Zum vierten Mal mussten sich am Donnerstag sieben antifaschistische Aktivisten am Landesgericht für Strafsachen Wien im Großen Schwurgerichtssaal einfinden.

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Es sei ein "skandalöses Verfahren", das man nicht ohne Protest zu Ende lassen gehen könne, sagt am Donnerstagmorgen ein junger Aktivist vor dem Eingang des Wiener Straflandesgerichts. Rund 20 Menschen haben sich versammelt, um den sieben antifaschistischen Aktivisten, die sich an diesem Tag erneut im Großen Schwurgerichtssaal einfinden, Solidarität auszusprechen.

Für sie ist klar: Dieses Verfahren ist politisch motiviert. Vereinzelte Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Mitgliedern der rechtsextremen Identitären über die vergangenen Jahre seien von den Behörden zu einem Verfahren gegen eine vermeintliche linke kriminelle Organisation "zusammengedichtet" worden, kritisiert der Redner an diesem Morgen.

Bedingte Strafen von vier bis 14 Monaten

Wenige Stunden später steht dann das Urteil fest: Sechs der sieben Angeklagten werden vom Gericht wegen teilweise schwerer Körperverletzung, Sprengung einer Versammlung sowie einmal Sachbeschädigung und einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu bedingten Haftstrafen verurteilt. Die Strafhöhe rangiert zwischen vier und 14 Monaten, die Probezeit beträgt bei allen drei Jahre. Bis auf den Freispruch eines Angeklagten ist keine der Entscheidungen rechtskräftig: Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung haben noch nicht entschieden, ob sie gegen das Urteil berufen werden.

Konkret ging es in dem Verfahren um drei Vorfälle: Im März, Mai und August 2020 – so die Anklage – sollen die Angeklagten Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung Die Identitären respektive Die Österreicher, wie sich die Gruppe mittlerweile nennt, angegriffen haben. Zunächst war es im März zu einer Auseinandersetzung am Rande eines Standes der Sozialistischen Jugend (SJ) auf dem Karlsplatz gekommen. Außerdem warf die Staatsanwaltschaft den nunmehr Angeklagten vor, im Mai 2020 im ersten Wiener Gemeindebezirk rechte Aktivisten mit Glasflaschen angegriffen zu haben, im August kam es dann zu einem Handgemenge auf dem Meidlinger Migazziplatz.

Verteidiger beklagte "überzogenes Verfahren"

Zuletzt war außerdem noch der Vorwurf der schweren Sachbeschädigung dazugekommen: Im Jänner 2022 hatte ein Angeklagter den Eingangsbereich eines Hauses, in dem die Österreichische Landsmannschaft – eine laut Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands als rechtextrem eingestufte Gruppierung – mit einem Feuerlöscher verunreinigt. Als "Charakterschwäche" des Angeklagten sollte Richterin Sonja Weis später bei der Urteilsverkündung diese Tatbegehung während des laufenden Strafverfahrens bezeichnen.

Die Angeklagten bekannten sich von Anfang an nicht schuldig und verweigerten die Aussage. Verteidiger Matej Zenz kritisierte schon zu Beginn des Prozesses ein "völlig überzogenes Ermittlungsverfahren", während des Ermittlungsverfahrens wurde nämlich auch wegen des Paragrafen 278 Strafgesetzbuch, Bildung einer kriminellen Vereinigung, ermittelt – ein Tatbestand, der aber schon bei der Anklage fallen gelassen wurde. Zuvor waren die nunmehr Verurteilten observiert worden, außerdem kam es zu Hausdurchsuchungen durch schwerbewaffnete Cobra-Beamte.

Vernommener Polizist konnte wenig aufklären

Eigentlich hatten die Zuseherinnen bereits am dritten Prozesstag Ende Juni mit einem Prozessende gerechnet. Nachdem die Befragung eines Polizisten, der einen der Angeklagten observierte, aber nicht die ausreichende Klarheit gebracht hatte, vertagte Richterin Weis die Verhandlung erneut: Ein weiterer Kollege hätte nämlich im Umfeld der Vorfälle um den Migazziplatz im August 2020 mehr gesehen.

