Um die Sache einmal so zurechtzurücken, wie sie sich durchschnittlich gebildeten, intelligenten und politisch interessierten Staatsbürgerinnen und -bürgern darstellt: Es gilt für alle Beteiligten am Untergang der türkisen Volkspartei die Schuldvermutung. Sonst könnte es ja nicht sein, dass 85 Prozent der Landsleute von der Politik in Österreich enttäuscht bis angewidert sind. Einen Teil der Enttäuschung sollten dabei jene für sich reservieren, die einem Sebastian Kurz auf den Leim gegangen sind. Die fast schon religiöse Verzückung, in der hohe und höchste ÖVP-Funktionäre dem Erlöser aus der Rolle des Zweiten ihren politischen Verstand zu Füßen legten, ist im Fernsehen belegt, sie wird als Dokument der Peinlichkeit für jeden an Demokratie Interessierten lange präsent bleiben.
Was immer es irgendwann an Schuld- oder Freisprüchen herabregnet, die Lehren aus dem Desaster zu ziehen kann nicht die Aufgabe der Justiz allein sein. Da hat etwas ausgelassen, was gründlicher staatsbürgerlicher Aufarbeitung bedürfte, von der Schule an bis – natürlich – in die Parteien. Denn wo kritiklose Verehrung kritisches Denken verdrängt, muss Selbstüberschätzung nicht immer geil in eine Welt der Investoren auslaufen.
Ideologische Feinschmecker werden es genießen, dass ausgerechnet die Partei, der möglichst alles privat über alles geht, sich ihren Aufstieg vom Staat, nämlich über das Finanzministerium mitfinanzieren ließ. Nun ließ der Bestimmungstäter, der nie etwas bestimmt haben will, etwas platzen, was manche für eine Bombe halten, aber eher nach einem Rohrkrepierer anmutet. Er habe doch ohnehin mit dem Beitragstäter, der jetzt alleiniger Bestimmungstäter sein soll, ein Telefonat geführt, in dem er sich seine Unschuld bescheinigte, er, der doch nie etwas mit Inseraten zu tun haben wollte.
Rein geschäftliche Wanzen
Da er den Beitragsbestimmungstäter im Verdacht hatte, verwanzt zu sein, darf man das Telefonat als vertrauensbildende Maßnahme betrachten, da dieser umgekehrt Wanzenverdacht an seinem Ex-Chef schöpfte, der doch eh alles gekriegt hatte, was er wollte. Da auf Wanzen nicht immer Verlass ist, hat dieser das Gespräch mitgeschnitten, was natürlich nicht persönlich gemeint war, sondern rein geschäftlich.
Nun hätte man gedacht, dass ein ins Unrecht gesetzter Investor nicht ein Jahr lang wartet, bis er eine solche Unschuldsbombe platzen lässt. Wie steht jetzt Conny Bischofberger, Politologin der Herzen, mit ihrem letzten Meisterwerk Reden wir über Politik da? Kein Wort von dieser Bombe, die doch ein wenig Explosivstoff in die drögen Gedankengänge ihres Helden hätte bringen können. Auf die Idee, ihn zu fragen, ob er nicht zufällig einen alles klärenden Telefonmitschnitt für ihr Buch beitragen könnte, ist sie offenbar nicht gekommen. Schade. Er hingegen meinte nur, in seinem Leben als Unternehmer spiele das alles keine große Rolle mehr. Ein Kronzeuge musste kommen, das zu ändern.
Übrigens: Der Gedanke, das frisch renovierte Parlament mit einem frisch ramponierten Nationalratspräsidenten zu eröffnen, ist schwer erträglich für jeden, der das Parlament höher schätzt, als es Sebastian Kurz zur Zeit seiner politischen Existenz getan hat. Der zweite Mann im Staat in der Blöße der Unschuldsvermutung? Wenn er sich beeilt, könnte er noch Kronzeuge werden. (Günter Traxler, 21.10.2022)