Die zweite Amtszeit von Österreichs Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen dürfte ebenso turbulent werden wie die erste.

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Wien – Es war eine für Alexander Van der Bellens verhältnismäßig scharfe Rede, die kaum Interpretationen offenließ. "Es geht hier um die Demokratie in unserer Heimat und das Vertrauen in unsere Demokratie, das einmal mehr erschüttert wurde", sagte der Bundespräsident in seinem ersten Statement seit seiner Wiederwahl, zu dem er am Donnerstagnachmittag kurzfristig in die Präsidentschaftskanzlei lud.

Was mit einem nassen Fleck begonnen habe, habe sich mit den neuen Vorwürfen mittlerweile zu einem "Wasserschaden, der die Substanz des Gebäudes erreicht hat", ausgewachsen, sagte Van der Bellen. "Ich kann und will das so nicht hinnehmen. Viele Menschen wenden sich mit Schaudern von der Politik ab, und ganz ehrlich, ich kann das verstehen." Er selbst denke sich: "Das darf doch alles nicht wahr sein!"

DER STANDARD | APA/mhr

Sanierung

Mit "ein paar Farbtupfern werde der Schaden nicht zu beheben sein", die Sanierung müsse an die Substanz gehen, betonte er. Korruption sei Gift für unser Zusammenleben, verhindere, dass man Österreich gemeinsam besser machen könne, mit den qualifiziertesten Menschen.

Die Bevölkerung dürfe niemals den Eindruck bekommen, dass "man es sich richten kann, wenn man die richtigen Freunde hat", oder dass in der Politik "auf Kosten der Gemeinschaft gearbeitet" werde. Hier spielte Van der Bellen wohl auf Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) an, der mutmaßlich in Steuerverfahren intervenierte.

Es müsse daher "im größten Interesse des Bundeskanzlers und der Regierung sein, diesen Eindruck zu entkräften". Van der Bellen erwarte sich nun in den nächsten Wochen zügige Gespräche und Maßnahmen wie auch das Hinterfragen "der eigenen Rolle" in den Parteien und "glaubhafte Garantien", damit der Schaden an der Substanz behoben werde. Das sei eine "Bringschuld" der Politik. Man könne sich "nicht nur auf den Ausgang von Verfahren zurückziehen".

Rechtsstaat arbeitet

Positiv sei für den Präsidenten: "Der Rechtsstaat funktioniert, wir sehen ihm gerade alle gemeinsam bei der Arbeit zu."

Auf die Frage, ob er den Rücktritt von Sobotka fordere, sagte Van der Bellen: "Das ist Angelegenheit des Nationalrats. Dazu äußere ich mich nicht." In Neuwahlen sieht der Bundespräsident nicht die Lösung. Er zog den Vergleich zu einem großen Unternehmen, wo eine "interne Revision" anstehe.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte am Donnerstag am Rande des EU-Gipfels in Brüssel, dass er an Sobotka und Klubchef August Wöginger festhalten werde. Er habe keinen Grund, an ihnen zu zweifeln. Auch Neuwahlen wolle Nehammer nicht. (Colette M. Schmidt, 21.10.2022)