DNA-Proben stammten unter anderem aus Ausgrabungen in den East Smithfield Plague Pits in London, wo während der Londoner Pestwelle zwischen 1347 bis 1351 die Toten begraben wurden.
Foto: Museum of London Archaeology (MOLA)

Zwischen 30 und 50 Prozent der Bevölkerung – so groß war der Blutzoll, den die erste große Pest-Epidemie zwischen 1346 und 1353 in Europa forderte. Die Erinnerung an den über mehrere hundert Jahre hinweg in Wellen auftretenden "Schwarzen Tod" wirkt bis heute nach, sei es in Form hunderter Pestsäulen oder in der Popkultur.

Es war nicht das erste Auftreten des Erregers Yersinia pestis, bereits am Übergang zur Bronzezeit vor 6.200 Jahren konnte das Bakterium nachgewiesen werden. Doch im Mittelalter – mit seinen innerhalb von Stadtmauern auf engem Raum unter schlechten hygienischen Bedingungen lebenden Menschen – kam es zur Katastrophe. Bis ins 18. Jahrhundert gab es in Europa immer wieder Pestwellen, bis hier die Krankheit an Bedeutung verlor. Noch im 19. Jahrhundert kam es im Nahen Osten zu einer Pest-Epidemie, die zwölf Millionen Menschenleben forderte, selbst heute ist die Krankheit noch immer nicht vollends ausgerottet.

Schnelle Evolution

Schon früh war Forschenden aufgefallen, dass in Europa Ausbrüche der Pest nach der Epidemie des 14. Jahrhunderts weniger tödlich waren. Eine Forschungsgruppe um die Genetikerin Jennifer Klunk von der kanadischen McMaster-Universität stellte sich nun die Frage, ob es durch den hohen Selektionsdruck zu genetischen Anpassungen gekommen sein könnte.

Ein Zahn aus einem Pestgrab, der als Quelle für DNA diente.
Foto: Matt Clarke/McMaster University

Derart schnelle Evolution wäre ungewöhnlich, manche Anpassungen dauern viele Tausend oder auch Millionen Jahre. Doch es gibt Gegenbeispiele: So ist etwa belegt, dass eine Schmetterlingsart durch den Ruß der industriellen Revolution innerhalb weniger Jahrzehnte eine dunklere Färbung annahm, die ihnen auf geschwärzten Flächen zu besserer Tarnung verhalf. In Australien wiederum hat sich die eingeschleppte Aga-Kröte in weniger als einem Jahrhundert offenbar zur Kaulquappen-Kannibalin entwickelt.

DNA aus historischen Proben

Um festzustellen, ob Derartiges womöglich auch während der großen Pestepidemie des 14. Jahrhunderts auftrat, untersuchten die Forschenden genetische Proben von Menschen in England und Dänemark, die vor, während und nach der Epidemie verstorben waren. Das Ergebnis, das nun im Fachjournal "Nature" publiziert wurde, enthielt einige Überraschungen.

East Smithfield liegt in der Nähe des Tower of London und befand sich in mittelalterlicher Zeit außerhalb der Stadtmauern. Bereits in den 90er-Jahren wurden hier hunderte Skelette von Pestopfern ausgegraben.
Foto: Museum of London Archaeology (MOLA)

Zuallererst ließ sich das unwahrscheinliche Szenario einer genetischen Anpassung tatsächlich nachweisen. Einige Gene, die mit einer verstärkten Abwehr gegen Krankheiten in Verbindung stehen, traten nach der Epidemie gehäuft auf. Das war zum Teil bereits bekannt gewesen: Die Theorie, dass es sich um einen durch Selektion verursachten Effekt handeln könnte, kursierte bereits seit den 90er-Jahren. Was fehlte, war der Beweis für die These.

Höhere Überlebenschance

Der Schlüssel zum nun erstmals erbrachten Nachweis war die Genauigkeit der Datierung. Um den Todeszeitpunkt der Pestopfer einzugrenzen, wurden einerseits C14-Datierung, andererseits historische Aufzeichnungen herangezogen. So gelang es zu zeigen, dass sich die Anpassungen tatsächlich während weniger Generationen vollzogen hatten. Das war wichtig, um sicherzugehen, dass es sich wirklich um eine Anpassung durch Selektion handelte und nicht um einen sogenannten Gendrift, bei dem sich Gensequenzen zufällig verändern.

Der Vorteil, den die Bevölkerung durch die Anpassung hatte, ist durchaus markant. Ein konkretes Gen namens ERAP2, das eine Rolle bei der Immunabwehr spielt, brachte in der durch Selektion vermehrt auftretenden Variante eine Erhöhung der Überlebenschance von 40 Prozent.

Die Forschenden weisen darauf hin, dass es sich bei diesem Evolutionssprung um einen seltenen Sonderfall handelt. Nur bei extremen Epidemien in Kombination mit der fehlenden medizinischen Versorgung sei in der Menschheitsgeschichte ein derartiger Selektionsdruck entstanden. Weitere Beispiele einer derart schnellen Anpassung seien unwahrscheinlich.

Neigung zu Autoimmunerkrankungen

Eine weitere Überraschung wartete auf das Team, als man sich die Funktionen der identifizierten Gene genauer ansah. Es zeigte sich, dass einige von ihnen mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung stehen, etwa mit rheumatoider Arthritis. Das bereits erwähnte Gen ERAP2 wird mit der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn in Verbindung gebracht. Es könnte sich um einen evolutionär günstigen Tausch gehandelt haben, der kurzfristiges Überleben während der Epidemie gegenüber dem Nachteil des Risikos anderer Erkrankungen bevorzugte. Weitere Forschungen sollen in diesem Punkt Klarheit bringen.

Das Ergebnis ist nicht nur im historischen und epidemiologischen Kontext der Pest interessant. Es handelt sich um den bisher stärksten Nachweis von Evolution beim modernen Menschen. Viele Personen tragen also offenbar eine Erinnerung an die Pest in ihrem Erbgut mit sich. (Reinhard Kleindl, 21.10.2022)