Seit mehreren Tagen stehen diese Zelte für Flüchtlinge auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle Thalham. Seitdem wurden auch in Kärnten und Tirol solche Notunterkünfte errichtet.

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Immer mehr Menschen stellen in Österreich einen Asylantrag. Darauf verweist die neue Asylstatistik des Innenministeriums. Im September 2022 wurde sogar ein Rekord erreicht: Mit 15.000 Anträgen wurden heuer mehr Asylanträge eingebracht als im September 2015, im Jahr der großen Fluchtbewegung. Im Vergleich zu damals gab es heuer aber auch einen Rekord bei abgelehnten und eingestellten Asylanträgen: In Summe 40.299 Personen wurde entweder kein Asyl gewährt – oder das Verfahren wurde eingestellt.

Letzter Rekord verdeutlicht die neuen Gegebenheiten bei der Migration: Obwohl viele Anträge gestellt werden, ziehen auch täglich dutzende Menschen weiter.

Viele Menschen seien dabei aber noch gar nicht erfasst worden, sagt Lukas Gahleitner-Gertz vom NGO-Zusammenschluss Asylkoordination. "Ich gehe davon aus, dass wir eine Dunkelziffer von mehr als 10.000 Menschen haben, die weiterreisen". Wie er darauf kommt? Die Zahl der Asylwerbenden in der Grundversorgung sei nach wie vor stabil bei rund 20.000, "trotz dieser Anträge".

Erste Zelte im Westen

Was mit den Menschen in der Zwischenzeit passiert, darüber ist nun ein Streit zwischen Bund und Länder entbrannt. Angesichts überfüllter Bundesquartiere appellierten die Bundesbetreuungseinrichtungen (BBU) bereits im Juni an die Länder, ihre Quoten bei der Flüchtlingsunterbringung zu erfüllen, die die meisten nicht einmal im Ansatz erreichen. Passiert ist darauf aber nichts. Erst als vergangene Woche das Innenministerium mit dem Aufstellen erster Zelte in Oberösterreich und Kärnten begann, setzte sich etwas in Bewegung: Vorarlberg bot an, noch diese Woche 70 Plätze für Flüchtlinge in bestehenden Caritas-Quartieren zu schaffen; Tirol wollte bis Ende November 500 Menschen aufnehmen.

Doch es war wohl zu wenig, und es kam zu spät: Am Donnerstag rollten die ersten weißen Zelte auf dem Gelände der Polizeischule Wiesenhof im Tiroler Absam an. Schon ab Freitag sollen hier 100 Asylwerber nächtigen. Vorarlberg steht das gleiche Szenario bevor: In Feldkirch-Gisingen könnten dieses Wochenende schon 40 Geflüchtete in Zelten unterkommen.

Länder auf Konfrontationskurs

Damit dürfte eine weitere Eskalationsstufe erreicht worden sein: Denn die Länder wollen nicht mitspielen. Der Vorarlberger Sicherheitslandesrat Christian Gantner (ÖVP) "verwehrt sich nach wie vor, dass Flüchtlinge in Vorarlberg in Zelten untergebracht werden", heißt es am Mittwoch aus seinem Büro. Das Land Vorarlberg nehme jetzt mehr Flüchtlinge vom Bund in Caritas-Quartieren auf, wie in der kolportierten Anzahl von Zelten untergebracht werden könnten. Es sei für den Landesrat nicht verständlich, warum deshalb immer noch auf den Zelten bestanden wird.

Warum also? "Die Zelte sind weder Belohnung noch Bestrafung", sagt BBU-Sprecher Thomas Fussenegger im Gespräch mit dem STANDARD. Zwar sehe er die Bemühungen gewisser Länder wie Vorarlbergs, "aber wenn jetzt keine Zelte aufgebaut werden, dann müssen wir die Leute auf die Straße schicken". Es drehe sich jedenfalls nicht um ein "politisches Spiel", betont Fussenegger.

Die gestiegenen Asylanträge machen sich jedenfalls bei der BBU bemerkbar: Jeden Tag kämen derzeit hundert Menschen an. "Gleichzeitig verlässt uns aber nur ein Dutzend." Auch er wolle keine Zelte, aber die einzigen Alternativen wären "die Brücke oder der Park". Was es in seinen Augen bräuchte, seien Quartiere in befestigten Gebäuden, "und das in einer hohen Anzahl".

Gahleitner: "Sommer verschlafen"

Das Eröffnen neuer Quartiere in den Ländern sei allerdings aus praktischen Gründen schwierig, sagt Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination. Viele potenzielle Anbieter seien skeptisch, weil sie sich erinnerten, dass sie in den Jahren nach der großen Fluchtbewegung 2015 und 2016 auf Kosten sitzen geblieben seien. Damals, als wieder weniger Flüchtlinge kamen, wurden etliche Unterkünfte unfinanzierbar und mussten schließen.

In etlichen Bundesländern, so Gahleitner-Gertz, bemühe man sich derzeit redlich um Neueröffnungen. Um die aktuelle Platznot zu verhindern, hätte man damit jedoch schon im Sommer beginnen müssen. "Der Sommer wurde verschlafen", sagt Gahleitner-Gertz.

Seit mehreren Tagen stehen diese Zelte für Flüchtlinge auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle Thalham. Seitdem wurden auch in Kärnten und Tirol solche Notunterkünfte errichtet. (Elisa Tomaselli, Irene Brickner, 20.10.2022)