Wer Fehler begeht, muss dafür die Verantwortung übernehmen. Sinngemäß hat dies die britische Kurzzeit-Innenministerin Suella Braverman am Mittwoch ihrer Chefin ins Stammbuch geschrieben. Diesen Grundsatz seriöser Politik hatte Liz Truss bis dahin hartnäckig verweigert. Auch nach einem beispiellosen parlamentarischen Chaos später am Abend wollte die 47-Jährige im Amt verharren.

Wer Fehler begeht, muss dafür die Verantwortung übernehmen.
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Tags darauf zog die am kürzesten amtierende Premierministerin aller Zeiten endlich die Konsequenz und kündigte ihren eigenen, längst überfälligen Rücktritt an. Bewahrheitet hat sich damit, was der frühere Tory-Abgeordnete und Star-Kolumnist der konservativen "Times", Matthew Parris, schon im August konstatiert hatte: "Sie ist durchgeknallt. Es wird nicht funktionieren."

Durchgeknallt – freundlicher lässt es sich kaum sagen – waren vor allem Truss’ Vorstellungen einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik: Durch massive, schuldenfinanzierte Steuersenkungen die Wirtschaft anzukurbeln, das ist auch früher schon versucht worden, nicht zuletzt vom US-Präsidenten Ronald Reagan. Nicht bedacht aber hatte Truss, dass Großbritannien im Jahre 2022 in viel größerem Maße vom Wohlwollen der globalen Finanzmärkte abhängt als die Supermacht USA in den 1980er-Jahren. Das Pfund stürzte ab, die Zinsen für britische Staatsanleihen schnellten in die Höhe. In Trümmern lagen die Reste dessen, wofür die Konservative Partei einstmals bekannt und geschätzt worden war: solide Haushaltspolitik und pragmatisches Regierungshandeln.

Europa als ausgemachter Schuldiger

Freilich haben die Tories diesen Pfad schon länger verlassen und fanden einen Schuldigen: Europa. Immer mächtiger wurden nach der Regierungsübernahme 2010 die ideologischen Fanatiker innerhalb der einstmals braven Mitte-rechts-Partei. David Cameron war als harter Europaskeptiker, wenn auch nicht EU-Feind ins Amt gekommen. Anstatt nach einigen Regierungsjahren der Vernunft das Wort zu reden, die Fanatiker aus der Partei zu werfen und die Briten mit Europa zu versöhnen, griff er zum Mittel des Referendums.

Der Glaube, die sonst so pragmatischen Briten würden auf die Beschwörungen ihrer Politik- und Wirtschaftselite hören und zuletzt eben doch für den EU-Verbleib stimmen, zerstob im Juni 2016. Damit war Camerons Regierungszeit zu Ende. Stattdessen begann eine Periode beispielloser Turbulenzen. Theresa May tat noch brav ihr Bestes, ehe der schamlose Populist Boris Johnson das Land mit falschen Versprechungen endgültig aus dem Brüsseler Klub zwang. Zum stetigen, zielsicheren, an Augenmaß orientierten Regierungshandeln war der immerhin hochintelligente Politiker ebenso unfähig wie die weitgehend talentlose, dafür von beinahe unbegrenztem Ehrgeiz angetriebene Truss.

Für die Tories stellt sich nun die Überlebensfrage. Mit der harten Parteirechten Braverman können sie das vom Brexit ausgelöste Chaos weitertreiben. Oder sie stellen sich unter der Führung von Rishi Sunak und dem Finanzminister Jeremy Hunt der Realität. Für die alte britische Demokratie am besten wäre gewiss der Weg, den die um ihr Mandat bangenden konservativen Abgeordneten gewiss nicht gehen wollen: baldige Neuwahlen und eine gemäßigte Labour-Regierung unter dem verantwortungsvollen früheren Oberstaatsanwalt Keir Starmer. (Sebastian Borger, 20.10.2022)