Berufliche Umorientierung fängt bei der Stellensuche an. Zumindest, wenn man diese versteht.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Ich arbeite seit mehr als 20 Jahren beim STANDARD. Anfangs huschte ich als ehrfürchtiger Grünschnabel durch die Redaktionsstuben, mittlerweile bewege ich mich einigermaßen trocken hinter den Ohren Richtung Veteranenstatus. Doch, doch, ich hatte auch andere Jobs. Kurzfristig. Ich verkaufte Schuhe, bräunte mich als Matrose bei der Bodensee-Schifffahrt, kellnerte mäßig motiviert in einem sehr kleinen Café, und auch die Tätigkeit eines Handelsvertreters für Beinkleider zog mich nicht dauerhaft in ihren Bann. Die Universität kenne ich ebenfalls von innen, mein Bedürfnis nach einer Zukunft als Geschichtelehrer schrumpfte jedoch mit den Semestern gen null.

Neulich ging mir die Frage durch den Kopf, was wäre, wenn ich mich "umorientieren" wollte oder zwangsweise umorientiert würde. Ehemalige Kolleginnen und Kollegen verwendeten dieses Wort nicht selten in ihren Abschieds-E-Mails. Für meinen Geschmack klingt der Begriff "umsatteln" lässiger. Hat was von Rio Grande und Robert Mitchum. In mehr als 20 Jahren ist es zu einigen "Umorientierungen" in der Kollegenschaft gekommen. Im besten Fall wird bei einem Abschied zu einem Abschiedsumtrunk geladen. Im schlechtesten bekommt man lediglich eine neue Telefonnummer und eine neue E-Mail-Adresse mitgeteilt. Wenn überhaupt. Erste und oft letzte Spuren einer Umorientierung. Neuanfang ist auch so ein Wort.

Reggae und Klostervögel

Nähmen wir also an, auch ich würde einen beruflichen Richtungswechsel anstreben wollen, sollen oder müssen. Es gäbe schon andere Jobs, die mich reizen würden. Zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, einen Tretbootverleih irgendwo in einer ruhigen Lagune einer karibischen Insel aufzuziehen, mit einem netten pistazienfarbenen Hüttchen, kühlen Drinks und Reggae-Klängen. Mit einem Vollzeitdasein als Tester für Suiten auf Luxus-Ocean-Linern tät’ ich durchaus ebenso liebäugeln. Ich kann einen Segelschein vorweisen. Auch mit dem Schicksal eines Privatiers, der seine Zeit mit Flanieren, Schachspielen, Haikus-Dichten und Champagnisieren verbringt, würde ich d’accord gehen. Diesbezüglich mangelt es an der nötigen Geldgeberschaft. "Hausbesitzeringatte" wäre eine Alternative.

Da gäbe es auch noch diese gelegentlich aufploppenden Meldungen, in denen Leute gesucht werden, die auf einsame Inseln oder Klöster aufpassen und dafür lediglich ein paar Vögel zu beobachten haben. In Ornithologie bin ich nicht sonderlich bewandert, schaffe es nicht einmal, eine Krähe von einem Raben zu unterscheiden.

Kryptische Jobbeschreibungen

Realistischer wäre es, sich als Buchhalter zu bewerben, schließlich habe ich die Handelsakademie absolviert. Aber die Sache hat zwei Haken. Erstens habe ich keine Ahnung, wie dieser Job heute genannt wird, zweitens ist meine Matura derart lange her, dass ich wahrscheinlich nicht einmal mehr einen Zahlschein korrekt ausfüllen könnte. Sofern die Dinger überhaupt noch existieren.

Schließlich kaufte ich mir am Wochenende einen Stapel Zeitungen, um Stellenanzeigen zu studieren. Die sind zwar längst nicht so unterhaltsam wie Kontaktanzeigen, brachten mein Ansinnen aber doch auf eine existenzialistisch realistischere Ebene. Theoretisch. Ich schlug die betreffenden Seiten auf. Die erste Annonce bezog sich auf eine Stelle im Bereich der "experimentellen Audiologie". Ich zog meine Augenbrauen nach oben und fragte die Kellnerin meines Stammcafés, was sie sich darunter vorstelle. Sie meinte, "irgendwas mit Hören". Schön und gut, aber wer bezahlt einen fürs Hören? In der nächsten Anzeige ging es um eine Universitätsprofessur für Posaune. Das gefiel mir. Man kann tatsächlich Professor für Posaune werden. Leider bin ich über ein paar Stunden Blockflöte in der Volksschule nicht hinausgekommen. "Handwerker für privaten Haushalt gesucht". Das klang verständlich. Bedauerlicherweise hat mich die Schöpfung mit zwei linken Händen ausgestattet. Mit einem grünen Daumen könnte ich allerdings dienen.

