Cio-Cio-San (Marjukka Tepponen) und ihr Kind kehren in Graz als Erinnerung von Pinkerton zurück.
Foto: Werner Kmetitsch

Was wurde aus dem Buben von Butterfly und Pinkerton? Giacomo Puccinis Tragödie gipfelt ja in der Kindesentführung durch den Vater und dessen US-Ehefrau. Die entehrte Butterfly bringt sich um, aber wie ging es mit dem Buben weiter? Diese Frage stellt die Inszenierung von Floris Visser an der Oper Graz, sie lässt Pinkerton mit dem fast erwachsenen Sohn eine Japanreise unternehmen. Man begegnet diesen "typischen" Amerikanern, und Bühnenbildner Gideon Davey stellt in einem Ausstellungsraum Vitrinen mit "typischen" Artefakten: Samurai-Rüstung. Götterstatue. Prachtkimono. Schwerter.

In diesem Setting überfällt Pinkerton und den Sohn die Erinnerung, die "Museumsstücke" gehören wieder zu Menschen aus Fleisch und Blut. Der Kimono war Butterflys Hochzeitsgewand ... Cio-Cio-Sans Häuschen wird imaginiert, indem die Wände der Kunsthalle näherrücken, das Setting intimer wird. Vor Pinkertons innerem Auge zieht die Geschichte seines Betrugs an der jungen Butterfly vorüber. Alles ist da, auch das Schwert, mit dem schon Butterflys Vater Selbstmord beging. Von den Schwertern angezogen fühlt sich auch der Sohn, der als kaum Dreijähriger von der Mutter und deren Kultur getrennt wurde.

Und: Wenn mit den Erinnerungen auch der Hass auf den Vater wächst, meint man Zeuge einer Psychoanalyse zu sein. Stephan Offenbacher gibt in der stummen Rolle als "Sohn" eine beeindruckende Performance – auch dank der hervorragenden Personenführung von Visser. Marjukka Tepponen in der Titelrolle? Sie gibt Cio-Cio-San als Kämpferin mit viel stimmlichem Potenzial zu eindringlichen Klagen.

Eher handfest

Mykhailo Malafii ist darstellerisch ein beinah hausbackener Pinkerton, der stimmlich-klanglich eher eindimensional bleibt, aber die Partie gut meistert. Herausragend ist die Suzuki von Mareike Jankowski, und edelste Töne verströmt Neven Crnić als Sharpless. Gábor Káli am Pult der Grazer Philharmoniker legt dem Ganzen eine präzise, tendenziell eher handfeste Orchesterbasis. Ihr eignet jedoch genug Transparenz, um den Motiven Raum zur Entfaltung zu geben. Also: eine zeitlos-moderne Butterfly, die Fragen kultureller Vereinnahmung, Imperialismus, Eurozentrismus oder Frauenverachtung subtil in den Raum stellt, ohne diese zu Tode zu reiten. (Heidemarie Klabacher, 21.10.2022)