ist sie nun tatsächlich Kronzeugin. Unter Juristinnen und Juristen ist diese Entscheidung jedoch umstritten.

Frage: Darf es in einem Verfahren mehrere Kronzeuginnen und Kronzeugen geben?

Antwort: Im Gesetz ist keine Maximalzahl vorgesehen, insofern dürfen auch zwei oder theoretisch sogar mehrere Personen in einem Verfahren den Kronzeugenstatus bekommen. Gibt es bereits Kronzeugen, stellt sich allerdings die Frage, ob weitere Anträge noch "rechtzeitig" und "freiwillig" gestellt werden. Je größer die Anzahl, desto eher wird das zu verneinen sein, Rechtsprechung gibt es dazu aber noch keine. Mit dieser Causa würde damit juristisches Neuland betreten.

Frage: Trifft die WKStA die Entscheidung über den Kronzeugenstatus allein?

Antwort: Nein, sie ist zwar die zuständige Behörde, in die Entscheidung über den Kronzeugenstatus ist aber die Weisungsspitze eingebunden – und die liegt bekanntermaßen nach wie vor im Justizministerium. Stellt Schmid einen formellen Antrag auf Kronzeugenstatus, ist also letztlich das Ministerium samt Weisungsrat dran zu entscheiden.

Frage: Welche Folgen hätte ein Kronzeugenstatus für Schmid selbst?

Antwort: Das Strafverfahren gegen Schmid könnte in diesem Fall eingestellt werden. Der ehemalige Kabinettschef müsste dann lediglich eine Geldbuße zahlen und/oder gemeinnützige Arbeit leisten. Denkbar wäre etwa ein Bußgeld in der Höhe von einem Jahresgehalt. Sollte Schmid den Kronzeugenstatus nicht bekommen, wäre sein Geständnis dennoch nicht sinnlos gewesen: Es würde sich im Fall einer möglichen Verurteilung mildernd auf die Strafhöhe auswirken. Hält sich Schmid nicht an die Kronzeugenvereinbarung oder kommen neue Vorwürfe gegen ihn ans Tageslicht, dürfte die Justiz neue Ermittlungen aufnehmen. Denkbar wären zudem Schadenersatzklagen. Denn der Kronzeugenstatus hat keine Auswirkungen auf mögliche Zivilprozesse. (Jakob Pflügl, 20.10.2022)