Ryan Hope, Jacob Lusk und Ari Balouzian sind Gabriels – ihr nun erschienenes "Angels & Queens" ist ein betörendes Werk.

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Es ist ein Dilemma. Um Worte ringend, sucht man den Mann zu beschreiben, gleichzeitig kann die Magie seines Tuns nicht auf den Boden banaler Verständlichkeit gebracht werden, dorthin, wo aufdringliche Schwätzer fettarschig ihre Reviere markieren. Jacob Lusk ist wie ein Geheimnis. Man möchte es einerseits bewahren, gleichzeitig die Kunde seiner Genialität verbreiten. Es ist ein Dilemma.

Jacob Lusk ist der Sänger von Gabriels. Das ist ein sensationelles Trio, das nach zwei EPs nun einen halben Longplayer veröffentlicht hat. Ja, einen halben. Das scheint eine neue Torheit der Musikindustrie zu sein. Aber angesichts der sieben Songs von Angels & Queens kann man sich echt nicht beschweren. Im März folgt der zweite Teil.

Gabriels ist ein sensationelles Trio, wurde das schon erwähnt? Es besteht aus Ryan Hope, Ari Balouzian und Jacob Lusk. Ihr 2020 veröffentlichtes Love and Hate in a Different Time machte erstmals staunen. So etwas hatte man noch nicht gehört. Eine mysteriöse Mischung aus traditionellem Soul und zeitgenössischem R&B, angereichert um Art-, Kammer- und Kummerpop. Eine Mixtur, die sich zwischen die Stühle von Antony & The Johnsons und CeeLo Green setzte – beide Namen sind auf ihre Art Chiffren für Superlative.

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Das Video zu Love and Hate ... verstärkte das Mysteriöse noch: Beginnend im 19. Jahrhundert, zeigt es Tanzsequenzen quer durch die Jahrzehnte – die plötzlich abreißen. Dann sieht man eine Black-Lives-Matter-Demo irgendwo in den USA und einen Schwarzen an einer Ampel stehen, der durch ein Megafon Strange Fruit singt, dieses durch Billie Holiday zum definitiven Schmerzensbekenntnis der Afroamerikaner gemachte Lied des Lewis Allen.

Ein Blickfang

Der Mann am Megafon ist Jacob Lusk – dieser Erzengel der Gabriels, eine Erscheinung wie 110 Prozent Entertainment. Einer, der gerne in bodenlangen Mänteln auftritt, einer, der eine Oscarnominierung riskiert, wenn er bei Starbucks einen Kaffee bestellt. Ein Blickfang, ein Showman. Und dabei hat er noch keinen Piep gesungen.

Gabriels

Auffällig wurde der Mann aus Los Angeles erstmals bei der Talentshow American Idol. Aus einem streng religiösen Haushalt kommend, wurde seine Stimme im Gospel und Jazz geschult, im Soundkostüm seiner Kollegen wächst sie ins Spektakuläre. Auf Angels & Queens mit an Bord ist der Produzent Mark Anthony Spears alias Sounwave, der Kendrick Lamar seit seinem Auftauchen als Produzent begleitet.

Die Wege des transatlantischen Trios kreuzten sich 2016 bei der gemeinsamen Arbeit für eine Doku über Pepe the Frog, eine Comic-Figur von Matt Furie, die von Trump-Anhängern und der Alt-Right-Bewegung gekapert wurde. Die Doku behandelt Furies Versuche, die Kontrolle über seine Schöpfung zurückzuerlangen. Ryan Hope und Ari Balouzian suchten einen Chorleiter – und fanden ihr Schicksal: Lusk.

Gabriels

Zuerst musizierten sie zum Spaß, bald wurde es ernst, schnell genial. Nach der Straße, in der Ryan Hope in Großbritannien aufwuchs, ist das Trio benannt, der von der Klassik kommende Ari Balouzian verleiht ihm einen speziellen Touch.

Abgebremster House-Beat

Erhebt dann Lusk seine Stimme, weiß man nie, kommt er gerade aus dem Bordell oder aus der Messe – sein schwerer Atem zwischen den Textzeilen wird nicht gefiltert, bleibt hörbar.

"Somebody help me", singt er als zärtliches Mantra im Opener, in dem er charmiert, aber sich noch zurückhält. Taboo streift den Jazz, setzt auf dramatische Streicher und knappe Bläser. Remember Me erinnert an die Zusammenarbeit von Antony Hegarty mit Hercules & Love Affair, abgebremster House-Beat inklusive.

Gabriels

Manch ein Lied erinnert an klassisches Hollywood, beginnt, als würde jeden Moment Frank Sinatra ans Mikro treten und sich den Hut nach hinten schieben und loslegen. Dennoch bleibt der Act originär, verbieten sich Gabriels zu poppig zu werden, zu berechenbar, bleiben lieber in ihrer Nische, wirken, bei aller Exaltiertheit Lusks, immer etwas verhalten.

So erschaffen sie eine Spannung, die Lusk stets einlöst, ohne zu sehr aufzutragen. Dabei ist ihm alles zuzutrauen. Ein Welthit wie Crazy? Vielleicht schlummert der bereits im zweiten Teil. Das Potenzial dafür trägt der Mann im kleinen Finger spazieren. Und eines ist klar: Ein Geheimnis werden Gabriels nicht bleiben. (Karl Fluch, 21.10.2022)