Die OP-Scheinwerfer sind noch eingepackt, der Angiografie-Siemens-Roboter Artis Zeego war noch nie in Betrieb, und von den Niro-Schränken ist noch nicht einmal die hellgraue Schutzfolie abgezogen worden. Vor zwei Monaten wurde der neue Hybrid-Operationssaal im Zentrum für Biomedizinische Forschung der Med-Uni Wien fertiggestellt, dieser Tage sollen die ersten Operationen an Schweinen und Schafen in Angriff genommen werden. An den erkrankten Vierbeinern, die an Herz- und Herzgefäß-Anomalien leiden, sollen die neuen interventionellen, minimalinvasiven Techniken sowie neue Produkte wie etwa künstliche Herzklappen und Gefäßprothesen einer Generalprobe unterzogen werden, ehe sie im Spitalsalltag am menschlichen Körper Anwendung finden.
"Vieles davon, was das AKH und die Medizinische Universität Wien auszeichnet, ist für die meisten Menschen unsichtbar", sagt der Wiener Fotograf Stefan Oláh. "Sie kennen das Krankenhaus meist nur als Patient und Besucherin und die Universität bestenfalls vom Vorbeifahren. Doch tatsächlich verbirgt sich hinter den Kulissen des Krankenhausbetriebs ein riesiger Forschungs- und Lehrapparat, ganz zu schweigen von den vielen technischen, infrastrukturellen Einrichtungen, die so eine Institution überhaupt am Leben und am Laufen halten. Dieses Unsichtbare, dieser voyeuristische Blick ins Innere hinein hat mich immer schon fasziniert. Und hier besonders."
Im Auftrag der Med-Uni Wien begab sich der 51-jährige Bildkünstler und vielfache Buchautor in die Katakomben des Ausbildungs- und Krankenhausbetriebs und fotografierte Operationssäle, Großküchen, Medikamentenroboter, Desinfektionsstraßen, Lüftungszentralen, Absorptionskältemaschinen, Dieselnotstromaggregate, ganze Zisternenanlagen zig Meter unter dem AKH sowie sogenannte Phantomräume, in denen angehende Zahnärzte an zwar körperlosen, aber dafür umso bissfesteren Dentalpuppen ihre ersten Handgriffe an Ober- und Unterkiefern vornehmen können. Ein bisschen erinnert der gespenstische Ausbildungsraum an I, Robot, Mission Impossible und 2001: Odyssee im Weltraum.
PHANTOMRÄUME Drei Jahre lang war Oláh auf Wanderschaft durch die unterschiedlichen Einrichtungen der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien, die sich zum überwiegenden Teil auf dem AKH-Areal Michelbeuern zwischen Spitalgasse, Lazarettgasse und Währinger Gürtel befinden, teilweise aber auch außerhalb des Quartiers in den umliegenden Straßenblöcken des Alsergrunds liegen oder noch weiter weg in irgendwelchen niederösterreichischen Dependancen – wie etwa das Zentrum für Biomedizinische Forschung in Himberg, fünf Kilometer jenseits der Wiener Stadtgrenze.
In der Großküche, in der täglich bis zu 10.000 Mahlzeiten zubereitet werden, musste sich Oláh besonders tummeln, ein Zeitfenster von nur zehn Minuten wurde ihm zum Fotografieren zur Verfügung gestellt, und das um fünf Uhr in der Früh. Mit seinem Assistenten und seiner Linhof Technika, einer 20 Jahre alten Laufbodenkamera mit schwarzem Tuch und auf dem Kopf stehender Mattscheibe, bannte er Backöfen, Rührgeräte und Abwaschstraßen auf den Film. In der Hauptproduktionsküche im Erweiterungsbau Ost, Ebene 04, fand er zwei sogenannte Kippkos – Kippkochkessel mit jeweils 300 Liter Volumen –, die in ihrer gigantischen Anmutung eher an das Schweizer CERN erinnern denn an die Garstätte von Wurzelgemüse und Kartoffelpüree.
