Die Koalition scheint am Kippen zu sein. Führt uns das bald wieder in die Wahlkabinen?

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ÖVP und Grüne wehren sich gegen Neuwahlen. Beide hätten nur zu verlieren – vor allem Wählerinnen und Wähler.

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SPÖ, FPÖ und Neos sind sich in seltener Übereinstimmung einig: Es braucht Neuwahlen. Das sei der einzige Weg, meinte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Die ÖVP habe sich eine Wahl "ertrickst, erlogen und erkauft". Die Regierung sei instabil und handlungsunfähig, heißt es aus der SPÖ, sie schade Land und Leuten. Einziger Ausweg: Neuwahlen. Das korrupte Verhalten sei ganz tief in der DNA der alten ÖVP, argumentiert die FPÖ, in Österreich gebe es keinen Krisenkanzler, sondern eine Kanzlerkrise, die Regierung sei endgültig gescheitert. Daher: Neuwahlen.

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Wie wahrscheinlich sind nun Neuwahlen, und wer hätte es in der Hand, diese herbeizuführen?

Was die ÖVP will

Die ÖVP kam bei der letzten Nationalratswahl 2019 noch mit Sebastian Kurz als Parteichef und Spitzenkandidat auf 37,5 Prozent. Das waren plus sechs Prozentpunkte mehr im Vergleich zu 2014 und ganze 16 Prozentpunkte mehr als bei der zweitplatzierten SPÖ. Derzeit liegt die ÖVP in Umfragen bei 22, im besten Fall bei 23 Prozent. Das beantwortet klar die Frage, ob irgendwer in der ÖVP an Neuwahlen denkt: nein.

Die ÖVP würde schlagartig einen erheblichen Teil ihrer Abgeordneten verlieren, sie hätte gute Chancen, aus der Regierung zu fliegen. Bestenfalls bliebe ihr die Rolle als Juniorpartner. Also bleibt Karl Nehammer lieber ein umstrittener und schwacher Bundeskanzler, als in der politischen Versenkung zu verschwinden. Er hofft offensichtlich auf ein politisches Wunder: dass sich die Themenlage dreht oder eine andere Partei von einem veritablen Skandal erfasst wird.

Mit dem gegenwärtigen Kräfteverhältnis im Nationalrat kann die ÖVP jedenfalls die Themen bestimmen: Gegen die Volkspartei gibt es keine Verfassungsmehrheit, da geht schlichtweg nichts, selbst wenn sich alle anderen Parteien in einem Anliegen einig wären.

Was Grüne wollen

Das könnte für die Grünen einen guten Grund darstellen, die Koalition zu beenden und so Neuwahlen zu erzwingen. Die 37 Prozent der ÖVP seien mit Tricks und üblen Machenschaften erschwindelt worden, wird argumentiert. Es sei also nur legitim, jetzt Wahlen zu provozieren und einen Nationalrat und eine Regierung herbeizuführen, die tatsächlich das derzeitige politische Stimmungsklima im Land abbilden. Viele bei den Grünen, vor allem an der Basis und in den Länderorganisationen, sehen das so.

Nicht aber die Parteiführung und die Abgeordneten im Parlament. Sie wollen die Koalition jedenfalls weiterführen – auch um die eigene Macht zu erhalten. Positiv formuliert: Es sei gerade jetzt wichtig, dass die unabhängige Justiz ungestört und unbeeinflusst weiterarbeiten kann, dafür sei Alma Zadić als Ministerin ein Garant, führt Parteichef Werner Kogler aus.

Negativ formuliert: Den Grünen gehe es nur um die eigenen Posten, auch sie würden bei einer Neuwahl höchstwahrscheinlich ein deutlich schlechteres Ergebnis als 2019 (14 Prozent) einfahren und ziemlich sicher der nächsten Regierung nicht mehr angehören. Also besteht auch bei den Grünen keinerlei Interesse an Neuwahlen. Vorsichtiges Ziel, aber keine Bedingung bleibt der Wunsch nach einem Rücktritt von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Wenn's leicht geht. (Michael Völker, 21.10.2022)