Auf das Bauchgefühl hören

Während ich an meinem kleinen Braunen nippte, stieß ich auf eine Stellenanzeige, in der ein "Growth Hacker" gesucht wurde. Ich verstand nur Bahnhof. Nicht einmal das. Was mir allerdings an dem Inserat gefiel, war der Zusatz "Überzahlung möglich". Aber Überzahlung wofür? Bahnhöfen begegnete ich noch mehreren. Sie hießen "Tenure Track-Professur für Tierphysiologie", "Geschäftsführer:in/s Wissenschaftliche Exzellenz", "Akademische*r Mitarbeiter*in und Teilprojektleiter*in im FG Thermische Energietechnik". Eine Website, die sich mit Karriere und Erfolg beschäftigt, empfiehlt bei Stellenanzeigen, auf das Bauchgefühl zu hören, ob einen das Inserat anspricht oder ob einen etwas daran stört. Würde ich ja, wenn ich’s verstehen würde. Mein Bauch ebenso.

In einem Kleinformat fand ich das Folgende: "Mitarbeiter:in Inbound oder Outbound". Klingt cool. Ich glaube, das ist eine Umschreibung für Telefonistinnen und Telefonisten. Ich bin mir aber nicht sicher. Telefonieren könnte ich. Aber nicht mit jeder und jedem möchte ich das.

"Petroleum Transfer Engineer" oder Tankwart?

Klare Berufsbezeichnungen scheinen auszusterben, Leihgaben aus dem Englischen sind längst auf der Zielgeraden. Hieß Facility-Manager früher wirklich Hausmeister? Etliche Jobangebote scheinen ohne "Head of irgendwas" nicht mehr auszukommen. Was wurde aus dem guten alten "Chef"? "Supportet" und "gemanagt" wird sowieso, was das Zeug hält. Sogar wenn es sich um eine Änderungsschneiderei handelt. Die Nachfrage nach "Developer:innen" entwickelt sich auch nicht schlecht.

Studien werden mit Bachelor und Master abgeschlossen, die Personalabteilung wird mit Human Resources oder überhaupt nur mehr mit HR betitelt. Angeblich heißt Postler im Neusprech "Dispatch Services Facilitator", auch wenn meiner mir bei dieser Anrede wahrscheinlich den Vogel zeigen würde. Muss ich mal ausprobieren. Auch nicht schlecht: Bitte einmal volltanken, Herr "Petroleum Transfer Engineer". Fragt sich, wie sich ein Hofrat in Zukunft nennen wird dürfen. Oder müssen.

Leihoma und Hofbräuhaus

Sympathisch und verständlich erscheint mir das Jobangebot "Leihoma in München-Schwabing gesucht". Leider brächte ich dafür nicht die biologische Voraussetzung mit. Dasselbe gilt für "Wir suchen eine offene, herzliche und erfahrene Erzieherin für unsere drei Jungs". Da fiel mir sofort das Fräulein Rottenmeier aus dem Kinderbuch Heidi ein. Die Anzeige hat zumindest literarische Qualitäten. Gleich daneben wird ein "Zeitungszusteller für München" gesucht. Da bliebe ich wenigstens in der Branche. Leider finde ich in München gerade einmal das Hofbräuhaus.

Stellenanzeigenübersetzer gesucht

Lässig fand ich die Job-Description "Cool Hunter". Der oder die, so die ergoogelte Erklärung, reist um die Welt auf der Suche nach Trends und Styles und verscherbelt die dann an Modeketten. Geht nicht. Geht gar nicht. Meine Tochter geht für Fridays for Future auf die Straße. Vielleicht sollte man einen Job kreieren, der Stellenanzeigenübersetzer heißt. Der lautet wahrscheinlich "Master-Translator for Job advertisements in progress" oder "Beigeordnete*r Berufsbezeichnungs-Kommentator*in". Angeblich trägt Zach Kirkhorn, der Finanzchef von Elon Musk, den Titel "Master of coin". Mit dem lege ich mich lieber nicht an, auch wenn schon Salvador Dalí gesagt haben soll: "Wer heutzutage Karriere machen will, muss schon ein bisschen Menschenfresser sein." "Master of coin" wird gerade keiner gesucht. Zumindest nicht in meinem Zeitungsstapel.

Ich glaub, ich lasse das mit der Umorientierung. Ich bleib dem STANDARD treu, also bei meinem Leisten. Wenn Sie genau wissen wollen, was ein Redakteur macht, keine Scheu, nur zu, ich kenn mich aus. Sie würden sich wundern, wie wenige das wissen. En detail.
(RONDO, Michael Hausenblas, 9.11.2022)