Besonders angetan hat es dem Fotografen jedoch die unterirdische Wasserzisterne im sechsten Untergeschoß. Mehrere Notspeicher mit einem Gesamtvolumen von sechs Millionen Liter können im Notfall zum Trinken und Feuerlöschen sowie für die Bereitstellung von sterilem Dampf für Operationen und postoperative Rehabilitation angezapft werden. "Man wandert stundenlang durch die Kelleretagen, hat seit 20.0000 Schritten kein Tageslicht mehr gesehen", erzählt Stefan Oláh, "und plötzlich geht eine Tür auf, und an der Wand hängt ein Schwimmreifen. Man fühlt sich wie im Schwimmbad. Es ist einfach nur surreal."
NOTSTROMAGGREGATE Mit solchen Überraschungen war Oláh immer wieder konfrontiert. Etwa, als er die technische Leitwarte in der Energiezentrale, Bauteil 21, mit ihrem beigen Vintage-Charme betrat und sich dabei im AKW Zwentendorf wähnte. Als ihm die Bettgestellwaschanlagen im Hauptgebäude, OP-Ebene 09, gezeigt wurden, in ihrer Bauart und Größe einzigartig in Österreich, und er dabei an überdimensionale Geschirrspüler denken musste. Und als er hinter einer der thermisch gedämmten Türen plötzlich vor einem von insgesamt vier Notstromdieselaggregaten, Modell MTU 20V956, stand und bei 50 Grad Raumtemperatur auch noch unter das Tuch seiner Kamera kriechen und ein Foto des blauen Ungetüms produzieren musste.
"Die Dieselaggregate", sagt Jörg Simonitsch, stellvertretender technischer Direktor im AKH, "müssen wir konstant warm halten, denn jeder weiß, was passiert, wenn man im Winter versucht, mit einem Dieselmotor einen Kaltstart hinzulegen – nämlich sehr wenig." Die 20-zylindrigen Aggregate, die in ihrer Bauart Schiffsmotoren nicht unähnlich sind, können im Notfall sofort Fahrt aufnehmen und binnen 12,5 Sekunden das ganze Areal mit Strom versorgen. Diese kritischen Sekunden wiederum werden von mehreren Batteriepufferspeichern überbrückt. Erst Ende September gab es im AKH aufgrund eines Kurzschlusses an einem Transformator einen zehnminütigen Stromausfall. An den meisten Patienten ging dieser unbemerkt vorüber.
"Das AKH ist eine riesige Maschinerie! Wir haben in unserer Haustechnik weit über 100.000 Signalpunkte, und klarerweise kommt es jeden Tag zu kleineren und größeren Störungen", sagt Simonitsch. "Ohne Kontroll- und Back-up-Systeme und ohne gewisse technische Redundanzen wäre ein Stromausfall oder ein Ausfall der Wärmeversorgung für uns schon eine mittelgroße Katastrophe. Ist es aber nicht. Wir funktionieren auch im Notfall." 2021, rechnet der technische Leiter vor, betrug der Stromverbrauch rund 163.000 Megawattstunden (MWh), das entspricht knapp 40.000 Haushalten. Der Fernwärmeverbrauch, mittels Priority-Leitungen an die Spittelau angeschlossen, belief sich auf rund 140.000 MWh.
"Die Med-Uni Wien und das AKH sind ständig in Veränderung", sagt Markus Müller, Rektor der Med-Uni Wien und Auftraggeber der rund 160-teiligen Fotoserie. Und beziffert die Investitionssumme aller Baustellen und Sanierungsvorhaben mit rund einer Milliarde Euro. Bis 2026 wird es auf dem Areal zu erheblichen Veränderungen kommen. "Daher haben wir uns gedacht, es wäre doch mal gut, die Institution künstlerisch einzufangen und das Unsichtbare sichtbar zu machen. Die Fotos legen viele Geheimnisse offen. Und ich gebe zu: In der Wasserzisterne war ich selbst noch nie. Ich glaube, da muss ich demnächst hin."(19.11.2022)