Der Beamte war am Donnerstag wie auch sein Kollege im Juni per Video in den Gerichtssaal zugeschalten. Auch er wusste aber wenig über die Vorfälle vor mittlerweile mehr als zwei Jahren zu sagen. Der Polizist konnte sich nur daran erinnern, dass die Zielperson im Umfeld des Migazziplatzes an seinem Auto vorbeilief. Er habe ihn an seiner Statur erkannt sowie an einer Uniform der Wiener Linien, inklusive eines Gilets mit Logo. Ob da "Wiener Linien" draufgestanden sei, will die Richterin wissen. "Ob wirklich 'Wiener Linien' draufgestanden ist, kann ich jetzt nicht mehr sagen", sagt der observierende Polizist. Konkrete Tätlichkeiten – zwischen wem auch immer – habe er im Rahmen seiner Observation nicht wahrgenommen.

Das Schreckgespenst "Antifa"

Nach Ende des Beweisverfahrens hält die Staatsanwältin ihr Schlussplädoyer. Sie hält an der Anklage fest und sagt, dass die bei der Anklageerhebung weder die Gesinnung der Opfer noch jene der Angeklagten eine Rolle spielte. Die Angeklagten hatten sich nicht zu den Vorwürfen geäußert, Zeugenaussagen und weitere Beweise, darunter Videoaufzeichnungen, würden aber die Schuld der Angeklagten belegen, beharrt die Anklägerin auf ihre Entscheidung.

Verteidiger Matej Zenz sieht die Sache naturgemäß diametral anders. "Das sind keine Beweise mehr, das ist Kaffeesudlesen", sagt er zu den Vorwürfen gegen einen seiner Mandanten: Um Angeklagte zu identifizieren, habe sich die Anklage teilweise auf verpixelte Videos gestützt, mithilfe derer die Angeklagten ausgerechnet über deren Schuhwerk identifiziert worden sein sollen. Zenz lässt die Aussagen der Staatsanwältin nicht gelten, wonach es ein gänzlich unpolitisches Verfahren gehandelt habe.

Man habe hier ein Schreckgespenst einer kriminellen Vereinigung namens Antifa an die Wand gemalt. Tatsächlich habe es sich bei den Angriffen aber um "ein paar Watschen" gehandelt, auf jedem Zeltfest gehe es ärger zu, wiederholt Zenz seine Aussagen vom zweiten Verhandlungstag. Die Gefahr lauere vielmehr am anderen Ende des politischen Spektrums, immerhin würden immer wieder rechtsextreme Waffendepots aufgedeckt, schildert Zenz. Sein Mandant, dem der Besitz eines Schlagstockes vorgeworfen wird, sehe da vergleichsweise "mau" aus. Auch zum Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) findet er kritische Worte: "Hohes Gericht, lassen Sie sich nicht vom Bedrohungsszenario des LVT blenden!", beendet er seinen Schlussvortrag.

Verteidiger Lahner: Ermittlungen von Vorurteilen geprägt

Auch Verteidiger Clemens Lahner will die Aussagen der Staatsanwältin von einem unpolitischen Prozess nicht stehen lassen. "Natürlich handelt es sich um ein politisches Verfahren", sagt Lahner: Die Ermittlungen seien gekennzeichnet gewesen von Vorurteilen des LVT gegen Antifaschisten.

Ein Angeklagter will dann noch das Wort ergreifen. "Kein politisches Statement! Wir sind hier nicht am Stammtisch der sozialistischen Jugend," mahnt Richterin Weis, bevor sich der Angeklagte in wenigen Worten bei den Zuschauern und Zuschauerinnen, die aus Solidarität dem Prozess beiwohnten, bedankt.

Richterin Weis: "Wir leben in einem Rechtsstaat"

Es folgt die Urteilsverkündung: Sechs der sieben Angeklagten werden verurteilt, ein Großteil wegen Sprengung einer Veranstaltung und Körperverletzung, ein Angeklagter wird wegen schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung verurteilt, ein anderer wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz. Der Freispruch für einen Angeklagten wird von der Verteidigung angenommen, die restlichen sechs Schuldsprüche sind vorerst nicht rechtskräftig. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigungen geben sich noch Bedenkzeit.

"Wir leben Gott sei Dank in einem Rechtsstaat", sagt Richterin Weis nach der Urteilsverkündung. Und es sei niemandes Aufgabe, politisch Andersdenkenden, mögen deren Ansichten auch noch so extrem sein, das Demonstrationsrecht zu nehmen. Für den frühen Abend wurde unter anderem auf Twitter zu einer Demonstration gegen das Urteil aufgerufen. (Levin Wotke, 20.10.2022)