Mit dem Beginn der Gespräche im Quirinalspalast, dem Amtssitz des Staatspräsidenten, sind am Donnerstag in Rom die Gespräche zur Bildung der neuen Rechtsregierung aus den postfaschistischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni, der rechtspopulistischen Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia von Silvio Berlusconi in die entscheidende Phase getreten.

Silvio Berlusconi: "Der einzige wahre Leader bin ich." Und übrigens: Am Ukraine-Krieg sei Wolodymyr Selenskyj schuld.
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Doch im Mittelpunkt des Geschehens stand nicht die Wahlsiegerin und mutmaßlich erste Frau an der Spitze einer italienischen Regierung, sondern einer ihrer Vorgänger: der vierfache Ex-Premier Berlusconi, Gründer und seit drei Jahrzehnten Chef der Rechtspartei Forza Italia.

Selenskyj die Schuld am Krieg gegeben

Am Vorabend der Konsultationen von Staatspräsident Sergio Mattarella ist am Mittwoch eine neue Audiodatei publik geworden, auf der der 86-jährige Berlusconi zu hören ist, wie er mehr oder weniger explizit und mit hanebüchenen Argumenten dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Schuld am Krieg in die Schuhe schiebt. Der russische Präsident Wladimir Putin, den Berlusconi als alten Kumpel betrachtet, sei von den "ukrainischen Angriffen" im Donbass zur Invasion förmlich gedrängt worden, legt Berlusconi dar.

Schon am Dienstag hatten Äußerungen Berlusconis, die bei einer Fraktionssitzung einer Partei mitgeschnitten worden waren, für Schlagzeilen gesorgt: Berlusconi hatte den Abgeordneten seiner Forza Italia berichtet, dass er seine freundschaftlichen Beziehungen zu Putin wiederaufgenommen und von diesem am 29. September als Geburtstagsgeschenk einen "allerliebsten Brief" und 20 Flaschen Wodka erhalten habe.

Die neuen Berlusconi-Sager über den angeblichen Kriegstreiber Selenskyj erfolgten bei derselben Parteisitzung. Wie um die Farce komplett zu machen, fügte Berlusconi in der neu geleakten Tonaufzeichnung noch an: "Ich sage euch nicht alles, was ich weiß – aber es gibt heute keine Leader mehr. Soll ich euch zum Schmunzeln bringen? Der einzige wahre Leader bin ich."

Meloni Richtung Berlusconi: "Italien ist vollumfänglich und mit erhobenem Haupt Teil der europäischen und der atlantischen Allianz. Wer diesen Grundsatz nicht teilt, kann nicht eine Komponente meiner Regierung werden."
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Giorgia Meloni, die schon am Samstag oder am Sonntag von Mattarella zur neuen Regierungschefin vereidigt werden könnte, war jedenfalls nicht zum Schmunzeln zumute. Für sie ist die verbale Inkontinenz ihres künftigen Regierungspartners eine Katastrophe: Sie schadet der Glaubwürdigkeit ihrer ultrarechten Koalition bezüglich der Bündnistreue zur Nato, zur EU und der Weiterführung der Sanktionen durch Italien.

Meloni hat deshalb noch am gleichen Tag mit dem Abbruch der Verhandlungen über die neue Regierung gedroht: "Italien ist vollumfänglich und mit erhobenem Haupt Teil der europäischen und der atlantischen Allianz. Wer diesen Grundsatz nicht teilt, kann nicht eine Komponente meiner Regierung werden – auch zu dem Preis, dass wir keine Regierung machen werden", erklärte Meloni.

EVP-Chef Weber muss zurückrudern

Berlusconis Äußerungen haben nicht nur Meloni wütend gemacht, sondern auch die Europäische Volkspartei (EVP), der auch Berlusconis Forza Italia angehört, in Verlegenheit gebracht – allen voran den Deutschen Manfred Weber (CSU), seit 2014 Fraktionsvorsitzender der EVP im Europäischen Parlament. Weber hatte Berlusconi in der Vergangenheit stets verteidigt und war deswegen auch EVP-intern unter Beschuss geraten: Es könne ja wohl nicht angehen, dass eine Mitgliedspartei der EVP zur Steigbügelhalterin für die neue, souveränistische Rechtsregierung in Rom werde und man den Chef dieser Partei dabei noch unterstütze.

Angesichts der neuen Putin-Hymnen des Forza-Italia-Chefs musste Weber nun von Berlusconi abrücken: "Wir werden nie müde werden, Putin als Kriegsverbrecher zu bezeichnen. Und Europa wird nie aufhören, die Ukraine zu unterstützen", betonte Weber.

Weber und die EVP setzen nun ihre ganze Hoffnung auf Antonio Tajani: Der langjährige Berlusconi-Vertraute und -Parteifreund, ehemaliger Präsident des Europaparlaments, gilt als verlässlicher Europäer und Atlantiker und schien – zumindest bis zu den jüngsten Eskapaden seinen Parteichefs – in der Regierung von Giorgia Meloni gesetzt für den Posten des Außenministers. Tajani sollte aus EVP-Sicht in der neuen italienischen Regierung die Rolle eines Garanten für einen verlässlichen außenpolitischen Kurs spielen. Nun stellt sich – wenig überraschend – heraus, dass nicht Meloni, sondern Tajanis Parteichef Berlusconi das größte Problem für die neue Regierung darstellt – nicht nur in der Außenpolitik, sondern ganz generell. (Dominik Straub, 20.10.2022)